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Nachgehakt: Mars- und andere Menschen


Es wäre so schön gewesen: Kurz bevor ein Wägelchen auf dem Mars landet und dort die rötliche Gesteinswüste untersucht, finden Wissenschaftler in einem vor Jahren aus dem irdischen Polareis geborgenen Meteoriten Hinweise auf Leben auf dem Nachbarplaneten. Mit einem Schlag scheint sich die Analyse toten Marsgesteins zur faszinierenden Suche nach Spuren fremden Lebens im All zu wandeln. Die Frage, ob sich der Aufwand für unbemannte Planetensonden, für die bemannte Raumstation, für eine Reise von Menschen zum Mars denn lohne, erscheint auf einmal für jedermann einleuchtend bejaht.

Doch wie sich immer deutlicher herausstellt, war wieder einmal der Wunsch der Vater des Gedankens. Die Argumente für die Behauptung, der Marsmeteorit berge Spuren fossilen Lebens, wurden eines nach dem anderen entkräftet. Das augenfälligste und darum suggestivste Indiz waren längliche und gekerbte Formen, die unter dem Elektronenmikroskop Relikten wimmelnden Lebens glichen. Aber bald führten die Kritiker ähnliche Gebilde vor, die rein anorganischen Ursprungs waren oder gar bloße Artefakte des bildgebenden Verfahrens: Auch Kristallränder, die aus einer Probe ragen, bedecken sich beim Präparieren für die elektronenmikroskopische Aufnahme mit den gleichen vielfach quer eingeschnürten Wülsten.

Nicht viel besser erging es den übrigen Indizien. Für praktisch jedes einzelne läßt sich unterdessen eine Erklärung angeben, die ohne den Rückgriff auf Lebensvorgänge auskommt.

Ist damit der Fall erledigt? Nicht ganz. Denn der Rummel um den Marsmeteoriten ist ein Lehrstück über das heikle Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Kurz bevor die Vertreter der wissenschaftlichen These, gewisse Details des Marsboten könnten auf fossile Lebensspuren hindeuten, ihren Fachartikel in „Science“ herausbrachten, ging die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA an die Öffentlichkeit. In der eilig einberufenen Pressekonferenz war wenig Platz für vorsichtige Einschränkungen. Während die Autoren in ihrem „Science“-Artikel nirgends von einem eindeutigen Beweis für Leben auf dem Mars sprechen, nur von mehr oder weniger plausiblen Indizien, hieß es in der Presse gleich: Nun wisse man endlich, daß wahr sei, was Science-fiction-Romane schon immer behauptet hätten.

Kurzfristig ging die Rechnung der NASA auf. Politiker jeder Couleur beeilten sich, mehr Geld für Raumfahrtprojekte zu fordern, und die Pathfinder-Mission fand breitestes Interesse, fast als würde sie gleich Bilder winkender Marsbewohner zur Erde übertragen.

Aber auf jeden Rausch folgt unweigerlich der Kater. Ernüchtert mußten die Zuschauer feststellen, daß die Bodensonde doch nur totes Gestein vorfand – und nun erhoben sich erst recht wieder die Stimmen, die den Sinn solch kostspieliger Unternehmungen in Frage zu stellen pflegen.

In der begreiflichen Absicht, drohende Budgetkürzungen abzuwehren, hatte die NASA sich einen Bärendienst erwiesen. Gerade indem sie die Sehnsucht nach einer Begegnung mit Leben im All für sich einzuspannen suchte, mußte sie viele gutgläubige Menschen letztlich enttäuschen. Gutgläubig agierten aber auch jene Medien, welche die sensationelle Meldung kritiklos verbreiteten.

Jede Organisation, die von der Öffentlichkeit Unterstützung für wissenschaftliche Vorhaben fordert, wäre gut beraten, dafür nicht mit der Aussicht auf spektakuläre Überraschungen zu werben, sondern eher mit dem nüchternen Ausblick auf neue Erkenntnisse. Die menschliche Neugier ist ein so unersättlicher Antrieb, daß es keiner Sensationsmache bedarf, sie eigens wachzukitzeln.

Und wenn es jemandem doch schade sein sollte um das dafür aufgewendete Geld, so komme man ihm besser nicht mit Außerirdischen, die gleich um die Ecke auf Kontakt mit ihm warten, sondern mit dem simplen Argument: Das Geizen mit Mitteln für die Raumfahrt ist angesichts der Unsummen, die etwa für das Herstellen und Anschaffen ausgeklügelter Waffen bereitstehen, ein trauriger Witz. Eine internationale bemannte Mission zum Mars geriete so zu einer irdischen Friedensmission, die als Ziel keine Marsmenschen braucht.

Eher im Gegenteil: Für grüne Männchen könnte ja gelten, was der Physiker und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg schon vor 200 Jahren über Rothäute bemerkte: „Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung.“


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1999, Seite 71
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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