Nachgehakt: Schunkeln im Prozessortakt
Die Computermesse CeBIT, alljährli- ches Beschwörungsritual für eine bessere, weil digital durchdrungene Welt, hat wieder einmal alle Erwartungen übertroffen und neue geweckt. Auch wer sich nicht persönlich in den Hannoverschen Festhallen informierte, konnte im bunt bedruckten Blätterwald oder – zeitgemäßer – im Internet die vielfältigen Botschaften der Aussteller empfangen. Ihr Tenor: Wem die technische Entwicklung bislang schon zu schnell ging, der muss sich warm anziehen, denn jetzt kommt sie erst richtig in Fahrt. Ob das die Bedürfnisse einer Mehrheit trifft, scheint fraglich.
Doch die Kunde wird begeistert verbreitet: Endlich gibt es Ein-Gigahertz-Prozessoren (wer noch mit einem Pentium II ar-beitet, sollte sich schämen), endlich verdrängt die DVD das immerhin schon 20 Jahre alte VHS-Video-System.
Alles wird gut: Das Handy mutiert zum universalen Informationsknoten, der das Internet ständig erreichbar macht, Walkman spielt, den bargeldlosen Zahlungsverkehr abwickelt und vieles mehr.
Alles wird noch besser im digitalen Haushalt: Der intelligente Kühlschrank, derzeit noch ein Prototyp, weiß um seinen Inhalt und bestellt per Internet die fehlenden Zutaten zur Pasta. Haute Couture aus dem Elektroniklabor: Chips in Kleidung oder als Piercing wissen um Gesundheits- und Gemütszustand des Trägers.
Schöne, neue Computerwelt. Die IT-Branche boomt und beklagt den Mangel an Fachkräften (statt mehr in deren Ausbildung zu investieren). Traurig stimmt sie nur eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Universum, wonach Informatikstudenten von sicheren Jobs und Privatleben träumen. Solche Lebenskonzepte finden künftig höchstens virtuelle Nischen.
Doch noch ärger traf die Jubelfront eine Umfrage des Fachverbandes VDE zur Akzeptanz von Informationstechnik und Telekommunikation in Deutschland. 58 Prozent der Männer bejahen die Entwicklung, bei den weiblichen Befragten sind es dagegen nur 44 Prozent. Im Alter zwischen 14 und 34 heben etwa zwei Drittel den Daumen, ab 55 Jahren ist es noch einmal ein Drittel weniger. Und während 73 Prozent der Hochschulgebildeten pro Informationsgesellschaft sind, sinkt die Akzeptanz unter Hauptschulabgängern auf 38 Prozent. Das wäre bei anderen Technologien ein recht sattes Ergebnis, für die beabsichtigte Totaldurchdringung der Gesellschaft reicht es aber nicht.
Als Grund vermutet der Interessenverband ein Kommunikationsdefizit: Chancen und Möglichkeiten der Informationsgesellschaft würden der Öffentlichkeit nicht genug verdeutlicht. Wohl wahr, nicht jeder blättert in Computerzeitschriften, Fachbüchern oder wissenschaftlich-technischen Publikumsmagazinen wie "Spektrum der Wissenschaft" (leider). Von den durchgestylten Werbespots zu Rechnern und Mobiltelefonen bleibt auch nicht mehr in Erinnerung als ein "Ich bin ja schon drin". Vielleicht wurde bislang rund die Hälfte der über 14-Jährigen in Deutschland nicht angesprochen und hinreichend aufgeklärt?
Aber könnte es auch erlaubt sein, das Mitschunkeln im Prozessortakt zu verweigern? Selbst eine beharrliche Nicht-Akzeptanz darf sich auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen. Und auch wenn es die Goldgräberstimmung dämpft: Die Bedürfnisse der Menschen unterscheiden sich. Ein Handwerker darf das Kartenspiel in der Kneipe dem Internetchat vorziehen, ein älterer Mensch die persönliche Bedienung am Bankschalter dem abstrakten Zahlungsverkehr via Handy.
Doch die Prophezeiung steht, der Umbau zur Informationsgesellschaft findet statt. Die nächste Generation wird sie als selbstverständlich hinnehmen. Bleibt zu hoffen, dass auf der Fahrt dorthin nicht allzu viele aus der Kurve fliegen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2000, Seite 26
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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