Nachgehakt: Die Sloterdijk-Debatte
Die Jasager und die Neinsager
Ein Vortrag des Philosophen Peter Sloterdijk über „Regeln für den Menschenpark“ vom Juli dieses Jahres hat für anhaltende Aufregung in den Feuilletons gesorgt. In der umstrittenen Rede wurde unterstellt, die modernen Massenmedien und das Internet hätten die Buchkultur und mit ihr das humanistische Bildungsideal abgeschafft, darum drohe dem Menschen die „Bestialisierung“. Aber an die Stelle der klassischen „Zähmung“ durch Erziehung werde ohnedies bald die „Züchtung“ durch gentechnische Manipulation menschlichen Erbguts treten. Sloterdijk untermauerte seine abenteuerlichen Thesen mit Zitaten aus Platon, Nietzsche und Heidegger sowie mit eigenen Wortspielen: Von „Lektion“ gelangte er zu „Selektion“ ebenso hurtig wie vom „Lesen“ zum „Auslesen“.
Der an solch heiklen Reizworten sich entzündende Streit schrumpfte eilig auf die wahrlich primitivste Form von Biologie: Jung gegen Alt. „Eine etwas freiere Generation rückt nach“, schrieb der jüngere Sloterdijk einem älteren Denker, der ihn angeblich hinterrücks kritisiert hatte: „...Die meisten ... denken dem Neuen entgegen, mit einer Freiheit, von der die alten Problemträger nur wenig wissen.“
Welchem Neuen entgegen? Mit welcher Freiheit? Das sollte wohl sogenanntes positives Denken bezeichnen, heiter-ausgelassenes Jasagen anstelle von kritischem Bedenken und altmodischem Neinsagen zu den Risiken einer wie auch immer gezielten „Menschenzüchtung“.
Aber Jasager wie Neinsager verweilen an der Oberfläche des Problems. Aus Unkenntnis sind beide Denker-Fraktionen besessen von genau dem Machbarkeitswahn, der doch angeblich nur die Wissenschaft umtreibt. In diesem Fall sind es aber eher die Wissenschaftler selbst, die seit Jahren auf die engen Grenzen hinweisen, in denen menschliches Erbgut gezielt und nicht als bloße „Kurpfuscherei“ (Sloterdijk) beeinflußbar ist.
Kein Lebewesen ist weniger „biologisch“ als der Mensch; er ist nun mal das zoon politikon, das gesellschaftliche Tier. Was aus ihm wird, ist aus den Genen allein nicht zu lesen, schon gar nicht auszulesen. Des Menschen Schicksal ist vor allem, was er politisch mit sich anstellt; auch ob er sich dabei technisch an die Gene geht, steht nicht in den Genen, sondern muß im politischen Raum entschieden werden.
Gewiß ist es an der Zeit, daß die Philosophen die Debatte über einen, wie Sloterdijk sich ausdrückt, „Codex der Anthropotechnik“ eröffnen, um über bloßes Ja oder Nein zur Genmedizin hinauszukommen. Ansätze dazu haben der Rechtsphilosoph Ronald Dworkin und der Philosoph Ernst Tugendhat im Rahmen der „Menschenpark“-Debatte geliefert. Anders als Sloterdijk argumentierten beide freilich nicht assoziativ und analogisierend, sondern analytisch.
So betonte Tugendhat den – von Sloterdijk flott überspielten – Unterschied zwischen gentechnisch Machbarem und gen-ethisch Gewünschtem; Dworkin skizzierte das Ausmaß der Herausforderungen, vor welche die Gentechnik unsere überkommenen Wertvorstellungen stellt. Beide Denker warfen – ohne voreilig Ja oder Nein zu rufen – erst einmal Fragen auf, die sich durch ein vorschnell ausgerufenes „Ende des Humanismus“ keineswegs von selbst erledigen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1999, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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