Nachgehakt: Pisa und der Walser-Effekt
Was jahrelang nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert wurde, ist seit Ende letzten Jahres amtlich: Deutsche Schüler schneiden in den Bereichen Leseverständnis sowie mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung im internationalen Vergleich miserabel ab.
Jetzt legte der neue Teil der Pisa-Studie noch eins drauf: Die Unterschiede in den Leistungen der Schüler, nach Bundesländern aufgeschlüsselt, sind eklatant. Dieses Ergebnis birgt aufgrund unseres föderalen Bildungssystems erheblichen Zündstoff.
Die Bildungspolitiker reagierten denn auch mit altbekannten Reflexen: Stärken der einzelnen Bundesländer wurden jeweils auf die eigene parteipolitische Fahne geschrieben, Mängel (der anderen, versteht sich) auf das Versagen des politischen Gegners zurückgeführt. Schließlich ist Wahlkampf in Deutschland.
Und die Medien beteiligten sich pflichtbewusst an diesem Gezänk. Dabei unterlagen Politiker wie Journalisten erneut dem Walser-Effekt: Jeder diskutiert mit, doch kaum jemand hat das Werk zuvor gelesen. So, wie Politiker Politik nicht für den Wähler, sondern gegen den Konkurrenten machen, schreiben Zeitungen nicht für den Leser, sondern gegen den Mitbewerber auf dem Medienmarkt. Deshalb ist Schnelligkeit Trumpf. Meinungen müssen her. Es gilt, die Lücke zu besetzen, bevor es der andere tut.
Es wird einige Zeit dauern, bis Vernunft und Sachlichkeit in die Diskussion zurückgekehrt sind. Wer es ernst meint mit Reformen des Bildungssystems, wird an starren Strukturen rütteln müssen. Nationale Bildungsstandards und übergeordnete Qualitätssicherung dürfen trotz der Hoheit der Bundesländer über die Schulpolitik kein Tabu mehr sein.
Bildung ist eben kein Problem der einzelnen Länder. Sie geht uns alle an – unabhängig davon, ob wir in Bayern oder Bremen wohnen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2002, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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