Molekulare Teppiche auf Gold - Verschmelzung von Bio- und Nanotechnik
Mit einer neu entwickelten Stempelmethode gelingt es, auf Goldfolien in beliebigen Mustern hauchdünne Schichten aus Fadenmolekülen aufzutragen, die gleichsam Miniatur-Teppiche bilden. Auf diese Weise kann man geziehlt Oberflächen mit komplexen Eigenschaften erzeugen, die ein weites Feld interessanter Anwendungen eröffnen.
Gold läßt sich zu Folien auswalzen, die weniger als einen Mikrometer (tausendstel Millimeter) dick sind. Als Ernest Rutherford im Jahre 1911 eine solche Folie mit Alphateilchen (Atomkernen des Elements Helium, die bei radioaktiven Zerfallen freigesetzt werden) beschoß, gingen die meisten ungehindert hindurch. Dieses für die moderne Physik grundlegende Experiment demonstrierte, daß im Atom gähnende Leere herrscht: Fast alle Masse ist in den Kernen konzentriert, die nur einen verschwindend kleinen Bruchteil des Raums einnehmen.
Ebenso dünne Goldfolien stehen auch heute wieder im Mittelpunkt des Interesses. Gold ist relativ reaktionsträge und bei einer Schichtdicke von 200 Nanometern (millionstel Millimetern) nicht besonders teuer und praktisch durchsichtig, also auch für optoelektronische Bausteine geeignet. Wie George Whitesides von der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) herausfand, gibt es zudem eine ideale Unterlage für noch dünnere Schichten ab: Man kann darauf Kettenmoleküle anheften, die wie die Wollfäden in einem Teppich parallel angeordnet sind und dicht an dicht stehen. Sie bilden monomolekulare Schichten, die gerade so dick sind, wie eines der Moleküle lang ist: ein bis zwei Nanometer.
Sozusagen goldrichtig war auch die Entscheidung von Whitesides, die organischen Moleküle über schwefelhaltige Thiol-Gruppen (SH) an das Edelmetall zu koppeln. Diese stellen nicht nur die gewünschte Bindung her, sondern lösen auch Verunreinigungen von der Goldoberfläche ab, deren Verhütung sonst extreme Reinheitsbedingungen erfordert hätte. Am anderen Ende der Fäden kann man beliebige chemische Strukturen anknüpfen und somit nanometerdicke Teppiche mit den verschiedensten Oberflächeneigenschaften herstellen.
Wie Whitesides demonstrierte, lassen sich auf diesem hauchdünnen Fundament völlig neue Miniaturwelten aufbauen, in denen Nano- und Biotechnologie verschmelzen ("Science", Band 264, Seiten 696 bis 698). Zum Beispiel konnten die Forscher dank einer eigens entwickelten Stempeltechnik gleichsam gemusterte Nanoteppiche herstellen (Bild 1). Dabei verwendeten sie als eine Fadensorte einen für Proteine klebrigen Kohlenwasserstoff. Mit ihm überzogen sie einen im Mikromaßstab gefertigten gummiartigen Stempel und drückten diesen auf die Folie. Die hervorstehenden quadratischen oder rechteckigen Strukturen übertrugen dabei eine monomolekulare Schicht auf die entsprechenden Teile der Metalloberfläche, während die dazwischenliegenden Areale zunächst leer blieben. Sie wurden in einem zweiten Arbeitsgang mit einer ebenfalls monomolekularen Schicht einer proteinabweisenden Substanz aufgefüllt.
Anschließend brachten die Wissenschaftler den gemusterten Teppich mit Laminin zusammen, einem Hauptbestandteil der Extrazellulärmatrix, in der die Zellen im Körper eingebettet sind. Wie erwartet, hefteten sich die Eiweißmoleküle nur an die mit Kohlenwasserstoffen bedeckten Areale. Zum Schluß wurde die so vorbehandelte Oberfläche mit lebenden Zellen bestrichen, die sich wiederum so selektiv und exakt an die lamininbedeckten Bereiche hefteten, daß sie sich sogar der Geometrie der klebrigen Flecken anpaßten und eine quadratische oder rechteckige Form annahmen.
Wenn sich lebende Zellen auf diese Weise in hoher Dichte, aber ohne einander zu berühren, an definierten Orten eines Rasters anheften lassen, hat jede einzelne wie ein Haus auf einem Stadtplan quasi eine Adresse, so daß sie zum Beispiel von automatischen Meßsystemen jederzeit lokalisiert und identifiziert werden kann. Das eröffnet der biomedizinischen Forschung gänzlich neue Möglichkeiten, die Reaktion von Zellen auf Veränderungen zu untersuchen, und sollte etwa Screening-Verfahren für die Suche nach neuen Arzneimitteln sowie toxikologische Tests und gentechnische Untersuchungen erheblich vereinfachen.
Dabei ist die Immobilisierung lebender Zellen, von Whitesides ursprünglich mit der Absicht betrieben, Zusammenhänge zwischen Form und Funktion von Zellen zu erforschen, nur eine von zahlreichen Anwendungen seiner Stempeltechnik. Weil sich für jede Sorte von biologisch interessanten Molekülen eine spezifische Bindungsstelle entwerfen läßt, verheißt das Verfahren eine Nanotechnologie mit Biomolekülen, die ohne großen Aufwand in allen biochemischen Labors realisierbar ist ("Bio/Technology", Band 12, Seiten 468 bis 471). In den USA gibt es bereits ein Institut, die National Nanofabrication Facility auf dem Campus der Cornell-Universität in Ithaca (New York), das Wissenschaftler aller Disziplinen beim Entwickeln von Nanowerkzeugen – beispielsweise Stempeln mit extrem feinen Strukturen für ihre jeweiligen Zwecke unterstützt. Die Einrichtung hat so schon mehr als 500 Projekten auf die Sprünge geholfen.
Ebenfalls im Staate New York– bei der Firma General Electric in Schenectady – haben Irving Langmuir und Katharine Blodgett bereits in den dreißiger Jahren erstmals Oberflächenfilme flüssiger Systeme, welche zum Beispiel die Schaumbildung in Bier und Badewasser oder das Regenbogenschillern ölverschmutzter Pfützen bewirken, auf feste Substrate übertragen. Im einfachsten Falle braucht man dazu den Festkörper nur in die Flüssigkeit einzutauchen und wieder herauszuziehen.
Wußte man damals noch nichts Rechtes mit Langmuir-Blodgett-Filmen anzufangen, so sind sie in den vergangenen Jahren als Vehikel einer chemisch variierbaren, sozusagen weichen Nanotechnik zu einem vielseitigen Instrument der Forschung geworden. Hinzu kommt, daß mit jüngst entwickelten hochauflösenden Methoden zur Charakterisierung von Oberflächen wie der Rastertunnel- oder Rasterkraftmikroskopie auch feinste Unregelmäßigkeiten in der Struktur der Filme entdeckt werden können.
Inzwischen beschäftigen sich etliche Arbeitsgruppen damit, monomolekulare Schichten von biologisch aktiven oder chemisch interessanten Substanzen auf einen festen Untergrund aufzubringen. Ebenso wie Whitesides beschichtet James K. Whitesell von der Universität von Texas in Austin Goldoberflächen mittels Thiolgruppen – allerdings nicht mit Kohlenwasserstoffen, sondern mit Peptiden, also kurzen Ketten aus Aminosäuren. Diese sind so gewählt, daß schraubenartig gewundene Alpha-Helices entstehen. Sind die Ketten auf der Oberfläche verschieden lang, kann man sie mit geeigneten Enzymen wie mit einem molekularen Rasenmäher auf einheitliche Länge stutzen und erhält so einen dichten, glatten Rasen aus organischen Makromolekülen ("Angewandte Chemie", Band 106, Seite 921). Dabei verspricht die Variabilität der Peptidchemie eine Vielfalt neuartiger Oberflächen, die zwar künstlich hergestellt sind, ihren biologischen Vorbildern aber – je nach Bedarf –täuschend ähneln oder sie in bestimmten Eigenschaften sogar übertreffen können.
Doch lassen sich nicht nur weiche Materialien auf harte aufbringen, auch der umgekehrte Fall bietet interessante Möglichkeiten. So fanden keramikbeschichtete Kunststoffe, wenn man sie denn herstellen könnte, ein weites Anwendungsspektrum – von abnutzungsresistenten leichten Maschinenteilen über Sensoren und magnetische Speichermedien bis hin zu sogenannten intelligenten Werkstoffen, die von sich aus variabel auf die jeweilige Belastungssituation oder die Umgebungsbedingungen reagieren. Weil die gängigen Verfahren zur Herstellung keramischer Beschichtungen hohe Temperaturen (mehr als 800 Grad Celsius) erfordern, welche die meisten Kunststoffe nicht aushalten, schien diese Aufgabe unlösbar zu sein.
Andererseits vermögen Organismen bei der Bildung von Knochen, Zähnen, Muschelklappen und Eierschalen sehr wohl unter schonenden Bedingungen und bei niedrigen Temperaturen harte, mineralische Beschichtungen auf empfindliches organisches Material aufzubringen. Wie sie das schaffen, hat nun eine Arbeitsgruppe der Firma Battelle in Richland im US-Staat Washington untersucht. Nach ihren Feststellungen enthalten die biologischen Membranen, die als Untergrund für die Biomineralisation dienen, spezielle chemische Gruppen, welche bewirken, daß die anorganische Komponente aus der übersättigten Lösung auch tatsächlich auf der Oberfläche kristallisiert und nicht etwa an beliebigen Stellen in der Lösung ("Science", Band 264, Seiten 48 bis 55). Bringt man diese Molekülteile – beispielsweise eine Sulfonsäuregruppe (SO3H) – an Oberflächen von Kunststoffen wie Polystyrol oder Polycarbonat an, kann man den Mechanismus der Biomineralisation nachahmen und auf diesem biomimetischen Wege keramische Beschichtungen bei Temperaturen unter 100 Grad Celsius erzeugen.
Die Fabrikation dünner Keramikschichten nach natürlichem Vorbild hat auch in anderen Bereichen Vorteile gegenüber herkömmlichen Verfahren. Beispielsweise können Knochenimplantate aus porösem Titan auf diese Weise mit einer dünnen Schicht aus Calciumphosphat überzogen werden, das als Vorläufer für die Bildung des Knochenminerals Apatit dient, ohne daß die Poren, die für das Zusammenwachsen mit dem echten Knochen wichtig sind, dabei verstopft würden – der Gipfel an Bioverträglichkeit (Bild 2).
Peptide auf Gold, Keramik auf Kunststoff: Die enge Verbindung dünner Schichten von organischen mit anorganischen oder biologischen mit metallischen Materialien macht deutlich, wie in der Nanowelt auch die Disziplinen zusammenwachsen. Biologen nutzen die Lithographie, Elektronik-Bausteine enthalten biologische Komponenten, Werkstoffe verbinden die Beständigkeit des (anorganischen) Granits mit der chemischen Variabilität organischer Kunststoffe und den zweckoptimierten Struktureigenschaften der Biomoleküle. Unter all den dünnen Schichten mit ihren vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten dürfte für die technische Anwendung noch so manche G,oldader zu finden sein.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1994, Seite 23
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben