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Nachgehakt: Geschäfte mit Gentests aus der Drogerie



Rund drei Milliarden DNA-Buch-staben machen das menschliche Genom aus. Wenn Sie Ihr Erbgut im Schnelltest mit dem irgendeines anderen Menschen – gleich welchen geografischen Ursprungs – vergleichen könnten, würden Sie eine Übereinstimmung von mehr als 99,9 Prozent feststellen. Zufallsmutationen, wie sie als Kopierfehler bei jeder Zellteilung vorkommen können, liegen im Wahrscheinlichkeitsbereich von einem Millionstel und sind somit praktisch vernachlässigbar.

Der Löwenanteil von jenem Zehntelprozent, das uns Menschen zu genetisch einzigartigen Individuen macht, geht auf das Konto der so genannten SNPs, auch Snips ("Schnipsel") genannt. SNP steht für single nucleotide polymorphism, was schlicht bedeutet, dass für diese besondere Stelle im DNA-Text die Wahrscheinlichkeit, einen von der Mehrheitsversion abweichenden Buchstaben zu finden, ungewöhnlich hoch ist: Sie liegt im Bereich von einigen Prozent statt nur wenigen Millionsteln.

Auf Snips – oder Kombinationen davon – beruhen die meisten erblich bedingten Dispositionen für bestimmte Krankheiten (wie Brustkrebs, Diabetes oder Alzheimer-Syndrom) sowie die Unterschiede in der Wirksamkeit von Medikamenten bei verschiedenen Patienten (siehe Seite 23 und 62). Deshalb haben Genomforscher und Pharma-industrie ein besonderes Auge darauf geworfen. Gelänge es, die Rolle aller menschlichen Snips im Stoffwechsel aufzuklären, ließen sich Gesundheitsrisiken und Unverträglichkeiten für jeden Einzelnen genau vorhersagen.

Wer wäre nicht an solchen Informationen interessiert? Das hat sich nun die britische Firma Sciona zu Nutze gemacht, die übers Internet und durch einige Filialen der Handelskette "Body Shop" einen Erbgut-Test vertreibt. Käufer sollen einen Abrieb aus der Mundhöhle sowie einen ausgefüllten Fragebogen über ihre Lebensgewohnheiten einsenden. Sciona wertet die Daten aus und gibt dann individuell angepasste Gesundheitsratschläge.

Britische Genetiker (einschließlich einiger Experten, mit deren Namen Sciona wirbt) halten den Test allerdings für eine unverantwortliche und gefährliche Mogelpackung. Schließlich ist die Rolle der meisten Snips noch völlig unklar, und in vielen Fällen dürften hinter erblichen Krankheits-anfälligkeiten komplizierte Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Erbfaktoren stecken. Außerdem pickt der Test nur neun Gene heraus, von denen man aus Untersuchungen über Berufskrankheiten weiß, dass abweichende Versionen gewisse Risiken bergen. Auf sechs davon sind Enzyme verschlüsselt, die der Beseitigung von Giftstoffen dienen. Der Rest hat mit dem Abbau von freien Radikalen, des Vitamins Folsäure und von Alkohol zu tun.

Test-Teilnehmer, die von einem dieser Gene die nicht optimale Version besitzen, erhalten von Sciona Gesundheitsratschläge der Art, wie sie uns allen sowieso vertraut sind: Esst weniger geräuchertes Fleisch und stattdessen mehr Gemüse, trinkt Alkohol nur in Maßen. Wer den Risikofaktor nicht hat, bekommt die Auskunft, dass er zwar nicht besonders gefährdet ist, aber die erwähnten Maßregeln am besten trotzdem befolgen sollte. Im Wesentlichen zahlt man umgerechnet fast 200 Euro für Ratschläge, die der Hausarzt auch umsonst gibt.

Kritik richtet sich aber auch gegen die Dinge, die Sciona verschweigt. Einige der untersuchten Genvarianten werden mit erhöhten Krebsrisiken in Verbindung gebracht, doch den Testkäufern bleiben diese Hiobsbotschaften erspart. Dass solche Informationen auch in die falschen Hände gelangen und dem Kunden Schwierigkeiten mit Arbeitgebern oder Versicherungen bereiten könnten, hat man bisher unter den Teppich gekehrt.

Insgesamt sind sich wohl die meisten Experten einig, dass der gegenwärtige Kenntnisstand über Snips (ganz zu schweigen von der kümmerlichen Auswahl von nur neun Genen) für einen aussagekräftigen Erbgut-Check auf Erkrankungsrisiken keinesfalls ausreicht. Und wenn solche Tests einmal wirklich ein umfassendes, zuverlässiges Bild liefern würden, wäre ihr Vertrieb über den Laden um die Ecke ganz sicher nicht geeignet, Bedenken über den Datenschutz und die gen-ethischen Implikationen zu zerstreuen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2002, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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