Medizin: Mit Stammzellen gegen Herzinfarkt-Schäden
Während man die Akuttherapie von Herzinfarkten mittlerweile gut im Griff hat, lässt sich den oft problematischen Spätfolgen kaum vorbeugen. Abhilfe versprechen zwei neue Ansätze auf der Basis von Knochenmark-Stammzellen.
Der Herzmuskel erhält sauerstoffreiches Blut über die Herzkranzgefäße. Wird bei einem Infarkt eine solche Arterie durch ein Blutgerinnsel blockiert, stirbt der von ihr versorgte Gewebebereich ab. Zur Sofort-Behandlung gibt es seit einiger Zeit mehrere gut wirksame Mittel, die die Auflösung des Blutpfropfs stark beschleunigen. Dadurch haben sich die Überlebenschancen von Patienten mit einem akuten Herzinfarkt enorm verbessert.
Langzeitschäden lassen sich dagegen noch nicht vermeiden. Da Herzmuskelzellen sich nicht teilen können, sind sie nicht fähig, das abgestorbene Gewebe zu ersetzen. Stattdessen bildet sich im Infarktbezirk eine Narbe aus nicht kontraktionsfähigem Bindegewebe, was die Leistung des Herzens vermindert. Die überlebenden Muskelzellen versuchen den Verlust durch Zellwachstum ohne Teilung, so genannte Hypertrophie, auszugleichen. Doch können sich nicht schnell genug neue Blutgefäße bilden, um den erhöhten Sauerstoffbedarf der vergrößerten Zellen zu decken. Daher stirbt schließlich auch eigentlich gesundes Gewebe ab, sodass noch lange nach Auflösung des Blutgerinnsels, das den Infarkt verursacht hat, Bindegewebe entsteht. Das reduziert die Herzleistung noch mehr und steigert das Risiko narbenbedingter Herzrhythmusstörungen.
Die Ergebnisse neuer Untersuchungen mit so genannten Stammzellen aus dem Knochenmark lassen nun hoffen, dass dieser Teufelskreis durchbrochen werden kann. Sie zeigen Wege auf, sowohl den Verlust von Herzmuskelzellen zu verringern als auch die Bildung neuer Blutgefäße im gesunden Gewebe zu fördern. Bei Stammzellen ist die weitere Entwicklung noch nicht starr festgelegt; je nach Umgebungsbedingungen können sie oft sehr verschiedene Zellarten hervorbringen.
Schon seit Ende der neunziger Jahre ist aus Tierversuchen bekannt, dass in ein Herz transplantierte Knochenmark-Stammzellen in der Lage sind, sich zu Herzmuskelzellen zu differenzieren. Donald Orlic und seine Kollegen vom New York Medical College in Valhalla (New York) und den National Institutes of Health in Bethesda (Maryland) konnten dies nun erstmals auch an einem Mausmodell nachweisen, das die Situation nach einem Herzinfarkt beim Menschen imitiert (Nature, Bd. 410, S. 701).
Dabei fanden sie heraus, dass nur bestimmte Knochenmarkzellen, die nicht zur Blutbildungs-Linie gehören und auf ihrer Oberfläche ein bestimmtes Protein namens c-kit tragen, zur Entwicklung von Herzmuskelgewebe fähig sind. Wenn Orlic und seine Kollegen solche aus Spendermäusen gewonnenen Zellen kurz nach Erzeugung eines Infarkts in das Umfeld des geschädigten Areals transplantierten, wurde im Idealfall mehr als die Hälfte der Infarktregion von neu gebildetem und nachgewiesenermaßen funktionstüchtigem Herzmuskel eingenommen. Die Herzleistung der Mäuse verbesserte sich dadurch deutlich. Allerdings wäre eine solche Transplantation bei Patienten mit einem akuten Herzinfarkt sehr riskant.
Bildung neuer Blutgefäße
Das Team um Alfred Kocher von der Columbia-Universität in New York verfolgt deshalb einen anderen Ansatz. Statt sich um eine Regeneration von Herzgewebe zu bemühen, sucht es nach Möglichkeiten, die Bildung neuer Blutgefäße im Herzmuskel nach einem Infarkt zu verstärken. Auch dabei erwiesen sich bestimmte Knochenmark-Stammzellen als Erfolg versprechend (Nature Medicine, Bd. 7, S. 430). In diesem Falle sind es Blutgefäßbildungszellen mit dem Oberflächenprotein CD117. Injiziert man Ratten zwei Tage nach dem Auslösen eines Infarkts intravenös menschliche Knochenmarkzellen, die diese Subpopulation enthalten, so wandern deren Mitglieder in das geschädigte Herzmuskelgewebe ein, siedeln sich dort an und bilden innerhalb der Infarktzone durch Teilung und Differenzierung neue Blutgefäße. Zudem geben die Stammzellen nicht näher definierte Signalstoffe ab, die im Gewebe rund um den abgestorbenen Bereich die Bildung weiterer Blutgefäße anregen. Dies fördert die Durchblutung des vom Infarkt nicht betroffenen Gewebes, sodass mehr gesunde vergrößerte Herzmuskelzellen überleben. Erfreuliches Resultat beider Effekte: weniger Bindegewebe und eine kleinere Narbe, was die Herzfunktionen dauerhaft verbessert.
Weil die Stammzellen bei diesem Therapieansatz einfach intravenös injiziert werden können, dürfte das Verfahren relativ problemlos auf den Menschen übertragbar sein. Weitere Studien müssen zeigen, ob es auch für Herzmuskel-regenerierende Stammzellen schonendere Alternativen zur riskanten Einpflanzung direkt am Herzen gibt. In jedem Fall stehen die Chancen gut, die zur Zeit noch unvermeidlichen Spätschäden nach einem Herzinfarkt durch den Einsatz von Knochenmark-Stammzellen zu mindern und damit die Lebenserwartung von Infarkt-Patienten deutlich zu erhöhen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2001, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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