Neutronendoppelsterne
Diese seltenen Sternsysteme dienen Astronomen als ideales Labor für die Überprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie; sie sind aber vermutlich auch die Quelle der lange Zeit rätselhaften Gammastrahlungsausbrüche, die sich über Milliarden Lichtjahre hinweg registrieren lassen.
Antony Hewish und seine Doktorandin Jocelyn Bell nahmen 1967 am Mullard-Radioastronomie-Observatorium der Universität Cambridge (Großbritannien) eine Antennenanlage in Betrieb, die erstmals Radiosignale im Meterwellenbereich und mit hoher Zeitauflösung empfangen konnte. Nach wenigen Wochen registrierten sie Pulse von einer unbekannten Quelle, die sich mit verblüffender Regelmäßigkeit alle 1,34 Sekunden wiederholten. Irdischen Ursprungs konnte die Strahlung nicht sein, doch intelligente extraterrestrische Wesen mochten die beiden Astronomen nicht ernsthaft in Erwägung ziehen. Der Abstrahlcharakteristik wegen nannten sie dieses neuartige Objekt "Pulsar".
Thomas Gold von der Cornell-Universität in Ithaca (US-Bundesstaat New York) erkannte schließlich, daß die Radiopulse von einem Neutronenstern ausgehen mußten. Derartige Objekte – quasi riesige Atomkerne – waren bereits Anfang der dreißiger Jahre als kompakte Endstadien massereicher Sterne vorhergesagt worden. Doch erst die Beobachtungen von Jocelyn Bell und Hewish (der dafür 1974 den Nobelpreis für Physik erhielt) lieferten den empirischen Nachweis für die Existenz solcher Himmelskörper. Gold entwickelte das Modell, daß die Neutronensterne rasch rotieren und dabei wie ein Leuchtturm Bündel von Radiowellen in den interstellaren Raum aussenden; befindet sich die Erde zufällig in dieser Richtung, wird sie periodisch vom Radiostrahl überstrichen, und die Quelle ist als Pulsar zu erkennen.
Ebenfalls 1967 hatten Aufklärungssatelliten vom Typ Vela noch weit seltsamere Signale empfangen: Ihre Detektoren sollten eigentlich Röntgen- und Gammastrahlungsblitze registrieren, die von – mittlerweile verbotenen – oberirdischen Nuklearexplosionen stammten; doch statt dessen empfingen sie kurze, heftige Ausbrüche von Gammastrahlung aus dem Weltraum. Die Militärs gaben diese Daten erst sechs Jahre später frei, und noch einmal zwanzig Jahre verstrichen, bevor man die Ursache dieser rätselhaften Gamma-Bursts zu verstehen begann.
Wieder bieten Neutronensterne die von vielen Astrophysikern bevorzugte Erklärung: Die energiereiche Strahlung soll entstehen, wenn jeweils ein Paar dieser nur wenige Kilometer großen Sternreste zu einem noch kompakteren Objekt, einem Schwarzen Loch, verschmilzt.
Daß es überhaupt Doppelsysteme aus Neutronensternen gibt, ist seit 1974 bekannt, als Joseph H. Taylor jr. – damals an der Universität von Massachusetts in Amherst – und sein Doktorand Russel A. Hulse mit einer systematischen Suche nach Pulsaren begannen. Mit dem 305-Meter-Radioteleskop bei Arecibo (Puerto Rico), dem größten der Welt, entdeckten sie innerhalb weniger Monate 40 dieser Objekte. Einer, PSR 1913+16, befindet sich im Sternbild Adler und strahlt 16,94 Pulse pro Sekunde aus (PSR bedeutet Pulsar, und die Ziffern geben die Himmelskoordinaten in Rektaszension und Deklination an – in diesem Falle 19 Stunden 13 Minuten sowie +16 Grad). Diese Quelle zeichnet sich, wie Hulse und Taylor feststellten, durch eine Besonderheit aus: Während das Intervall zwischen zwei Pulsen bei anderen Objekten stets bis auf Bruchteile einer Mikrosekunde (millionstel Sekunde) gleich ist, variierte es bei PSR 1913+16 zwischen zwei aufeinanderfolgenden Tagen um bis zu achtzig Mikrosekunden.
Hulse und Taylor erkannten bald, daß die Zeitspanne zwischen den Pulsen regelmäßig schwankt, und zwar im Rhythmus von sieben Stunden und 45 Minuten. Eine ähnliche periodische Veränderung kannten die Astronomen seit langem von Doppelsternsystemen: Bewegt sich die eine Komponente auf ihrer Bewegung um den gemeinsamen Schwerpunkt relativ von der Erde weg, so erscheinen ihre Spektrallinien zu größeren Wellenlängen (niedrigeren Frequenzen), also zum roten Ende des sichtbaren Spektrums hin verschoben; entsprechend tritt bei Annäherung eine Blauverschiebung zu kürzeren Wellenlängen (höheren Frequenzen) auf. Dieser Doppler-Effekt – benannt nach dem österreichischen Physiker Christian Doppler (1803 bis 1853) – würde bei einem Pulsar die Pulsfrequenz in der beobachteten Weise modulieren; deshalb schlossen Hulse und Taylor, daß PSR 1913+16 einen Begleitstern umrunde.
Die Auswertung der Meßdaten ergab noch mehr Überraschendes: Der Pulsar und sein Begleiter sind demnach im Mittel lediglich 1,8 Millionen Kilometer voneinander entfernt – was nur wenig mehr ist als der Durchmesser der Sonne. Der Begleiter kann folglich kein gewöhnlicher Stern sein, sonst müßte er bei der vorliegenden Bahngeometrie den Pulsar in regelmäßigen Intervallen verdecken und damit dessen Radiosignale abblocken. Ein Weißer Zwerg scheidet ebenfalls aus, denn ein solches Objekt mit einem typischen Durchmesser von etwa 6000 Kilometern würde durch Gezeiteneffekte die Bahn des Pulsars merklich beeinflussen. Weil solches Schlingern aber nicht zu beobachten war, folgerten Hulse und Taylor, daß der Begleiter von PSR 1913+16 ebenfalls ein Neutronenstern sein müsse, dessen Durchmesser nur etwa 30 Kilometer beträgt.
Für diese Entdeckung wurde den beiden Astronomen 1993 der Nobelpreis für Physik verliehen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war auch, daß sich das Binärsystem mit dem Pulsar PSR 1913+16 als einzigartiges Laboratorium für die Überprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie erwies (Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1981, Seite 52, sowie Dezember 1993, Seite 21).
Entstehung von Neutronendoppelsternen
Zunächst gab es ein Problem: Zwar haben mehr als die Hälfte der Sterne unserer Galaxis einen Begleiter; doch wie sich beide Komponenten eines gewöhnlichen Doppelsternsystems nacheinander in Neutronensterne umwandeln könnten, ohne daß die gravitative Bindung durch die Heftigkeit der Transformationsprozesse risse, das vermochte keine der 1974 verfügbaren Theorien der Sternentwicklung plausibel zu erklären.
Neutronensterne sind nämlich die überaus kompakten stellaren Relikte von Supernova-Explosionen, welche die Phase thermonuklearer Energieerzeugung bei massereichen Sternen beenden. Sobald ein Stern mit mehr als sechs Sonnenmassen den Wasserstoff in seinem Kernbereich aufgebraucht hat, bläht er sich auf ein Vielfaches seines ursprünglichen Durchmessers auf und wird zu einem Roten Riesen. Die Dichte seines Kerns nimmt dabei jedoch fortwährend zu: Immerhin noch mehrere Sonnenmassen Materie werden auf einen Radius von einigen tausend Kilometern komprimiert. Dort entstehen durch Kernfusionsprozesse immer schwerere Elemente bis hin zum Eisen. Der Rest der Masse verteilt sich auf die ausgedehnte Hülle, deren Durchmesser mehr als 100 Millionen Kilometer beträgt.
Wenn der Kern schließlich im wesentlichen nur noch aus Eisen besteht und die Temperatur einige Milliarden Kelvin erreicht, wird er unvermittelt instabil. Die energiereichen Photonen zerlegen die Eisenkerne in einzelne Neutronen, Protonen und Alphateilchen. Diese Photodissoziation reduziert die Energie und somit den Druck der Partikel erheblich, so daß dieser nicht mehr den durch die enorme Schwerkraft ausgeübten Druck nach innen kompensieren kann: Der Kern kollabiert, bis er einen Radius von nur noch 15 Kilometern hat. Dadurch wiederum steigt der Druck so stark an, daß die bis dahin freien Elektronen in die Atomkerne hineingepreßt werden, wo sie sich mit den Protonen zu Neutronen vereinigen. Zurück bleibt ein Stern von der Dichte der Atomkerne, der 1,4 Sonnenmassen in einem Volumen enthält, das nicht größer ist als ein typischer Planetoid. (Bei Riesensternen mit noch größerer Gesamtmasse kann der Eisenkern auf mehr als zwei Sonnenmassen anwachsen. Ein solches Gebilde kollabiert nicht zu einem Neutronenstern, sondern weiter zu einem Schwarzen Loch.)
Währenddessen heizt die beim Kollaps freiwerdende Energie die Hülle des Sterns explosionsartig auf und schleudert sie davon. Einige Wochen lang strahlt das Gas etwa so hell wie eine ganze Galaxie. Selbst einige Jahrhunderte später ist um den Neutronenstern noch eine leuchtende Gashülle auszumachen, die sich beständig weiter ausdehnt (Bild 1). So ist zum Beispiel der heute im Sternbild Stier beobachtbare Krebsnebel das Relikt einer Supernova-Explosion, deren Licht die Erde im Jahre 1054 erreichte.
Offenbar gibt es Doppelsternsysteme, welche die Supernova-Explosion einer der beiden Komponenten überstanden haben: die in den siebziger Jahren entdeckten Röntgendoppelsterne. Bei diesen wird ein normaler Stern eng von einem Neutronenstern umkreist, dessen Schwerkraft nach und nach Gas von der Hauptkomponente absaugt. Beim Sturz der Materie auf die Oberfläche des kompakten Himmelskörpers wird die beobachtete Röntgenstrahlung freigesetzt (Bild 2b; vergleiche auch Spektrum der Wissenschaft, Januar 1994, Seite 62).
Sollte jedoch auch der zweite Stern eine Supernova-Explosion erleiden, so würde die abgeworfene Hülle den größten Teil der Materie des Systems forttragen (weil der Neutronenstern nur noch das 1,4fache der Sonnenmasse aufweist). Ein solch großer plötzlicher Masseverlust sollte das Sternsystem eigentlich auseinanderreißen: Zumindest nach einfacher Modellvorstellung würden die beiden Neutronensterne (der alte und der gerade entstandene) mit nahezu den Bahngeschwindigkeiten, die sie vor der Explosion hatten, also mit einigen hundert Kilometern pro Sekunde, in das Weltall hinausgeschleudert (Bild 2d).
PSR 1913+16 sowie einige weitere, später entdeckte Neutronendoppelsterne mit einem Pulsar zeigen indes, daß manche derartige Binärsysteme auch die zweite Supernova-Explosion überstanden haben müssen. Darum modifizierten die Astrophysiker ihre Modelle: Falls die zweite Sternexplosion asymmetrisch verliefe, könnte der neu entstandene Neutronenstern durchaus in eine stabile Umlaufbahn gelangen. Zudem wäre die zweite Supernova mit weniger Massenverlust verbunden, wenn der betreffende Stern bereits in der Röntgendoppelsternphase einen Teil seiner Hülle verloren hätte.
Unabhängig voneinander schätzten Ramesh Narayan von der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts), Amotz Shemi von der Universität Tel Aviv (Israel) sowie E. Sterl Phinney vom California Institute of Technology in Pasadena gemeinsam mit mir vor einigen Jahren ab, daß etwa ein Prozent der massereichen Röntgendoppelsterne die zweite Explosion als Paar überstehen sollte; demnach müßten in unserem Milchstraßensystem etwa 30000 Neutronendoppelsterne enthalten sein. Analog sollte eine vergleichbare Anzahl von noch unbeobachteten Systemen aus jeweils einem Neutronenstern und einem Schwarzen Loch vorhanden sein. Selbst Doppelsysteme mit zwei Schwarzen Löchern sind theoretisch möglich; etwa dreihundert von ihnen sollten sich in unserer Galaxis befinden.
Nachweis relativistischer Effekte
Die astronomischen Erkenntnisse, die Systeme wie PSR 1913+16 liefern, reichen weit über die Physik der Doppelsternentwicklung hinaus. Hulse und Taylor erkannten damals sofort, daß sie ein ideales Labor zur Erforschung starker Gravitationsfelder und damit zur Überprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein (1879 bis 1955, Physik-Nobelpreis 1921) gefunden hatten.
Heute gilt diese Theorie als einzige zuverlässige Beschreibung aller Schwerkraftphänomene, doch konnte sie bis 1974 nur mit wenigen Tests experimentell überprüft werden. Einstein selbst berechnete die Präzession der Umlaufbahn des Merkur – die große Halbachse des elliptischen Orbits verändert langsam ihre Lage, was die klassische Physik nicht vollständig zu erklären vermag – und fand eine Übereinstimmung mit den Beobachtungen (Bild 3). Der englische Astronom Arthur Stanley Eddington (1882 bis 1944) entdeckte 1919 während einer Sonnenfinsternis die von der Theorie vorhergesagte Positionsverschiebung von Sternen, deren Lichtstrahlen nahe an unserem Zentralgestirn vorbeiführten (Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1992, Seite 82). Robert V. Pound und Glen A. Rebka jr., damals beide an der Harvard-Universität, maßen 1960 erstmals die Gravitationsrotverschiebung, also den Energieverlust von Photonen, die ein Schwerefeld verlassen. Schließlich bewies Irwin I. Shapiro, ebenfalls an der Harvard-Universität, seine eigene Vorhersage von 1964, nach der Lichtsignale in Schwerefeldern verlangsamt werden, indem er Radarsignale von der Venus reflektieren ließ – sie wurden dabei um so mehr verzögert, je dichter sie an der Sonne vorbeiliefen.
Alle diese Tests bestätigten zwar die Vorhersagen von Einstein bestens, doch waren sie allesamt im relativ schwachen Gravitationsfeld des Sonnensystems durchgeführt worden; und es war nicht auszuschließen, daß in stärkeren Feldern Effekte auftreten, die der Theorie widersprechen. Der Pulsar PSR 1913+16 bot eine Möglichkeit, dies zu überprüfen. Die überaus präzisen Radiopulse lassen sich als Zeitsignale einer Funkuhr auffassen, die sich im starken Schwerefeld des Begleitsterns bewegt. Darüber, wie das Ticken der Uhr von der Erde aus erscheint, also wie die Frequenz der Pulse moduliert wird, macht die Relativitätstheorie eine Reihe genauer Aussagen.
Zunächst verursacht der Doppler-Effekt eine periodische Frequenzmodulation – eben jene, die Hulse und Taylor entdeckten (Bild 4a). Gewissermaßen einen Doppler-Effekt zweiter Ordnung (mit viel schwächerer Modulation) ruft die Zeitdilatation hervor, die auf die schnelle Bewegung des Pulsars zurückzuführen ist. Sie hängt vom Quadrat der Bahngeschwindigkeit ab, die wegen der stark elliptischen Umlaufbahn von PSR 1913+16 erheblich variiert, und läßt sich darum gut von dem ersten Effekt unterscheiden. Hinzu kommt die Gravitationsrotverschiebung, welche die Pulsaruhr um so langsamer gehen läßt, je tiefer sie in das Schwerefeld des Begleitsterns eintaucht (Bild 4b).
Während die Präzessionsverschiebung der großen Halbachse der Merkurbahn 42 Bogensekunden pro Jahrhundert beträgt, sollte der Theorie zufolge bei PSR 1913+16 ein Wert von 4,2 Grad pro Jahr zu beobachten sein – was sich experimentell denn auch bestätigte.
Zusätzlich ließen sich aus den präzisen Messungen der Pulsfolge die verschiedenen Bahnparameter und auch die Massen des Pulsars und seines Begleiters ermitteln: 1,442 beziehungsweise 1,386 Sonnenmassen, wobei die Ungenauigkeit jeweils nur drei Tausendstel der Sonnenmasse beträgt. Keine andere Methode liefert so präzise Werte für Objekte, die wie dieser Neutronendoppelstern 15000 Lichtjahre entfernt sind.
Der von Shapiro erstmals nachgewiesene Effekt der Laufzeitverzögerung von Lichtstrahlen ließ sich bei PSR 1913+16 nicht eindeutig nachweisen. Doch bei einem anderen ähnlichen Neutronendoppelstern, den Alexander Wolszczan vom Arecibo-Observatorium 1991 fand, tritt der Shapiro-Effekt deutlich hervor (Bild 4c). Bei diesem Paar haben die Komponenten jeweils zwischen 1,27 und 1,41 Sonnenmassen.
Gravitationswellen
PSR 1913+16 ermöglichte zudem, erstmals überhaupt ein Phänomen nachzuweisen, das Einstein schon 1918, einige Jahre nach der Veröffentlichung der allgemeinen Relativitätstheorie, vorhergesagt hatte: Gravitationsstrahlung. Diese sollte auftreten, sobald die Geschwindigkeit eines sehr massereichen Körpers zeitlich variiert.
Es besteht eine gewisse Analogie zur elektromagnetischen Strahlung, die freigesetzt wird, wenn elektrisch geladene Teilchen wie Elektronen und Protonen beschleunigt beziehungsweise abgebremst werden. Gravitationswellen sind sozusagen Schwingungen im Gravitationsfeld, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen und Kräfte auf andere Massen ausüben. Unter ihrem Einfluß sollte sich der Abstand zweier frei beweglicher Testmassen mit der Frequenz der Strahlung verändern. Die Amplitude der Oszillation hängt dabei vom Abstand der beiden Objekte und der Stärke der Strahlung ab. Im Prinzip senden alle Körper, deren Geschwindigkeit variiert, Gravitationswellen aus – aber wenn sie überhaupt registrierbar sein sollten, dann nur für sehr schwere, einer starken Beschleunigung unterworfene Objekte.
Neutronendoppelsterne sind geeignete Kandidaten dafür. Die Strahlungsleistung der Gravitationswellen, die PSR 1913+16 emittiert, beträgt acht Billiarden Gigawatt – etwa ein Fünftel der Leistung, welche die Sonne im gesamten Spektralbereich aussendet. Aber selbst dieser außerordentlich große Wert ist noch immer zu gering, als daß man die Wellen auf der Erde mit entsprechenden Detektoren direkt messen könnte.
Möglich ist indes ein indirekter Nachweis, denn das Aussenden von Gravitationswellen muß durch entsprechenden Verlust einer anderen Energieform des Systems kompensiert werden. Wie die russischen Physiker Lew D. Landau und Jewgenij M. Lifschitz bereits im Jahre 1941 berechneten, wird die Energie der von einem Doppelsternsystem emittierten Gravitationswellen seiner Bahnenergie entzogen, so daß sich der Abstand der beiden Komponenten im Laufe der Zeit verringert. Bei PSR 1913+16 sind dies einige Meter jährlich, was ausreicht, eine meßbare Variation der Radiopulsfrequenz zu erzeugen. Durch jahrelange, sorgfältige Registrierung der Pulse konnten Taylor und seine Mitarbeiter nachweisen, daß die beobachtete Annäherung der beiden Komponenten mit den Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie übereinstimmt.
Diese Befunde lassen sich mit den anderen relativistischen Effekten vergleichen, wodurch man eine weitere Bestätigung der Theorie erhält. So wie Messungen der Bahnänderung eine mathematische Funktion liefern, welche die Masse des Pulsars mit der seines Begleiters verknüpft, ergeben die Präzession der Bahn und der Doppler-Effekt zweiter Ordnung ähnliche Beziehungen. Die Kurven aller drei Funktionen schneiden sich exakt am selben Punkt.
Was ist vom Kollaps zu sehen?
Je enger PSR 1913+16 und sein Begleiter im Laufe der Zeit umeinander kreisen, desto mehr Energie geben sie in Form von Gravitationswellen ab, was wiederum die Annäherung beschleunigt. So läßt sich absehen, daß die beiden Sterne in etwa 300 Millionen Jahren mit einem erheblichen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit aufeinander zustürzen, miteinander kollidieren und verschmelzen werden. Bei der geschätzten Anzahl von Neutronendoppelsternen im Milchstraßensystem sollte demnach etwa alle 300000 Jahre eines dieser Binärsysteme verschmelzen. Bezieht man alle anderen Galaxien mit ein, so dürfte im gesamten beobachtbaren Universum etwa alle zwanzig Minuten eine solche Kollision stattfinden. Können die Astronomen diese Ereignisse registrieren? Dazu muß man sich überlegen, was genau bei derartigen Kollisionen geschieht. Kurz nach der Entdeckung von PSR 1913+16 zeigten Paul Clark und Douglas M. Eardley, damals beide an der Yale-Universität in New Haven (Connecticut), daß das Endprodukt ein Schwarzes Loch sein wird. Neutronensterne können nicht beliebig schwer sein: Je nach Modell liegt die Obergrenze zwischen 1,4 und 2,0 Sonnenmassen – bei noch größerer Masse würde bereits jeder für sich zu einem Schwarzen Loch kollabieren. Besonders schnell rotierende Neutronensterne können bis zu 2,4 Sonnenmassen aufweisen, weil die Fliehkraft der Gravitation entgegenwirkt. Da aber die Komponenten von PSR 1913+16 zusammen etwa 2,8 Sonnenmassen enthalten, ist der endgültige Kollaps nach jetzigem Kenntnisstand unausweichlich. Melvyn B. Davies vom California Institute of Technology, Willy Benz von der Universität von Arizona in Tucson, Friedrich K. Thielemann vom Harvard-Smithsonian-Zentrum für Astrophysik und ich haben die letzten Momente eines Neutronendoppelsterns im Detail simuliert. Erst wenn die Komponenten sich auf dreißig Kilometer – was ungefähr dem jeweiligen Durchmesser entspricht – angenähert haben, beginnen sich Gezeitenwechselwirkungen bemerkbar zu machen, wodurch Materie aus ihnen herausgerissen wird, insgesamt etwa 0,2 Sonnenmassen. Sobald sie sich berühren, verschmelzen die Neutronensterne im Bruchteil einer Sekunde. Die zuvor abgezogene Materie bildet zunächst eine Scheibe um das zentrale Objekt und fällt schließlich auf Spiralbahnen hinab. Welche Signale erzeugt diese Sequenz von Ereignissen? Clark und Eardley zufolge werden sich die kollidierenden Sterne auf einige Milliarden Kelvin aufheizen. Der größte Teil dieser thermischen Energie sollte ähnlich wie bei Supernovae als Neutrinos und Antineutrinos abgestrahlt werden. Diese masselosen Partikel unterliegen nur der sogenannten schwachen Wechselwirkung, reagieren demnach kaum mit gewöhnlicher Materie und können viel leichter dem Neutronenstern entweichen als etwa Photonen. Allerdings lassen sie sich aus demselben Grunde nur äußerst schwer nachweisen. Als die Explosion der 150000 Lichtjahre entfernten Supernova 1987 A mit einer Strahlungsenergie von 5 × 1046 Joule auf der Erde beobachtbar wurde, registrierten drei riesige Detektoren insgesamt lediglich 21 Neutrinos. Der Strahlungsausbruch beim Verschmelzen eines Neutronendoppelsterns ist zwar etwas stärker als bei einer Supernova, dafür findet solch ein Ereignis aber gewöhnlich in viel größerer Entfernung statt. Um pro Jahr eine derartige Kollision zu entdecken, müßten die Neutrinodetektoren zehnmillionenfach empfindlicher sein. Weil die heute eingesetzten Empfänger bereits mehrere tausend Tonnen Detektormaterial enthalten, ist eine derartige Empfindlichkeitssteigerung nicht vorstellbar. Zudem sind Supernova-Explosionen tausendmal häufiger als die Kollisionen zweier Neutronensterne, so daß es wohl kaum gelänge, ein derartiges Ereignis in der Vielzahl von Neutrinoschauern zu identifizieren. Bevor er die Neutrinos aussendet, emittiert der Neutronendoppelstern einen Wellenzug an Gravitationsstrahlung ähnlicher Energie, der aber nicht so schwer zu entdecken sein sollte. Während der letzten 15 Minuten vor der Verschmelzung nähern sich die Sterne noch um 700 Kilometer an – ihre Umlaufperiode schrumpft dabei von einer fünftel Sekunde auf einige Millisekunden. Das dabei ausgehende Signal liegt gerade im optimalen Empfangsbereich der irdischen Gravitationswellen-Detektoren und hat eine eindeutige Signatur: Wie beim Zirpen einer Grille steigt die Frequenz zum Ende hin an (Bild 5). Mehrere kooperierende Stationen werden derzeit errichtet. Das California Institute of Technology in Pasadena und das Massachusetts Institute of Technology in Cambridge bauen gemeinsam Detektoren für das Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO, Bild 7) in der Nähe von Hanford (US-Bundesstaat Washington) und Livingston (Louisiana). Das französisch-italienische Team errichtet in Cascina bei Pisa eine ähnliche Anlage namens VIRGO. Die ersten Detektoren sollten verschmelzende Neutronensterne noch in dem 70 Millionen Lichtjahre entfernten Virgo-Galaxienhaufen (nach dem das französisch-italienische Interferometer benannt ist) entdecken können. Innerhalb dieses relativ kleinen kosmischen Volumens ist freilich nur alle 100 Jahre mit einem Ereignis zu rechnen. Doch sollen die Instrumente in den folgenden Jahren so stark verbessert werden, daß sie auch Signale aus drei Milliarden Lichtjahren Entfernung registrieren können; dann müßten einige hundert Ereignisse pro Jahr nachzuweisen sein.
Ausbrüche von Gammastrahlung
Nach der Entdeckung von PSR 1913+16 bewegte mich einige Jahre lang die Frage, ob man nicht den Anteil der Bindungsenergie abschätzen könnte, den die verschmelzenden Sterne als elektromagnetische Strahlung aussenden. Selbst ein winziger Bruchteil müßte nämlich für einen starken Strahlungspuls ausreichen; und weil Photonen sehr viel leichter zu registrieren sind als Neutrinos oder Gravitationswellen, ließen sich derartige Ereignisse selbst dann entdecken, wenn sie am Rande des sichtbaren Universums stattfinden.
J. Jeremy Goodman von der Universität Princeton (New Jersey) sowie Shmuel Nussinov von der Universität Tel Aviv und Arnon Dar vom Israelischen Institut für Technologie (Technion) in Haifa zeigten 1987, daß etwa ein Tausendstel der Neutrinos und Antineutrinos, die eine Supernova beim Kollaps des Kerns aussendet, miteinander kollidiert und die Teilchen sich gegenseitig auslöschen; dabei entstehen zunächst Elektron-Positron-Paare und daraus wiederum Gammaquanten. In einer Supernova trägt die Absorption dieser Gammastrahlung in der stellaren Hülle erheblich zur Dynamik der Explosion bei.
David Eichler von der Ben-Gurion Universität in Beersheba und Mario Livio vom Technion sowie David N. Schramm von der Universität Chicago und ich übertrugen diese Rechnungen 1989 auf die Verschmelzung zweier Neutronensterne. Auch hier, so vermuteten wir, müßte ein ähnlicher Anteil der Neutrinos in Elektron-Positron-Paare und weiter in hochenergetische Gammastrahlen umgewandelt werden. Doch weil eine absorbierende Gashülle fehlt, sollten die Gammastrahlen in einem kurzen, intensiven Ausbruch entweichen.
Solche Gamma-Bursts könnten auch durch einen noch komplexeren Mechanismus entstehen: wenn die Materiescheibe, die während des Verschmelzens der Neutronensterne entsteht, innerhalb von Sekunden auf das neugebildete Zentralobjekt hinabfällt. Bhodan Paczyn´ski von der Universität Princeton sowie Narayan und ich entwarfen 1992 ein Modell, demzufolge die Rotation der Scheibe das mit ihr verbundene Magnetfeld des Neutronensterns verstärkt. Dies sollte starke magnetische Flares hervorrufen, vergleichbar den viel schwächeren magnetischen Eruptionen an der Sonnenoberfläche; und ähnlich wie bei unserem Zentralgestirn würden solche kurzlebigen magnetischen Störungen hochenergetische Strahlungsblitze erzeugen. Die große Bandbreite im Erscheinungsbild der beobachteten Gamma-Bursts läßt vermuten, daß sie von beiden Erzeugungsmechanismen herrühren.
Ist das Rätsel der Gamma-Bursts gelöst?
Wäre nicht 1963 der Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser abgeschlossen worden, würden wir wohl auf absehbare Zeit nichts von diesen Strahlungsschauern wissen. Niemand hätte ernsthaft ein aufwendiges, eigens dafür ausgelegtes Nachweissystem erwogen. Aber um die Einhaltung des Abkommens zu überprüfen, startete das amerikanische Verteidigungsministerium insgesamt zwölf Vela-Satelliten, deren Detektoren allseitig nach Röntgen- und Gammastrahlung fahndeten, die von Kernwaffenversuchen stammen könnten.
Bereits die erste dieser Instrumentenkapseln entdeckte völlig unerwartete Bursts mit Photonen-Energien von einigen hundert Kiloelektronenvolt. Die Ausbrüche dauerten zwischen einigen hundertstel und etwa 30 Sekunden an. Aufgrund der Zeitdifferenz, mit der diese Signale die verschiedenen Satelliten erreichten, konnten sich die Quellen nur außerhalb des Sonnensystems befinden. Trotzdem wurden die Befunde geheimgehalten, bis Ray W. Klebesadel, Ian B. Strong und Roy A. Olson vom Los-Alamos-Nationallaboratorium in Neu-Mexiko sie 1973 in einer grundlegenden Arbeit beschrieben.
Theoretiker haben seitdem mehr als 100 verschiedene Modelle zu ihrer Erklärung vorgeschlagen. Ende der achtziger Jahre setzte sich dann die Meinung durch, daß die Gamma-Bursts durch Neutronensterne innerhalb unserer Galaxis verursacht würden.
Eine Minderheit von Astronomen – allen voran Paczyn´ski – plädierte dennoch dafür, die Quellen der Ausbrüche in kosmischen Entfernungen zu suchen. Im Frühjahr 1991 startete die amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde NASA das Compton Gamma Ray Observatory, den bisher leistungsfähigsten Gammastrahlungssatelliten (siehe Spektrum der Wissenschaft, Februar 1994, Seite 64). Seine Messungen bargen zwei Überraschungen: Zum einen war die Intensitätsverteilung der Ausbrüche nicht in der Weise homogen, wie man es erwarten muß, wenn die Quellen sich in unserer unmittelbaren stellaren Umgebung befänden; zum anderen waren die Ausbrüche am ganzen Himmel gleichermaßen zu finden und nicht zur Ebene des Milchstraßensystems hin konzentriert, wie es eine Population von Quellen in der galaktischen Scheibe nahelegen würde.
Demnach konnten sich die Quellen, wenn sie denn zum Milchstraßensystem gehörten, allenfalls noch in fernen Bereichen des die Galaxis umgebenden Halos befinden. Doch je mehr Daten das Compton-Observatorium sammelt, desto unwahrscheinlicher wird auch diese Hypothese. Es scheint, als würde die Minderheit recht behalten.
Im Herbst 1991 analysierte ich, ebenso wie Paczyn´ski und sein Kollege Shude Mao, die Intensitätsverteilung der Bursts. Wir folgerten daraus, daß einige der registrierten Ausbrüche mehrere Milliarden Lichtjahre entfernt stattgefunden haben mußten. Signale aus solchen Distanzen sollten dann aber durch die Expansion des Universums rotverschoben sein, was die Frequenz und Intensität der Strahlung verringert sowie die Dauer der Signale verlängert.
Kürzlich fand ein Team der NASA unter Leitung von Jay P. Norris vom Goddard-Raumflugzentrum in Greenbelt (Maryland) genau diese Korrelationen. Die Anzahl der Ausbrüche, die das Compton-Observatorium aufzeichnete, stimmt recht gut mit unserer früheren Abschätzung der kosmischen Häufigkeit von Neutronendoppelsternen überein, nach der rund 30000 Verschmelzungen pro Jahr im sichtbaren Universum auftreten sollten. Der Detektor des Satelliten überwacht etwa drei Prozent dieses Volumens, was 900 Ereignisse pro Jahr erwarten läßt; tatsächlich registriert werden in dieser Zeitspanne 1000.
Wenngleich die Details der Gammastrahlen-Emission kollidierender Neutronensterne noch ausgearbeitet werden müssen, sprechen die empirischen Ergebnisse eindrucksvoll dafür, daß die Astronomen – ohne es zu wissen – seit 25 Jahren derartige Ereignisse beobachten. Im Gegensatz zu anderen Modellen für Gamma-Bursts beruht allein die Annahme der Paar-Verschmelzung auf einer zusätzlichen, völlig unabhängigen Beobachtung: der des Abstrahlens von Gravitationswellen infolge der langsamen Annäherung der Partner eines Neutronendoppelsternsystems wie PSR 1913+16.
Dies ist zudem das einzige Modell, das eine eindeutige Vorhersage macht, die entweder bestätigt oder widerlegt werden kann. Die LIGO- und VIRGO-Interferometer sollten nämlich nach ihrer Fertigstellung Koinzidenzen von Gravitationswellen-Signalen mit Gamma-Bursts beobachten, die zwangsläufig entstehen, wenn zwei Neutronensterne kollidieren. Bewahrheitet sich diese Hypothese, dann können die Astrophysiker gleichsam durch ein neues Beobachtungsfenster die Endstadien der Sternentwicklung verfolgen – dies vermag kein Radio-, Licht- oder Röntgenteleskop zu leisten.
Literaturhinweise
- Black Holes, White Dwarfs and Neutron Stars: The Physics of Compact Objects. Von Stuart L. Shapiro und Saul A. Teukolsky. Wiley Interscience, 1983.
– LIGO: The Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory. Von Alex Abramovici und anderen in: Science, Band 256, Seiten 325 bis 333, 17. April 1992.
– Probing the Gamma-Ray Sky. Von Kevin Hurley in: Sky and Telescope, Band 84, Heft 6, Seiten 631 bis 636, Dezember 1992.
– Explodierende Sonnen. Supernovae und die Stadien der Sternentwicklung. Von Thierry Montmerle und Nicolas Prantzos. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1991.
– Hatte Einstein recht? Experimente mit Raumzeit und Gravitation. Von Clifford M. Will. Rowohlt, 1995.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1996, Seite 52
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben