Nachgehakt: Wie Forscher zu Betrügern werden
Spektrum der Wissenschaft berichtete im September 1999, "völlig unerwartet" sei es am kalifornischen Lawrence Berkeley National Laboratory (LBNL) erstmals gelungen, einige Atome der superschweren Elemente mit den Ordnungszahlen 116 und 118 zu synthetisieren. Erst jetzt stellt sich heraus, wie begründet die Überraschung der Fachwelt war: Die für den vermeintlichen Nachweis der künstlichen Elemente entscheidenden Daten waren gefälscht worden; den mutmaßlichen Täter, Victor Ninov, hat das LBNL inzwischen entlassen.
Derselbe Forscher hatte zuvor bei der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt an der Synthese der Elemente 110 und 112 mitgewirkt. Durch den Skandal in Berkeley misstrauisch geworden, fanden die Wissenschaftler in Darmstadt jetzt bei erneuter Nachprüfung heraus, dass er offensichtlich auch bei ihnen Daten manipuliert hatte – allerdings seinerzeit nur, um echte Befunde, die weiterhin Bestand haben, durch Hinzuerfinden passender Resultate zu "schönen". Offenbar ging der mutmaßliche Betrüger erst in Berkeley so weit, die Daten zum Nachweis neuer Elemente komplett zu fingieren.
Die Forscherkollegen sind fassungslos: Was trieb den Täter, ihr Vertrauen so zu missbrauchen? Welchen Sinn konnte er in einem erschlichenen Triumph sehen, der unweigerlich mit dem Ruin seiner wissenschaftlichen Laufbahn enden musste?
Beim Versuch einer Antwort fallen Parallelen mit anderen Affären der letzten Zeit auf: Die deutschen Krebsforscher Friedhelm Herrmann und Marion Brach fälschten Anfang der 1990er Jahre Daten in mindestens vier gemeinsamen Publikationen. Und gegen den scheinbar ungemein erfolgreichen Halbleiterforscher Jan Hendrik Schön läuft seit Mai dieses Jahres eine Untersuchung seiner Arbeit für die Bell Laboratories in Murray Hill (New Jersey) – denn in einigen Publikationen präsentierte der deutsche Jungstar identische Diagrammkurven zu ganz unterschiedlichen Problemstellungen.
Diesen und ähnlichen Fällen ist gemeinsam, dass der betreffende Wissenschaftler unter großem Erfolgsdruck auf ein Ziel losgeht, das ihm zum Greifen nahe scheint – und das sich immer wieder hinter komplizierten Apparaturen und zeitaufwendigen Nachweismethoden versteckt. Um am Ball zu bleiben, muss der Forscher fest an sein Ziel glauben und seine Methoden immer weiter verfeinern. Dabei kann es geschehen, dass sein Glaube sozusagen stärker wird als die vorliegenden Daten und er sie so zurechtbiegt, wie sie nach seiner Überzeugung sein müssten, wenn alles nur endlich seine Richtigkeit hätte.
Hinzu kommt, dass in der modernen Forschung komplizierte Apparate und Methoden eine derart entscheidende Rolle spielen, dass oft ein Einzelner eine Monopolstellung im erfolgreichen Umgang damit erwirbt. An der GSI und am LBNL war der unterdessen wohl überführte Fälscher für die computergestützte Datenauswertung allein zuständig; nur ihm trauten die Kollegen zu, das ersehnte Ereignis aus einer Flut störender Hintergrunddaten herauszulesen. Bell-Forscher Schön wiederum verteidigt sich gegen den Vorwurf, seine Resultate seien nicht reproduzierbar, mit dem Argument, nur er beherrsche eben den diffizilen Umgang mit den nanotechnologischen Geräten zur Herstellung seiner neuartigen Halbleiterschichten.
In solchen Fällen wird – zumindest auf kurze Sicht – das entscheidende Kriterium für wissenschaftliche Wahrheit in Frage gestellt: die Fähigkeit anderer Forscher, die Ergebnisse zu reproduzieren. Solange eine bestimmte Forschungsanstrengung an diesem prekären Punkt verharrt, bleibt der Gemeinschaft der Wissenschaftler und insbesondere dem beteiligten Team gar nichts anderes übrig, als jedem einzelnen seiner Mitglieder fast blind zu vertrauen. Unter dem psychischen, finanziellen und zeitlichen Druck, mit den teuren Apparaten endlich Erfolge vorweisen zu können, kann da-raus die Versuchung entstehen, den Weg zum ohnedies erwarteten Resultat abzukürzen. Dabei bleibt die Wahrheit auf der Strecke, wenn auch nicht für lange.
Bleibenden Schaden nimmt durch den Vertrauensbruch nicht "die" Wissenschaft als solche, denn die erholt sich nach jedem Fall für gewöhnlich bald wieder. Dauerhaft beschädigt wird vielmehr das Ansehen der Wissenschaftler als Angehörige einer ganz besonderen Zunft: Mit jedem neuen Betrugsfall stehen sie in der Öffentlichkeit als Wesen da, die auch nicht besser sind als die üblichen Verdächtigen wie korrupte Politiker oder gedopte Spitzensportler. Unverzeihlich an den wissenschaftlichen Betrügereien ist, dass sie den Eindruck erwecken, nun könne man nicht einmal mehr den Leuten vertrauen, die sich der Wahrheitssuche verschrieben haben.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2002, Seite 102
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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