Verkehrsmanagement: Netze in Fahrt
Autos sollen künftig spontan über Funk kommunizieren und den Fahrer in Sekundenbruchteilen vor Gefahren warnen.
Ich sehe was, was du nicht siehst" heißt ein beliebtes Spiel, um Kindern die Langeweile bei endlosen Autofahrten zu vertreiben. Doch mit den Eltern macht das keinen Spaß – lustiger wäre es, mit Kindern in vorbeifahrenden Autos zu spielen. Könnten sich Autos in Sekundenbruchteilen spontan über Funk zu einem Netz zusammenschließen, ließen sich solche Spiele veranstalten. Weit wichtiger freilich: Auch Warnmeldungen wären blitzschnell von einem Fahrzeug beim anderen.
Eine Reihe von Forschungsvorhaben beschäftigt sich mit solchen Szenarien. Wissenschaftler untersuchen, wie sich Autos vernetzen lassen, zum Teil auch unter Umgehung herkömmlicher Mobilfunknetze. Denn der heutige GSM-Mobilfunk ist bei voller Fahrt störanfällig, und auch beim künftigen UMTS-Standard sinkt die Übertragungsrate bei hohen Geschwindigkeiten. Teuer sind die Mobilfunknetze obendrein – und langsam: Bis eine Verbindung aufgebaut ist, mag das andere Fahrzeug längst davongefahren sein. Und die Telefonnummer des anderen Fahrzeugs kennt man normalerweise auch nicht.
Zwei Forschungsprojekte in diesem Segment des Verkehrsmanagements sind FleetNet, dem unter anderem DaimlerChrysler, Siemens und Bosch angehören und das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, sowie CarTalk, ein vergleichbares Projekt unter EU-Regie, das Sicherheitsanwendungen für solche Kommunikationsnetze erforscht.
Ein typisches Szenario könnte so aussehen: Hinter einer Kurve ist ein Stau. Der Abstandssensor des Fahrzeugs am Ende des Staus schaltet automatisch den Warnblinker ein, den aber die herankommenden Fahrer hinter der Kurve nicht sehen können. Mit FleetNet dagegen würde blitzschnell eine Funkverbindung zum nachfolgenden Fahrzeug hergestellt und eine Warnung gesendet (siehe Grafik rechts). Von dort hangelt sich das Signal in Sekundenbruchteilen von Auto zu Auto. Die nachfolgenden Fahrzeuge schalten funkgesteuert den Warnblinker ein und drosseln automatisch ihr Tempo. Ziel ist es, die Wahrnehmung des Fahrers zu erweitern und ihn mit Informationen über Verkehrslage und Straßenbeschaffenheit zu versorgen, die weniger als eine Sekunde alt sind.
FleetNet und CarTalk könnten auch Autofahrern helfen, die mit der Rechts-vor-Links-Regel auf Kriegsfuß stehen. Fahren mehrere Autos an eine Kreuzung ohne Vorfahrtsregelung, würden sie sich in einer Simultankonferenz zusammenschließen und entscheiden, wer zuerst fahren darf. Genauso ließe sich das Einfädeln auf dem Beschleunigungsstreifen oder das Überholen auf der Autobahn steuern. Die Kommunikation muss aber auch bei hohen Geschwindigkeiten zuverlässig funktionieren, selbst wenn wenig Verkehr ist und damit nur wenige Knotenpunkte für das Funknetz zur Verfügung stehen. Außerdem müssen sich die Funkverbindungen in solchen Ad-hoc-Netzen durch Selbstorganisation aufbauen, und das bei sich ständig ändernden Netzknoten.
Standard-Mobilfunkprotokolle sind dafür ungeeignet. Denn die Daten sollen nicht wie in heutigen Netzen üblich an feste Adressen übermittelt werden, sondern in geografische Bereiche, zum Beispiel an die Fahrzeuge hinter dem Sender, und das ohne Übertragungskosten. Deshalb wollen die Entwickler lizenzfreie Funkfrequenzen nutzen, etwa das Band zwischen 2010 und 2020 Megahertz, also inmitten der im Jahr 2000 versteigerten UMTS-Frequenzen.
Die DaimlerChrysler-Forschung hat bereits erste Anwendungen realisiert: Zehn Smarts wurden mit Navigationssystem, Kamera, LCD-Bildschirm und Computer bestückt. Die Fahrzeuge können unter anderem Informationen über ihren Abstand und ihre Geschwindigkeit austauschen. Das FleetNet-Konzept soll aber noch über die reine Vernetzung zwischen Fahrzeugen hinausgehen. Über feste Funkknoten am Straßenrand können die Smarts Kontakt mit dem Internet aufnehmen und daraus zum Beispiel lokale Verkehrsinformationen beziehen. Eine Teststrecke wurde bereits mit Funkstationen bestückt, die mit den Smarts Daten austauschen.
Voraussetzung für viele dieser Anwendungen ist, dass die Fahrzeuge ihre Position genau kennen. Die Ortsbestimmung mit dem amerikanischen Global Positioning System (GPS) reicht dafür nicht aus, sie ist selbst unter besten Bedingungen nur auf einen Meter genau und viel zu langsam. Im Falle eines Geisterfahrers muss das System beispielsweise zentimetergenau bestimmen, ob sich das eigene Fahrzeug auf der falschen Straßenseite befindet und ohne Zeitverzögerung die anderen Fahrzeuge auf die rechte Spur weisen. Abhilfe schaffen sollen neue GPS-Satelliten und das geplante europäische Satellitennavigationssystem Galileo. Mit der so genannten Carrier differential GPS-Methode würde die Ortung sogar auf einen Zentimeter präzise.
Ein Trick aus dem DaimlerChrysler-Forschungszentrum im kalifornischen Palo Alto hilft heute schon weiter: Wenn Fahrzeuge, die immer wieder gleiche Straßen benutzen, entlang ihres Weges Straßenkarten selbst erstellen, statt die auf den CDs des Navigationssystems gespeicherten Daten zu nutzen, verbessert sich die Ortung mit jeder Befahrung von zunächst einem Meter Genauigkeit auf wenige Zentimeter.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2002, Seite 78
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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