Berndt Heydemann: Neuer Biologischer Atlas.
Ökologie für Schleswig-Holstein und Hamburg.
Wachholtz, Neumünster 1997. 592 Seiten, DM 128,–.
Wachholtz, Neumünster 1997. 592 Seiten, DM 128,–.
Ökologie ist zwar die Wissenschaft von den Zusammenhängen: zwischen verschiedenen Tier- und Pflanzenarten sowie klimatischen und geographischen Gegebenheiten und den Aktivitäten des Menschen. Aber die Ökologen bearbeiten – wie alle Wissenschaftler – schon aus Gründen der Arbeitsökonomie nur kleine Felder: einzelne Phänomene oder wenige Organismengruppen. Eine zusammenfassende Übersicht einer größeren Region wie Schleswig-Holstein ist daher schwierig, aber wegen der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung der Ökologie dringend geboten.
Eine solche hat Berndt Heydemann, heute Leiter der Forschungsstelle für Ökosystemforschung und Ökotechnik an der Universität Kiel, erstmals 1980 vorgelegt: den „Biologischen Atlas Schleswig-Holstein“. Er war bereits nach einem Jahr vergriffen. Die vorliegende Neufassung berücksichtigt die Entwicklung der letzten 17 Jahre: neue Ergebnisse, präzisere Daten, verschärfte und völlig neue Probleme, aber auch Erfreuliches im Umweltschutz. Die Zahl der Photos, der (jetzt farbigen) Diagramme und der Literaturhinweise hat sich jeweils verdoppelt.
Heydemann hat die Gliederung des Stoffes weitgehend beibehalten: Ein erster Abschnitt umfaßt die allgemeinen ökologischen, geologischen, geographischen, klimatischen und biologischen Gegebenheiten von Schleswig-Holstein und Hamburg sowie allgemeine Eigenschaften von Ökosystemen, Prozesse, die in ihnen natürlicherweise ablaufen, und die vielfältigen Einflüsse des Menschen. Es ist dem Verfasser gelungen, auf knappem Raum so etwas wie ein Kurzlehrbuch der Synökologie einzufügen, das auch den Laien zwanglos in die wechselseitigen Beziehungen zwischen pflanzlichen und tierischen Lebensgemeinschaften und ihren Lebensräumen einführt.
Der zweite große Abschnitt behandelt in fast 40 Einzelkapiteln Lebensgemeinschaften in Schleswig-Holstein mit ihren wesentlichen Abhängigkeiten, Spezialisierungen und typischen Pflanzen- und Tierarten. Insgesamt sind mehr als 2000 Arten dargestellt; zahlreiche quantitative Daten über die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften kommen hinzu. Diese Fundgrube muß jeden biologisch Interessierten begeistern. Die klare und konsequente Gliederung der einzelnen Kapitel erleichtert das Auffinden spezieller Informationen. Aber man spürt auch den versierten Biologen, Naturliebhaber und Pädagogen, der genau weiß, worauf es bei der Darstellung eines Hochmoores oder Dünenlebensraumes ankommt. Die gleiche Liebe und Sorgfalt, die Heydemann den seltenen und besonders schutzwürdigen Ökosystemen widmet, läßt er auch den vom Menschen geprägten angedeihen. An Kulturlebensräumen vom Acker bis zur Großstadt zeigt er, welche spezifischen Überlebensstrategien unsere Mitgeschöpfe dort anwenden.
Insbesondere dieses Kapitel enthält eine Fülle anschaulicher farbiger Illustrationen und hervorragender, vom Verfasser selbst aufgenommener Photos, vom Landschaftsbild bis zur Mikroaufnahme. Ich kann mich der Beurteilung des Tierfilmers Horst Stern aus dessen Geleitwort nur anschließen: „Alles Gezeigte also selbst gesehen, erlebt und durchdacht, der umfassendste Ansatz praktischer Ökologie, den ich kenne.“ Man kann immer wieder vor und zurück blättern, sich an den Bildern erfreuen, hineinlesen, wo man will: Immer wieder gibt es Neues zu entdecken und zu lernen. Nur der Atlas-Charakter des Werkes hätte noch stärker betont werden können: Für Karten mit der geographischen Lage der wichtigsten dargestellten Ökosysteme hätte ich bereitwillig auf die eine oder andere Verbreitungskarte einzelner Tierarten im dritten Abschnitt verzichtet.
In diesem letzten Abschnitt geht es um den Naturschutz. Nach einer kurzen Einführung, einer Systematik der Naturschutzgebiete und der Darstellung der speziell für Schleswig-Holstein und seine Pflanzen- und Tierwelt wichtigen Naturschutzmaßnahmen folgt der spezielle Teil: eine Übersicht über die Nationalparks und alle Naturschutzgebiete von Schleswig-Holstein und Hamburg nach dem neuesten Stand – zusammen mehr als 200 Gebiete – sowie über alle Naturparks mit kurzen Kennzeichnungen und Übersichtskarten. Im letzten Kapitel, das dem speziellen Artenschutz gewidmet ist, geht der Verfasser – getrennt nach den wichtigsten Organismengruppen – auf die Bedeutung und Gefährdung der Gesamtflora und -fauna von Schleswig-Holstein und Hamburg ein.
Fachausdrücke und vor allem die wissenschaftlichen Namen der Pflanzen- und Tierarten sind unvermeidlich für eine hinreichend exakte Darstellung, aber zunächst eine Hürde für das Verständnis. Für Fachwörter wie „Ökosystem“, „Biotop“, „Habitat“, „oligotroph“ und „eutroph“ hat Heydemann umfassende Erläuterungen in einem Glossar bereitgestellt. Wenn es nicht gerade um Vögel oder Blütenpflanzen geht, werden die Bezeichnungen von Pflanzen und Tieren in der Alltagssprache sehr ungenau und sogar von Wissenschaftlern oftmals unterschiedlich benutzt. Trotzdem hat Heydemann so weitgehend wie möglich die deutschen Namen verwendet, sie aber fast immer noch durch die wissenschaftlichen Bezeichnungen ergänzt – die sich ihrerseits zum Teil in den letzten 15 Jahren geändert haben. Um dem Leser entgegenzukommen, hält er sich so weit wie möglich an die Nomenklatur verbreiteter Bestimmungsbücher sowie des viel benutzten „Atlas der Flora Schleswig-Holsteins und Hamburgs“ von E. W. Raabe, K. Dierßen und U. Mierwald (Wachholtz, Neumünster 1987).
Alles in allem ist der „Neue Biologische Atlas“ ein ökologischer Aufriß einer Region, der für ganz Mitteleuropa und darüber hinaus von großer Bedeutung und beispielhaft ist. Er sollte in keiner Schulbibliothek fehlen, weil er wissenschaftlich exakt zusammengefaßt und didaktisch hervorragend aufbereitet die Grundlagen für einen nachhaltigen Umgang mit unseren Lebensgrundlagen beschreibt, die wir unsere Kinder lehren müssen. Aber nicht nur Lehrer, sondern jeder biologisch Interessierte wird großen Gewinn und viel Freude daraus ziehen – und Schleswig-Holstein mit geschärftem Blick neu entdecken wollen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1998, Seite 102
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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