Geschichte: Müll und Marmorsäulen
Siedlungshygiene in der römische Antike
Philipp von Zabern, Mainz 2001. 72 Seiten, € 24,80
Philipp von Zabern, Mainz 2001. 72 Seiten, € 24,80
Zugegeben, es gibt appetitlichere Themen in der archäologischen Forschung als Umweltverschmutzung, -bewusstsein und Hygiene in der römischen Antike. Dennoch ist dies gerade in heutiger Zeit von größtem Interesse. Erstmals stehen Mülldeponien und Kloaken, verschmutzte Flüsse und kontaminierte Brunnen, Gestank und Ratten im Zentrum eines archäologischen Sachbuchs. Denn obwohl literarische, epigrafische, künstlerische und vor allem archäologische Befunde reichlich vorhanden sind, widmen sich erst neuerdings Abhandlungen diesem Themenkomplex. Günther E. Thüry, der an der Universität Salzburg römische Kunstgeschichte, Numismatik und Epigrafik lehrt, geht als Erster ins Detail.
Im ersten Kapitel über "siedlungshygienische Vorschriften und Maßnahmen"räumt der Autor mit den Märchen vom "sauberen Römer" auf. Obwohl vier Ädilen für die Straßenreinigung zuständig waren, war es üblich, den Straßenschmutz einfach in die Kanalisation zu spülen. Anwohner waren verpflichtet, ihren Hausmüll zu entsorgen, aber das geschah nicht selten aus Fenstern und von Balkonen aus, wie antike Autoren lebhaft schildern. Dass es üblich war, seine Notdurft an jeder Ecke zu verrichten, belegen Wandaufschriften, die auffordern, dergleichen im Bereich von Heiligtümern zu unterlassen. Der Autor weist auch nach, dass es eine geregelte Müllabfuhr ebenso wenig gab wie eine flächendeckende Wasserentsorgung oder Einzeltoiletten mit Wasserspülung.
Etwa die Hälfte des Buches behandelt den tatsächlichen Umgang mit dem Müll. Anhand von Beispielen und Tabellen (teils etwas zu ausführlich) zeigt Thüry, dass zwar Mülldeponien an den Stadträndern ausgewiesen waren, darüber hinaus aber auch in Siedlungen und Kastellen selbst und im Vorbereich von Stadtmauern Müll abgelagert wurde. Der Scherbenhügel Testaccio in Rom war auf Grund des Gestanks, der den Scherben der Öl- und Fischsoßengefäße entströmte, weit weniger idyllisch als heute. Haushaltsmüll wurde in den Lehmboden festgetreten oder in den Garten geworfen, und Gutshöfe schütteten Schlacht- und Werkstattabfälle in die Landschaft.
Ein besonders schwerwiegendes Problem war die Wasserverschmutzung, vor allem die Kontamination des Grundwassers. Senkgruben, Zisternen und Ziehbrunnen wurden missbraucht, offene Gewässer durch Abfall und ungeklärte Abwässer verunreinigt. Ein Musterbeispiel ist der Tiber, dessen Fische nicht mehr genießbar gewesen sein sollen. Seinem Wasser wurde jedoch, im Glauben an die magische Selbstreinigungskraft des Flusses, kultische und heilende Bedeutung zugesprochen. Auf den Abfalldeponien entwickelte sich eine regelrechte Müllfauna aus Parasiten und Schädlingen, Ratten und Mäusen, die zugleich Krankheitsüberträger waren.
Es gab nicht nur organischen Müll – Bauschutt, Keramik oder Metallschla-cken sind ebenfalls Hinterlassenschaften der antiken Wegwerfgesellschaft. Auch Recycling ist keine moderne Erfindung: Fäkalien dienten als Dünger, Urin als Bleichmittel für Walkereien und Gerbereien, Tonscherben als Notizzettel.
Der abschließende Vergleich mit den bisherigen spärlichen Forschungsergebnissen zur römischen Hygiene fällt ebenso knapp wie deutlich aus: Das Vorurteil vom "sauberen Römer" darf unbesorgt ad acta gelegt werden. Hygienische Mängel sind trotz Errungenschaften wie Thermen oder Aquädukten nicht zu leugnen. Die Römer empfanden Gestank zwar als störend und erkannten die Gesundheitsgefährdung, waren sich in manchen Punkten sogar bewusst, falsch zu handeln, aber dennoch kam es nur vereinzelt zu Einsicht oder Verhaltensänderung – nach Meinung des Autors vergleichbar mit den heutigen Verhältnissen.
Das Buch ist optischgut aufgemacht, die Fotos, Rekonstruktionszeichnungen und Pläne erläutern das im Text Gesagte anschaulich. Tabellen zu bestimmten Aspekten wie Uferdeponien, Kastelldeponien oder zu Beseitigung von Müll in Flüssen und Hafenbecken nennen Orte, Befunde und Literatur. Thüry setzt sich vom konventionellen Archäologenstand auch dadurch ab, dass er immer wieder den Bogen zu modernen Autoren wie Bert Brecht und Mark Twain schlägt.
Dem Autor ist damit ein allgemein verständliches, humorvoll und flüssig geschriebenes Buch mit ausführlichem Anhang gelungen, nach dessen Lektüre man um einiges schlauer geworden ist.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2002, Seite 114
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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