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Neue Theorie zur Wärmeübertragung in Verbrennungsmotoren

Weil Keramik-Komponenten es ermöglichen, auf die Kühlung des Motots zu verzichten, sollten sie dessen Wirkungsgrad verbessern. Versuche brachten aber nicht die erhofften Resultate. Eine neue Modellierung des Wärmestroms in der Motorwand zeigt, warum.


Verbrennungsmotoren werden von jeher mit Wasser, Öl oder Luft gekühlt, um innere Bauteile vor Überhitzung durch Verbrennungsgase zu schützen und die Kolbenschmierung zu erhalten. Damit geht aber auch Energie verloren, was den Wirkungsgrad schmälert.

Gängige mathematische Modelle der zugrundeliegenden physikalischen Vorgänge sagten für einen Motor ohne Kühlung Verbesserungen des Wirkungsgrades von 6 bis 10 Prozent voraus. Die dann zu erwartenden Bauteiltemperaturen von theoretisch mehr als 1000 Grad Celsius erfordern aber neue Werkstoffe und Konstruktionsprinzipien.

In den achtziger Jahren wurden technische Keramiken verfügbar, die sehr hohe Temperaturbeständigkeit mit geringer Wärmeleitfähigkeit verbinden und deshalb für einen solchen wärmeisolierten Motor geeignet sein sollten. Doch erreichte kein Entwicklungsprojekt die gewünschten Resultate. Bei manchen ungekühlten Dieselmotoren mit meist keramisch bewehrten Kolben oder Zylinderköpfen verminderte sich der Wirkungsgrad sogar; das war bislang nicht zu verstehen.

Vor etwa fünf Jahren begannen meine Mitarbeiter und ich am Fachbereich Maschinentechnik der Universität/Gesamthochschule Siegen mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft die theoretischen Grundlagen der Wärmeübertragung im Motor zu überarbeiten. Es gelang uns, ohne die üblichen Hilfsvorstellungen auszukommen, die von anderen Wärmeübergangssituationen in der Technik entlehnt waren. Insbesondere verzichteten wir auf eine quasi-stationäre Modellierung und berücksichtigten vielmehr anhand der differentiellen Erhaltungssätze für Energie, Masse und Impuls die extrem instationäre Natur dieses Vorgangs (Bild 1).

Modellierung der Dynamik


In Verbrennungsmotoren ändern sich die Verhältnisse äußerst schnell. Zunächst fahrt der Kolben aus dem Zylinder aus und saugt so das Kraftstoff-Luft-Gemisch an; dann komprimiert er das Arbeitsgas, das von der Zündkerze entzündet wird und nun seinerseits den Kolben wieder austreibt. Dabei schnellt der Druck über dem aufsteigenden Kolben in einem mit mittlerer Drehzahl und bei Vollgas betriebenen Ottomotor durch Kompression und Verbrennungswirkung innerhalb von etwa zehn Millisekunden von Atmosphärendruck auf etwa 50 bar empor, und die mittlere Gastemperatur steigt in derselben Zeit von etwa 30 auf mehr als 2000 Grad Celsius an; von diesen Spitzenwerten fallen Druck und Temperatur mit abtauchendem Kolben wieder sehr schnell ab.

Diese Umstände erschweren eine theoretische Erfassung der Wärmeübertragung im Motor erheblich. Sie wurden deshalb früher ignoriert und durch eine quasi-stationäre Betrachtung ersetzt. Man dachte sich dazu den Prozeß in kurze Intervalle mit stationärer Charakteristik zerlegt, in denen der heiße Gasstrom gleichmäßig und bei konstantem Druck die kälteren Bauteilwandungen überstreicht, wobei diese Wärme aufnehmen. Weil unter diesen Umständen die ablaufende Zeit praktisch keine Rolle spielt, ist die mathematische Formulierung vergleichsweise einfach: Sie besagt, daß der an die Wand übertragene Wärmestrom. der Temperaturdifferenz zwischen ihr und dem Gasstrom proportional ist.

Dieser Ansatz geht nach unseren Arbeiten jedoch an der physikalischen Realität vorbei. In Wahrheit setzt sich der momentane Wärmestrom aus drei Beiträgen mit meist verschiedenen Vorzeichen zusammen (Bild 2) und kann während eines Arbeitszyklus dementsprechend mal positiv, mal negativ sein. (Ein positiver Wert entspricht einem Wärmestrom zur Wand hin, also einem Wärmeverlust; bei negativer Summe fließt die Wärme zum Arbeitsgas.)

Zu Beginn eines Arbeitszyklus wird das in den Motorzylinder eintretende relativ kalte Frischgas von den betriebswarmen Wandungen erhitzt. Der Beitrag dieser Heizwärme ist negativ und wirkt, wie der mathematische Formalismus zeigt, über den gesamten Zyklus nach. Dagegen leitet die Wand Kompressionswärme ab, die mit dem Druckanstieg und bei einsetzender Verbrennung entsteht; bei wieder sinkendem Druck klingt dieser Beitrag zum Wärmestrom sehr schnell ab und schlägt sogar noch ein wenig ins Negative um.

Wenn Kraftstoff nach der Zündung in unmittelbarer Nähe der Wandoberfläche verbrennt, geht zudem freiwerdende Reaktionswärme verloren. Das läßt sich bei den relativ kleinen Automobilmotoren, anders als bei den großen in Schiffen, kaum vermeiden. In Dieselmotoren bilden sich überdies während der Verbrennung Rußpartikel, die später weißglühend abbrennen. Deshalb tritt gemeinsam mit dem Reaktionswärmeverlust auch einer durch Wärmestrahlung auf; weil in Ottomotoren kein Ruß entsteht, ist dieser Beitrag dort vernachlässigbar genug.

Erste Versuche, die instationären Vorgänge bei der Wärmeübertragung in Verbrennungsmotoren zu erfassen, unternahmen 1940 Hans Pfriem an der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) und Mitte der fünfziger Jahre Karl Elser an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Ihre noch einfachen Ansätze haben wir präzisiert, fortentwickelt und schließlich mit Hilfe moderner Rechen- und Computertechnik unter praxisrelevanten Bedingungen zu einer Lösung geführt.

Analyse des ungekühlten Motors


Ohne Kühlung steigt die Arbeitsgastemperatur, was nach den neueren Berechnungen während eines aus zwei Wellenumdrehungen bestehenden Arbeitszyklus im wesentlichen zwei Beiträge beeinflußt: Die verlusttragende Kompressionswärme steigt mit zunehmender Gastemperatur stärker als beim gekühlten Motor; und die Wirkung der heißen Wandung wird ebenfalls größer, weil das angesaugte Gas sich weiter aufheizen kann (Bild 2). Diese Beiträge haben verschiedene Vorzeichen und kompensieren einander gerade während der für den Wirkungsgrad wichtigen Verdichtungsund Verbrennungsphase. Die Überlagerung aller Warmeübertragungsmechanismen bleibt weitgehend identisch zu der beim gekühlten Motor.

Für ungekühlte Dieselmotoren mit einem Turbolader zur Vorverdichtung der Ansaugluft (und nur für solche) scheint eine Verbesserung des Wirkungsgrades von maximal zwei Prozent möglich (dieser Wert liegt deutlich unter den optimistischeren Prognosen älterer Rechnungen). Das ist allerdings zu gering, um an einem Versuchs- oder gar Serienmotor nachweisbar zu sein.

In der Praxis dürften Sekundäreffekte den Einfluß noch schmälern oder sogar ins Gegenteil verkehren. So sind die in früheren Versuchen aufgetretenen Verschlechterungen des Wirkungsgrades wahrscheinlich auf die von Anfang an erhöhten Gastemperaturen zurückzuführen, denn sie verlängern die Verbrennungsphase in den Expansionshub hinein; durch geeignete Steuerung der Verbrennungsentwicklung ließe sich das korrigieren.

Allerdings bliebe ein prinzipielles Problem ungelöst: Die höheren Arbeitsgastemperaturen bewirken eine um 60 Prozent erhöhte Stickoxid-Emission. Maßnahmen zu deren Kompensation würden vermutlich den Wirkungsgrad des Motors wieder verschlechtern.

Insgesamt stellt die Wärme-Isolierung von Verbrennungsmotoren unseres Erachtens kein erfolgversprechendes Entwicklungsziel dar. Damit werden auch keramische Werkstoffe im Motorenbau kaum die Bedeutung erlangen, die ihnen prophezeit wurde.

Anhand der neuen Gleichungen lassen sich aber andere Strategien zur Optimierung von Wirkungsgrad und Schadstoff-Emission entwickeln. So ist der Wärmeübergang an die Wandung um so geringer, je turbulenter die Ansaugluft einströmt; aus Vergleichen mehrerer Motorentypen lassen sich Hinweise auf eine günstigere Konstruktion ableiten. Zudem ist die neue Theorie keineswegs auf Motoren beschränkt. Sie läßt sich ohne weiteres auch auf die Wärmeübertragung in Kolbenverdichtern und bei Explosionsvorgängen anwenden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1995, Seite 21
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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