Nachgehakt: Ist die Spur der Milzbrandbriefe zu eindeutig?
Die Ermittler tun sich angeblich mit dem Ermitteln schwer.
Vergangenen Oktober erkrankten in den USA 22 Menschen an Milzbrand, fünf davon starben. Da diese Krankheit, die von dem Sporen bildenden Bakterium Bacillus anthracis ausgelöst wird, bereits zwanzig Jahre lang nicht mehr aufgetreten war, lag der Verdacht eines Anschlags mit Biowaffen nahe. Die Ermittler konnten alsbald die meisten der Fälle mit Briefen in Verbindung bringen, die vorsätzlich mit Anthrax-Sporen verseucht und mit der Post verschickt worden waren. (Vier Opfer, die keine derartigen Briefe erhalten hatten, werden inzwischen der Kreuzkontamination bei der Postsortierung zugeschrieben.)
In der gereizten Stimmung jener Monate beschuldigte man sofort die üblichen Verdächtigen. Die Spekulation darüber, welcher der "Schurkenstaaten" es gewesen sein könnte, zierte wochenlang die Titelseiten der Zeitungen. Allein, ein geeigneter Sündenbock ließ sich nicht finden, und noch vor Jahresende wurde es stiller um den Bioterrorismus. Nicht etwa, weil die wissenschaftliche Analyse der verwendeten Anthrax-Sporen unergiebig gewesen wäre. Im Gegenteil, die Befunde grenzten den Ursprung des in höchst mörderischer Weise optimierten Biomaterials auf vier Labors ein, und nur ein paar Dutzend Personen kamen als Attentäter in Frage.
Das Dumme war nur: Alle vier Labors befinden sich in den USA und arbeiten für die US-Regierung. Während die Weltöffentlichkeit auf Afghanistan blickte, wo die Taliban und die Al-Qaida-Mitglieder als Urheber der Flugzeug-Anschläge in New York und Washington bombardiert wurden, blieb Fort Detrick (Maryland) unbehelligt. Aus dem dortigen Labor für Biowaffenforschung, das die US-Armee für Verteidigungszwecke betreibt, stammen offenbar die von den Bioterroristen benutzten Anthrax-Sporen. Hat man die Geschichte einfach unter den Teppich gekehrt?
George Monbiot, Biologe und als Kolumnist der britischen Tageszeitung The Guardian einer der brillantesten Kritiker der herrschenden Verhältnisse (siehe www.monbiot.com), hat nun einen Vorstoß unternommen, diesen Teppich ein wenig zu lüften. Er versucht aufzuzeigen, wie die US-Behörden ihre Untersuchung geschickt an den wahren Schuldigen vorbeisteuerten und ins Leere laufen ließen. Monbiot stützt sich dabei auf die Untersuchungen der Biowaffen-Expertin Barbara Hatch Rosenberg, die ein genaues Täterprofil erstellt hatte. Angesichts der hochspezialisierten Kenntnisse und Techniken, die der Täter besessen haben muss, lässt sich der Kreis der Verdächtigen auf wenige Personen eingrenzen. Mehrere von Rosenberg befragte Mikrobiologen nannten als Hauptverdächtigen sogar dieselbe Person.
All dies teilte Rosenberg dem FBI mit, doch ihre Erkenntnisse wurden ignoriert. Anstatt sich die wenigen in Frage kommenden Personen einzeln vorzunehmen, versuchte die US-Bundespolizei den Eindruck zu erwecken, es könne praktisch jeder beliebige Staatsfeind mit einem Experimentierkasten hinter dem Anschlag stecken. Monbiot beschreibt genüsslich, wie das FBI noch im Januar eine breit gestreute Fahndungsaktion aufzog, mit Millionen an Belohnungsgeldern, hunderttausenden Flugblättern und Tausenden von Briefen (unverseucht, hoffentlich!) an amerikanische Mikrobiologen. Für die Personalakten der vier Labors, die mit dem bei den Anschlägen verwendeten Anthrax-Stamm (inzwischen auf den Namen Florida-Stamm getauft) arbeiteten, interessierten sich die Agenten hingegen nicht.
Mittlerweile ist das Genom des Florida-Stamms vollständig sequenziert (siehe Science, Bd. 296, S. 1002). Erste Versuche, mittels genetischer Marker zwischen den verschiedenen Labor-Stämmen zu unterscheiden (die sich alle von dem bereits vorher sequenzierten, in Fort Detrick entwickelten Ames-Stamm ableiten), scheiterten an der zu großen Ähnlichkeit der Varianten. Doch dieses Unterfangen wird den Kreis der Verdächtigen lediglich um den Faktor vier verkleinern. Wenn die glamouröse Bundespolizei den Absender der Briefe nicht finden will, wird sie ihn auch dann nicht finden, wenn statt vier Labors nur noch eines in Frage kommt. Es gibt einen Punkt, schreibt Monbiot, an dem Inkompetenz als Erklärung des Scheiterns nicht mehr ausreicht. Wie wahr.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2002, Seite 105
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