Editorial: Mut der Hoffnung
Der Zug verließ gerade einen Bahnhof namens »Paradies«, da trafen sich unsere Blicke. Die ältere Dame vor mir im Abteil sah mit säuerlicher Miene zwischen mir und meiner schlafenden Tochter hin und her und bemerkte trocken: »Wer heute noch Kinder in die Welt setzt, muss viel Mut haben.«
Ich gebe zu, ich wusste in dem Moment nichts zu erwidern und vertiefte mich, »hm, ja« brummend, weiter in mein Buch. Erst als ich den Titelkomplex dieser Ausgabe redaktionell betreute, fiel mir jene Episode wieder ein. Denn genau die Haltung, die aus den Worten der Dame sprach, behandeln unsere Autoren Martin Schröder und David Hommen ab S. 12.
Ersterer beschreibt, weshalb wir häufig meinen, es gehe mit allem »den Bach runter« – obwohl die Fakten das Gegenteil belegen: Das Leben nicht nur in Deutschland, sondern rund um den Globus war statistisch gesehen noch nie so gut wie heute! Ob Gesundheit, Ernährung, Umwelt oder Demokratie, die Welt sieht in vieler Hinsicht besser aus denn je. Und das macht Hoffnung. Natürlich gibt es nach wie vor große, oftmals neue Probleme und schreiende Ungerechtigkeiten. Doch wie Schröder argumentiert, lässt uns die Einsicht, dass die Dinge besser werden können, umso härter für die Zukunft unserer Kinder arbeiten.
David Hommen wiederum erklärt, warum sich das individuelle Glück von Menschen kaum objektiv bestimmen lässt. Man kann, überspitzt gesagt, den flüchtigen Illusionen des Verliebten oder des Egomanen nicht die Fähigkeit absprechen, dass sie tatsächlich glücklich machen. Seit Aristoteles versuchten zwar Denker aller Epochen, echte Erfüllung von der falschen, bloß oberflächlichen zu trennen. Wie unser Autor mit leiser Ironie darlegt, läuft das aber auf moralische Dilemmata hinaus.
In unserer Mediengesellschaft dominieren Alarmismus und Schwarzmalerei, weil sie Aufmerksamkeit erregen. Die Folge: Wo man hinblickt, nichts als Terror, Klimakollaps und andere Bedrohungen. Dieses »Gehirn&Geist«-Heft ist insofern auch ein Experiment. Findet die Botschaft »(Fast) alles wird besser« überhaupt noch Gehör? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort.
Eine glückliche Lektüre wünscht
Steve Ayan
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