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Neuartige Aluminium-Verbundwerkstoffe



Leichtmetalle könnten für wichtige Industriebereiche die Werkstoffe der Zukunft bedeuten. Derzeit ist jedoch ihre Herstellung noch vergleichsweise teuer, zudem lassen sie sich nicht problemlos weiterverarbeiten. In einem von der Europäischen Union (EU) geförderten Forschungsprojekt haben sich deshalb Aluminiumhersteller, -verarbeiter und industrielle Anwender mit Partnern aus der Hochschulforschung zusammengeschlossen, um den Werkstoff Aluminium zu optimieren.

Verbesserte Werkstoffe bedeuten zumeist erheblichen technologischen Fortschritt. So ermöglichen heute besonders stabile, zugleich aber relativ leichte Materialien – etwa im Automobilbau oder in der Luft- und Raumfahrt –, unnötiges Gewicht einzusparen. Leichtere Karosserien und Motoren verursachen günstigere Wirkungsgrade, sie führen zum Verbrauch von weniger Treibstoff und zum geringeren Ausstoß von Schadstoffen. Dadurch gewinnen nicht nur ihre Hersteller Wettbewerbsvorteile, die Verbesserungen kommen auch der Umwelt zugute. Typische Beispiele sind das Dreiliter-Auto und die immer leichteren Flugzeuge der jüngsten Generation.

Gewicht sparen die Konstrukteure meist, indem sie Bauteile aus Stahl durch solche aus Kunststoff oder Legierungen aus Leichtmetallen, wie Aluminium oder Magnesium, ersetzen. Beide Metalle sind zwar erheblich leichter als Stahl, aber auch teurer in ihrer weiteren Verarbeitung und zudem weniger stabil. Deutlich fester und unempfindlicher gegen Versagen durch Bruch oder Verschleiß erweisen sich dagegen Leichtmetalle, denen bestimmte Fasern oder Partikel beigemischt werden. Bisher scheiterte der praktische Einsatz solcher Verbundwerkstoffe in der industriellen Fertigung ebenfalls an zu hohen Herstellungs- und Verarbeitungskosten.

Um die theoretisch mögliche Festigkeit solcher Werkstoffe nutzen zu können, müssen die verstärkenden Zusätze möglichst gleichmäßig in das Leichtmetall eingelagert werden. Das ist mit pulvermetallurgischen Verfahren, bei denen die Verstärkungsmaterialien dem Metallpulver beigemengt werden, zwar möglich, die Kosten dieser Methode lassen jedoch nur spezielle Anwendungen wie Golfschläger oder Fahrräder in kleinen Stückzahlen zu. Preiswertere konventionelle Gußverfahren – heute mit Hilfe der numerischen Simulation zu ausgefeilten Hochtechnologien weiterentwickelt – liefern ebenfalls keine befriedigenden Ergebnisse, weil die beigefügten Partikel in der Schmelze rasch zusammenklumpen (Agglomeration). Dadurch verlieren sie den größten Teil ihrer verstärkenden Wirkung.

Um die Vorteile der Leichtmetall-Verbundwerkstoffe dennoch industriell nutzen zu können, haben sich Daimler-Benz, Fiat (Italien) und die französische Aerospatiale mit Herstellern und Verarbeitern von Leichtmetallen sowie mit verschiedenen Instituten der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen, dem Royal Institute of Technology in Stockholm (Schweden) und der Universität Leuven (Belgien) zu einem gemeinsamen Projekt, koordiniert von der Intospace GmbH in Hannover, zusammengefunden. Ziel des im vierten Rahmenprogramm der Europäischen Union geförderten Forschungsvorhabens ist es, einen besonders festen und steifen, zugleich aber auch ausreichend dehnbaren (duktilen) Werkstoff zu entwickeln, dessen Herstellung nicht mehr als 10 Mark je Kilogramm kosten soll. In nunmehr dreijähriger Zusammenarbeit haben die Beteiligten ein neuartiges Verfahren entwickelt, bei dem die verstärkenden Partikel, in diesem Fall aus Titanborid (TiB2), durch eine chemische Reaktion in der Schmelze selbst (in situ) erzeugt werden. Dabei verbindet sich das Titanborid so hervorragend mit dem flüssigen Aluminium, daß es nur noch geringfügig zur Agglomeration neigt und der Werkstoff nach dem Erstarren die gewünschten Eigenschaften aufweist.

Zunächst mußten die Forscher jedoch die Kinetik der Teilchenbildung und andere Mechanismen, die zur unerwünschten Agglomeration beitragen können, genau analysieren. Mit diesen Ergebnissen ist es dann gelungen, den Herstellungsprozeß zu optimieren und dabei zu verhindern, daß der Werkstoff porös wird. Wesentlich dazu beigetragen haben auch Experimente unter Schwerelosigkeit im Weltall, durchgeführt auf der russischen Raumstation Mir, auf einer Shuttle/SpaceHab-Mission und in Raketenflügen. Bei den im Weltraum herrschenden Bedingungen lassen sich vor allem Wärme- und Massetransport genauer verfolgen. Weitere Untersuchungen ergaben, daß die Titanborid-Partikel in der Schmelze dazu neigen, relativ instabile Netzwerke zu bilden, die durch Rühren der Schmelze aufgelöst und so weitgehend homogen verteilt werden können.

Normalerweise wird die Schmelze mit zunehmendem Anteil der Verstärkungspartikel immer zäher, weil diese zur Agglomeration tendieren. Die Forscher waren daher gezwungen, die gewünschten mechanischen Eigenschaften des Verbundwerkstoffes mit möglichst wenigen dieser Partikel zu erreichen. Mit dem neuen ISPRAM-Verfahren (für in situ processing of aluminium matrix composites, ISPRAM) können bis zu 10 Prozent Titanborid erzeugt werden. Im Vergleich zu Materialien mit eingerührten, rund 30 Mikrometer (tausendstel Millimeter) großen Teilchen aus Siliziumkarbid (SiC) oder Aluminiumoxid (Al2O3) mit einem Gehalt von etwa 15 Prozent weisen die in situ erzeugten Titanborid-Partikel lediglich einen Durchmesser von etwa 1 Mikrometer auf. Damit läßt sich die Festigkeit durch Dispersions-Härtung weiter steigern.

Die in situ erzeugten Werkstoffe lassen sich vielseitig verwenden, weil sie mechanisch ebenso gut bearbeitet werden können wie nicht verstärkte Materialien. Auch in ihren Eigenschaften beim Umschmelzen oder Verformen, die für die wirtschaftliche Weiterverarbeitung und Fertigung wichtig sind, entsprechen sie in etwa den Basislegierungen. Das neue Material läßt sich durch Stranggießen und Warmumformen weiterverarbeiten, eignet sich aber ebenso, um spezielle Bauteile mit präzisen Konturen über moderne Druckguß- oder Schmiedeverfahren (wie zum Beispiel Thixo-Forming) herzustellen. Beispiele für solche Anwendungen sind Pleuel für Motoren und Schienen zur Sitzbefestigung in Flugzeugen.

Im Laufe der vergangenen drei Projektjahre ist den Beteiligten der Nachweis gelungen, daß das neuartige Verfahren prinzipiell anwendbar ist. Seine wesentlichen Eigenschaften sind anhand von speziellen Materialproben und Prototypbauteilen überprüft worden. Die dabei gewonnenen Ergebnisse lassen auf ein erfolgversprechendes kommerzielles Potential des neuen Materials schließen. Denn die Kosten für den neuen Verbundwerkstoff liegen je nach Qualität in der Größenordnung von 10 Mark je Kilogramm. Damit liegen jetzt zum Ende des Projektes die Voraussetzungen vor, um die möglichen Anwendungen des neuen Materials in der Industrie abschätzen zu können. Die unerwartet hohe mechanische Festigkeit des Werkstoffs und seine Duktilität versprechen weitere aussichtsreiche Anwendungen, etwa für Gehäuse in der Elektronik. Letzten Aufschluß darüber wird ein ebenfalls von der EU unterstütztes Vorhaben geben, in dem die Eigenschaften verschiedener Verbundwerkstoffe mit unterschiedlichen Herstellungsverfahren verglichen und ihre jeweiligen Marktaussichten abgeschätzt werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1999, Seite 930
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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