Neurobiologie: Neandertalerhirne in der Petrischale
Forscher der University of California in San Diego lassen in ihrem Labor erbsengroße Klümpchen aus Nervenzellen wachsen, denen sie zuvor Erbgutsequenzen unserer ausgestorbenen Cousins eingepflanzt haben. Die Zellhaufen sind weit von einem richtigen Gehirn entfernt, erlauben aber dennoch einige grundlegende Untersuchungen. Die Hoffnung der Wissenschaftler ist es, so mehr darüber herauszufinden, worin sich das Gehirn der Neandertaler von unserem unterschieden hat.
Schon seit Jahren entwickeln Forscher aus Stammzellen kleine Modellorgane, so genannte Organoide, an denen sie etwa Medikamententests oder Grundlagenforschung durchführen. Auch mit Hirnzellen ist das möglich: Neuronale Stammzellen wachsen in der Petrischale, vermehren sich und bilden eine dreidimensionale Struktur, die grob derjenigen der Großhirnrinde entspricht. Die Neurone sind teilweise sogar aktiv, feuern und bilden untereinander Synapsen.
Das Team um Alysson Muotri verpasste nun seinen Ausgangszellen eine neandertalertypische Gensequenz und regte sie anschließend zum Organoidwachstum an. Homo sapiens und Homo neanderthalensis weichen in rund 200 Genen, die mit Hirnwachstum und -funktion zu tun haben, voneinander ab. Allerdings übertrugen Muotri und Co. nur eines davon in ihre Minihirne. Das Gen mit dem Namen NOVA1 spielt eine wichtige Rolle bei der frühen Hirnentwicklung und wirkt bei der Erzeugung von RNA-Abschriften mit. Dadurch hatte der Einbau der Neandertalervariante weit reichende Folgen. Wie Muotri und Kollegen entdeckten, nahmen die Organoide nicht mehr ihre übliche runde Form an, sondern sahen »wie Popcorn« mit unregelmäßigen Ausbuchtungen aus. Die Nervenzellen wanderten offenbar auch schneller durch die Organoide und bildeten weniger Synapsen aus als Organoide, die nur DNA moderner Menschen enthielten.
Inwieweit sich diese Unterschiede auf die tatsächlichen Verhältnisse im Gehirn von Neandertalern übertragen lassen, ist noch unklar. Möglicherweise kompensieren andere Gene in ihren Neandertalervarianten die Effekte des NOVA1 wieder. Alle 200 fraglichen DNA-Sequenzen in die Vorläuferzellen zu übertragen, wäre mit derzeitigen Mitteln – der CRISPR-Technologie – allerdings ein immenser Aufwand, wenn nicht gar unmöglich.
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