Neues Element 112 - Hinweis auf Schalenstabilisierung
Rekorde sind zum Brechen da – nach diesem sportlichen Motto scheinen auch die Kernphysiker der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt vorzugehen. Waren dort bereits in den Jahren 1981 bis 1984 mit den Elementen 107, 108 und 109 die bis dahin schwersten Atomkerne erzeugt worden, gelang es einer internationalen Forschergruppe, nach ihren Erfolgen 110 und 111 Ende 1994 (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1995, Seite 21, sowie März 1995, Seite 30) nun auch das nächsthöhere Element 112 zu entdecken.
Doch hat die Synthese immer neuer überschwerer Atomkerne weitaus mehr als Wettkampfcharakter. Uran ist mit einer Ordnungszahl von 92 das schwerste in der Natur vorkommende Element. Alle Kerne, die noch mehr Protonen enthalten, sind instabil; sie zerfallen mit Halbwertszeiten von wenigen Mikrosekunden bis zu einigen tausend Jahren in leichtere Elemente. Von diesen Transuranen, die künstlich erzeugt werden müssen, sind nach der jüngsten Entdeckung mittlerweile 20 bekannt – was immerhin fast einem Fünftel aller Elemente im Periodensystem entspricht. Ihre Untersuchung hat bereits viele wichtige Erkenntnisse über das Ordnungsschema von Elektronen in der Atomhülle und von Protonen und Neutronen im Atomkern geliefert.
Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Schalenabschlüssen zu. Edelgase beispielsweise sind chemisch inert, weil sie gerade so viele Hüllenelektronen aufweisen, daß eine durch einen bestimmten Energiebereich definierte Schale voll besetzt ist. Analog können auch den Kernbausteinen Schalenstrukturen zugeordnet werden, von denen die Stabilität gegenüber radioaktiven Zerfällen abhängt.
In der Regel nimmt die Stabilität eines Transurankerns ab, je schwerer er ist. Doch gibt es Hinweise darauf, daß bei bestimmten Kombinationen von Protonen- und Neutronenzahlen (zum Beispiel 108 Protonen und 162 Neutronen) die Kerne wieder stabiler werden und die Halbwertszeit um mehrere Größenordnungen zunimmt.
Der Nachweis des Elements 112 hat diese Vermutungen nun im wesentlichen bestätigt. Die beobachtete Zerfallskette weist nämlich ausgehend von dem Kern 277112 sechs sukzessive Alpha-Zerfälle auf, die erstmals über die Schale mit 162 Neutronen hinwegführen (Bild). Daß dabei eine Stabilisierung auftritt, ist an der wesentlich größeren Halbwertszeit des Zwischenkerns 269108 (der 161 Neutronen enthält) und an dem starken Einbruch in der Energie des von ihm emittierten Alphateilchens zu erkennen.
Das GSI-Forscherteam um Sigurd Hofmann, Peter Armbruster und Gottfried Münzenberg (im Bild dritter von links) hat mit seinem neuerlichen Erfolg – der während einer mehrwöchigen Meßkampagne am Schwerionen-Beschleuniger UNILAC Anfang Februar gelang – nicht nur den bekannten überschweren Kernen einen weiteren hinzugefügt, sondern auch der Hoffnung Auftrieb gegeben, bei noch höheren Protonen- und Neutronenzahlen auf weitere Zentren der Stabilisierung zu stoßen. Vorerst jedoch wollen die Darmstädter Wissenschaftler ihre Taktik der kleinen Schritte beibehalten und sukzessive bis Element 116 vordringen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1996, Seite 17
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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