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Neue Archaebakterien im Yellowstone-Nationalpark



Mit dem Yellowstone-Nationalpark im Nordwesten der USA verbindet man gewöhnlich Bären, Bisons, Sinterterrassen und Geysire. In den heißen Quellen gedeihen aber auch winzige Lebewesen, die von den Besucherscharen nur insofern beachtet werden, als sie die kristallklaren, dampfenden Wasserbecken bunt schillern lassen (Bild):

Bei diesen Exoten, die der Siedehitze trotzen, handelt es sich um Archaebakterien, eine erst vor knapp zwei Jahrzehnten als eigenes Organismenreich erkannte Gruppe von einzelligen Mikroorganismen. Ihre Spezialität ist es, auch unter den extremsten Bedingungen leben und sich vermehren zu können. Man nimmt deshalb an, daß sie die Erde bereits bevölkerten, als deren Oberfläche noch heiß, voller Vulkane und ohne freien Sauerstoff war.

Archaebakterien wurden freilich nicht nur auf dem Land, sondern auch am Meeresgrund gefunden, wo sie an heißen Tiefseequellen sogar Temperaturen über 100 Grad Celsius aushalten, die dort wegen des hohen Drucks herrschen können. Zur Charakterisierung hat man sie bisher meist unter naturnahen Bedingungen im Labor kultiviert. Auf diese Art werden aber lediglich solche Spezies erfaßt, die sich auch in dieser künstlichen Umgebung rasch vermehren.

Dagegen ist es N. R. Pace und seinen Mitarbeitern an der Universität von Indiana in Bloomington nun gelungen, Archaebakterien ohne die aufwendige und selektive Laborvermehrung allein anhand charakteristischer Abschnitte ihrer Erbsubstanz DNA nachzuweisen ("Proceedings of the National Academy of Sciences USA", Band 91, Seiten 1601 und 1609). Dazu sammelten die Wissenschaftler Sedimentproben aus einer heißen Quelle mit dem Namen "Jim’s Black Pool", deren Temperatur im Durchschnitt 74, an einzelnen bodennahen Stellen jedoch bis 93 Grad Celsius beträgt. Das ungewöhnlich eisenreiche Wasser enthält Schwefel als Sulfid und reagiert annähernd neutral.

Die Schlammproben wurden vor Ort bei –70 Grad Celsius eingefroren, die enthaltenen Lebewesen im Labor durch wiederholtes Einfrieren und Auftauen aufgebrochen und das gesamte genetische Material isoliert und gereinigt. Der eigentliche Trick bestand nun darin, aus dieser Mischung von Erbmolekülen der verschiedenen Organismen wieder die einzelnen DNA-Stücke zu isolieren und auf ihre Herkunft rückzuschließen.

Dazu verwendeten die Wissenschaftler besondere DNA-Abschnitte, in welchen die Bausteine für die Ribosomen (rRNAs) verschlüsselt sind. Diese Organellen dienen bei allen Lebewesen zur Proteinbiosynthese; sie sind darum sehr ähnlich aufgebaut, und auch die entsprechende rDNA stimmt weitgehend überein. Zwischen hochgradig einheitlichen, funktionell wichtigen Abschnitten liegen allerdings auch Bereiche, die bei verschiedenen Spezies deutlich variieren. Sie werden deshalb seit einigen Jahren als Signaturen in der Systematik der Bakterien benutzt, um Arten auseinanderzuhalten, die äußerlich sehr ähnlich aussehen.

Aus dem Erbsubstanz-Gemisch extrahierten die Mikrobiologen also speziell die rDNA – dazu benutzten sie genetische Sonden, die sich an die weitgehend konstanten Abschnitte dieser DNA heften – und vermehrten sie mit der Polymerase-Kettenreaktion. Bei den knapp 100 so erhaltenen DNA-Fragmenten bestimmten sie anschließend die Reihenfolge der Nucleotid-Bausteine. Aus den Divergenzen in den variablen Abschnitten ließ sich ableiten, daß in dem Pool mehr als zehn verschiedene Bakterienspezies vertreten sein müssen. Davon gehört fast die Hälfte zu Archaebakterien, die noch nie kultiviert oder beschrieben worden sind. Einige dieser neuen Organismen scheinen an stammesgeschichtlich wichtigen Positionen zu stehen, so daß sie dazu beitragen können, die Verwandtschaftsverhältnisse der oft sehr divergenten Archaebakterien zu klären.

Die Identifizierung gleich mehrerer neuer Spezies von Archaebakterien in einer einzigen heißen Quelle zeigt, daß diese erstaunlich vielfältige Organismengruppe wohl noch einige Überraschungen bereithält. Mit der neuen Methodik der direkten DNA-Analyse sollten sich aber auch in normalen Habitaten seltene oder empfindliche Mikroorganismen nachweisen lassen. Manches Ökosystem könnte sich dann um einiges reicher an Mitgliedern und Wechselbeziehungen darstellen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1995, Seite 17
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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