Der Biowaffenexperte David Kelly ist nicht das einzige Opfer der Politik.: Nachgehakt: Der Tod des Experten und der Glaubwürdigkeit
Politik und Naturwissenschaft passen nur selten zusammen. Erstere ist die Kunst, Kompromisse zu schließen (wohlwollend definiert) beziehungsweise das Ausüben von Macht und die Durchsetzung von Interessen (was der Realität näher kommen dürfte). Naturwissenschaft hingegen ist wertfrei und lässt wenig Raum für ideologische Interpretationen (in der Regel zumindest). Wie stark der Spannungsbogen zwischen beiden ist, wissen wohl am besten Wissenschaftler zu bestätigen, die sich in dem nervenaufreibenden Geschäft der Politikberatung versucht haben.
Wie zermürbend und undankbar dieses Geschäft manchmal sein kann, hat David Kelly deutlich erfahren müssen. Der Molekularbiologe und Biowaffenexperte hielt den Druck nicht mehr aus, der im Zuge des Streits um die Glaubwürdigkeit des britischen Dossiers über die irakischen Massenvernichtungswaffen auf ihn ausgeübt wurde. Von verschiedenen Stellen des Regierungsapparats mit massiven Vorwürfen konfrontiert, entfloh er diesem Albtraum in den Freitod.
David Kelly war ein zurückhaltender, bedacht agierender Wissenschaftler, der dennoch äußerst zielstrebig und unnachgiebig sein konnte. Unter seiner Ägide wandelte sich das frühere Waffenlabor im englischen Porton Down zu einem Forschungszentrum zur Biowaffenabwehr. Ab August 1991 leitete er mehrere Biowaffen-Inspektionen, welche die United Nations Special Commission (UNSCOM) im Irak durchführte.
Kellys Team konnte damals herausfinden, dass der Irak Unmengen von Nährmedien für Bakterien importiert hatte, die unzweifelhaft auf ein biologisches Waffenprogramm hinwiesen. Kellys Wissen und seine intensiven, gleichwohl sorgsamen Befragungen irakischer Wissenschaftler und Techniker zwangen den Irak schließlich dazu, das Vorhandensein eines Biowaffenprogramms zuzugeben. Die gleiche Sorgsamkeit und respektvolle Behandlung wurde Kelly von seinen eigenen Landsleuten offenbar nicht zuteil.
Der Umgang mit dem Biowaffenexperten durch die Regierung wirft zusätzliche Fragen an die Akteure auf, die einen Regimewechsel im Irak militärisch erzwingen wollten (und erzwungen haben). Zur Legitimation des Militäreinsatzes wurde tief in die Trickkiste der so genannten Spin Doctors gegriffen, die Berichte schöpferisch gestalten, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Fundierte Kritik von wissenschaftlichen Experten passte da nicht ins politische Kalkül.
Zu der ungelösten Frage, wie Massenvernichtungswaffen, die gar nicht existieren, innerhalb von 45 Minuten einsatzbereit gemacht werden können (wie das Dossier behauptete), gesellten sich weitere Merkwürdigkeiten. Etwa, warum der US-Präsident George W. Bush zu der – nachweislich falschen – Behauptung griff, der Irak habe sich im Niger mit Atomwaffenmaterial eindecken wollen.
Auch die Geheimdienstinformationen, die US-Außenminister Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat präsentierte, um die Bedrohung durch den Irak zu belegen, entpuppten sich als wertlos beziehungsweise irreführend. In den vermeintlichen Waffendepots konnten US-Spezialeinheiten keine Spur von Massenvernichtungswaffen finden. Verdächtige Lastwagen – von den Geheimdiensten als mobile Labore zur Herstellung von Biowaffen eingestuft – erwiesen sich als Fahrzeuge zur Produktion von Wasserstoff, mit dem Wetterballons befüllt wurden.
Stellt sich hier angesichts der Arroganz und Glaubwürdigkeitskrise der Politiker nicht die Frage, ob wissenschaftliche Experten überhaupt noch mit ihnen zusammenarbeiten sollten?
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2003, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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