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Nachgehakt: Nukleare Waffen - schon vergessen?



Zu Weihnachten alarmierte ein Fax die Internationale Atomenergiebehörde in Wien: Zum dritten Mal waren in Georgien Behälter gefunden worden, die so intensive Wärme ausstrahlten, dass rundum der Schnee schmolz. Den Findern wurde bald übel, und sie entwickelten rasch alle Symptome schwerer Strahlenkrankheit.

Gegenwärtig ist ein Team der Atombehörde in Abchasien – einer unruhigen, von Separatisten mit Terror bedrohten Region Georgiens – unterwegs, um nach weiteren "heißen" Behältern zu suchen. Jedes Gefäß enthält so viel radioaktives Strontium-90, wie bei der Tschernobyl-Katastrophe im Jahre 1986 insgesamt frei wurde. Anscheinend stellte die Sowjetunion mehrere hundert solcher Behälter her, um aus der darin erzeugten Wärme Energie für militärische Radiosender zu gewinnen. Nur einige wenige der Container wurden in Nachfolgestaaten der UdSSR sichergestellt; wo die Übrigen lagern, ist den Nuklear-Kontrolleuren ein Rätsel.

Solche Berichte tauchen zwar in Wissenschaftsjournalen auf ("Science", Bd. 295, S. 779, 1. Februar 2002), gehen aber in der alltäglichen Flut von Kriegs- und Terrormeldungen unbemerkt unter. Denn allgemein herrscht der Eindruck vor, wir hätten spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion das Atomzeitalter endgültig hinter uns und seien nun in die Ära der Biotechnologie eingetreten – und dementsprechend ist die Öffentlichkeit höchst besorgt über Biowaffen, aber weit gelassener gegenüber der nuklearen Bedrohung.

Tatsächlich besteht die Atomgefahr weiter, sie ist nur unübersichtlicher geworden. Allein aus der Wiederaufbereitung ziviler Kernbrennstoffe haben sich bis heute 200000 Kilogramm Plutonium angehäuft – für die Zerstörung von Nagasaki reichten sechs. Die großen Atommächte USA und Russland besitzen noch immer je 2000 nukleare Sprengköpfe, die sie auf Raketen binnen einer Viertelstunde starten können. Zwischen diesen Mächten schwelt gegenwärtig ein riskanter Konflikt wegen der amerikanischen Pläne, ein nationales Raketenabwehrsystem zu installieren.

Hinzu kommen die "mittelgroßen" Nuklearmächte Großbritannien, Frankreich und China sowie die kleinen: Israel, Indien und Pakistan – Letztere inmitten akuter Konflikte, bei denen stillschweigend oder offen die nukleare Option mit im Spiel ist (Spektrum der Wissenschaft 2/2002, S. 92).

Wäre es nicht höchste Zeit, über den Abbau eines Vernichtungspotenzials zu reden, das nach wie vor gefährlicher ist als alle Umwelt- und Bio-Risiken zusammengenommen? Wenn es eine globale Bedrohung gibt, dann diese. Der Ausweg, den der amerikanische Physiker und Abrüstungsaktivist Richard L. Garwin und der französische Physik-Nobelpreisträger Georges Charpak skizzieren ("Megawatts and Megatons", Knopf, New York 2001), mutet so nahe liegend wie utopisch an: USA und Russland halbieren im ersten Schritt ihre atomaren Arsenale, die Mittelmächte rüsten im Zuge multilateraler Verhandlungen ab. Am Ende kontrolliert der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen Restbestand von einigen hundert Nuklearwaffen.

Garwin und Charpak laufen mit solchen Ideen gewiss Gefahr, als Utopisten belächelt zu werden; doch dieses Risiko ist geringfügig gegen das, wogegen sie sich wenden.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2002, Seite 98
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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