Nobelpreis für Chemie - Mechanismen des Ozonschwunds in der Stratosphäre
Kaum ein Phänomen hat das globale Ausmaß heutiger Umweltprobleme drastischer vor Augen geführt als die Ausdünnung der Ozonschicht. Für die Erforschung der Prozesse in diesem natürlichen Schutzfilter gegen die solare Ultraviolettstrahlung wurde heuer Paul Crutzen, Mario Molina und F. Sherwood Rowland der Nobelpreis für Chemie verliehen
Seit Otto Hahn für den Nachweis der Kernspaltung 1945 den Chemie-Nobelpreis (für das Jahr 1944) erhielt, hat wohl kaum eine vor aller Welt gewürdigte wissenschaftliche Erkenntnis das öffentliche Bewußtsein so sehr beunruhigt wie die jetzt ausgezeichneten Arbeiten zur ozonabbauenden Wirkung der Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs). Die Laureaten, der am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz tätige Niederländer Paul Crutzen sowie die Amerikaner Mario Molina und F. Sherwood Rowland, waren zwar bisher weit weniger in der Öffentlichkeit bekannt als ihr Forschungsthema; das zeigt aber nur, wie sehr die politische Diskussion über Ozonloch und Treibhausgase die – an sich spektakulären – Befunde der Atmosphärenchemie in den Hintergrund drängte.
Politisch gipfelte diese Entwicklung 1987 in der Klimakonferenz von Montreal (Kanada), wo weitreichende Produktionsbeschränkungen für FCKWs beschlossen wurden. Sie mußten sogar nachträglich noch weiter verschärft werden. Dem soll hier die Entwicklung der Erkenntnisse über die Atmosphärenchemie gegenübergestellt werden.
Ozon und Stickoxide
Ozon (O3) ist die energiereichere Molekülvariante des Sauerstoffs. Es bildet sich leicht durch Reaktion des norma-len Sauerstoffs (O2) mit einzelnen, durch ultraviolette (UV-) Strahlung freigesetzten Sauerstoffatomen, zersetzt sich aber ebenso leicht wieder, wenn es auf oxidierbare Reaktionspartner trifft oder seinerseits UV-Strahlung absorbiert. Darum bleibt sein Anteil an den Atmosphärengasen gering (weniger als ein Zehnmillionstel des Volumens).
Der größte Teil des atmosphärischen Ozons findet sich in 10 bis 30 Kilometern Höhe, das heißt in der unteren Stratosphäre. Dort wirkt es als für das Leben auf der Erde notwendiger Schutzschild gegen die kurzwellige, also energiereiche und zerstörerische UV-Strahlung der Sonne. Aufgrund dieser äußerst wichtigen Funktion spricht man von Ozonschicht – obwohl es sich eigentlich nur um eine extrem fein verteilte besondere Art von Luftmolekülen handelt. Wäre diese Sauerstoffmodifikation tatsächlich homogen konzentriert, würde sie bei Normaldruck – also in Seehöhe – eine nur 3,5 Millimeter dicke Schicht bilden.
Erste Hinweise auf eine Gefährdung des Ozongehalts der Atmosphäre durch den Menschen fand Crutzen, indem er 1970 zeigte, daß nitrose Gase (NO, NO2) – sie werden zum Beispiel von Flugzeugtriebwerken in bedenklicher Nähe zur Stratosphäre emittiert – als Katalysatoren für die Zersetzung des Ozons wirken können. Besondere Gefahr wäre von der in den siebziger Jahren geplanten Einführung einer großen Flotte von Überschall-Passagierflugzeugen ausgegangen, die dann (allerdings wegen wirtschaftlicher Bedenken und nicht am Umweltschutz) scheiterte.
FCKWs
Während die Stickoxide für die Rolle ökologischer Unheilstifter geradezu prädestiniert schienen, enthüllten die beiden anderen Preisträger, Molina und Rowland, das ozonschädigende Potential einer Gruppe von Verbindungen, die fast 50 Jahre lang als Muster segensreicher Chemie gegolten hatten: Fluorchlorkohlenwasserstoffe sind inert, nicht brennbar und nicht toxisch. Sie waren Ende der zwanziger Jahre als geradezu ideale Kühlsubstanz entwickelt worden, die das giftige und übelriechende Schwefeldioxid sowie das nicht minder unangenehme Ammoniak ersetzen sollte.
Zwei Glieder der verhängnisvollen Wirkungskette von der FCKW-Freisetzung zur Ozonzerstörung waren bereits von anderen Forschern erkannt worden. Der Engländer James Lovelock hatte eine äußerst empfindliche Methode zum FCKW-Nachweis entwickelt und dabei festgestellt, daß die haltbaren Moleküle sich bereits über die ganze Erdkugel verbreitet hatten. In den USA hatten Richard Stolarski und Ralph Cicerone gezeigt, daß freie Chloratome Ozon in ähnlicher Weise zu zerstören vermögen wie die Stickoxide.
Molina und Rowland erkannten den Zusammenhang zwischen diesen beiden Befunden und beschrieben eine zunächst hypothetische Kettenreaktion: Industriell produzierte Fluorchlorkohlenwasserstoffe versehen eine Zeitlang ihren Dienst als Kühlmittel, werden spätestens bei Verschrottung der Kühlaggregate in die Atmosphäre freigesetzt, verteilen sich weltweit und steigen bis in die ozonreichen Schichten der Stratosphäre auf. Die kurzwellige UV-Strahlung spaltet aus ihnen Chloratome ab, die dann die Zersetzung des Ozons katalysieren.
Die FCKW/Ozon-Theorie, 1974 in "Nature" publiziert, blieb zunächst heftig umstritten. Erst einige Jahre später waren die Zweifel ausgeräumt, und es ging nur noch um Tempo und Verbreitung der Ozonschädigung. Inzwischen weiß man, daß deren Ausmaß von Molina und Rowland seinerzeit eher unterschätzt worden war.
Das antarktische Ozonloch
Daß der Ozonschwund nicht nur besorgniserregend, sondern wahrhaft bedrohlich werden könnte, wurde allerdings erst offenbar, als 1985 die Messungen einer britischen Antarktis-Station veröffentlicht wurden. Demnach reduzierte sich die Dicke der (hypothetisch verdichteten) Ozonschicht im antarktischen Frühling nach den Oktobermittelwerten von über drei Millimetern in den sechziger Jahren auf weniger als zwei Millimeter Anfang der achtziger Jahre (Spektrum der Wissenschaft, März 1988, Seite 70).
Das Ozonloch war da – und es ist seither Jahr für Jahr größer geworden (bis zur bisherigen Rekordmarke von nur noch 0,91 Millimetern im Jahre 1993; Bild 1 auf Seite 18). Diese Katastrophenmeldung hatte fieberhafte Aktivitäten von Atmosphärenforschern verschiedenster Disziplinen zur Folge, die ein erweitertes Verständnis der chemischen Prozesse in der irdischen Lufthülle benötigten; aber auch die Politik geriet un-ter massiven Druck der umweltbewegten Öffentlichkeit.
Warum schwindet das Ozon gerade über der Antarktis und ausgerechnet im Frühjahr am stärksten? Wie die Wissenschaftler herausfanden, spielen Stratosphärenwolken, die sich nur unterhalb -80 Grad Celsius über den Polargebieten bilden können, eine verhängnisvolle Rolle (Spektrum der Wissenschaft, August 1991, Seite 42). Ohne diese Wolken geht das aus den FCKWs durch Lichteinwirkung abgespaltene Chlor in relativ stabile Verbindungen wie Chlorwasserstoff (HCl) und Chlornitrat (ClONO2) ein, die man in diesem Zusammenhang auch als Chlorvorrat bezeichnet.
Erst unter Einwirkung der in den Stratosphärenwolken enthaltenen mikroskopisch kleinen Partikel aus gefrorener Salpetersäure wird der Chlorvorrat aktiviert. Es entsteht zunächst molekulares Chlor (Cl2), welches dann mit Ozon zu Chlormonoxid (ClO) und normalem Sauerstoff reagiert. Chlormonoxid wiederum schließt sich gern mit seinesgleichen zu Dichlordioxid (Cl2O2) zusammen, das sich aber leicht in Moleküle derselben Elemente zersetzt (Cl2+O2). Damit hat sich der Kreislauf des Chlormoleküls geschlossen: Als echter Katalysator hat es die Umsetzung von Ozon zu Sauerstoff bewirkt, ohne selbst verbraucht worden zu sein (Bild 2).
Globaler Ozonabbau
Daß diese Reaktion bevorzugt über der Antarktis abläuft, heißt allerdings nicht, daß nur Pinguine am Südpol von UV-reicherem Sonnenlicht gefährdet wären. Da die Ozonkonzentrationen sich offenbar langfristig über die Breitengrade hinweg ausgleichen, betrifft der Schwund die gesamte Stratosphäre. Das spektakuläre Ozonloch über der Antarktis ist gewissermaßen nur eine schon offene Scharte im immer dünner werdenden Schutzschild.
Auch wenn die politischen Maßnahmen zur Beendigung der Produktion und Freisetzung von FCKWs, Ende der achtziger Jahre eingeleitet wurden, jetzt allmählich zu greifen beginnen und bestimmte Ozonschädlinge ab 1996 weltweit geächtet sein werden, wird der Schwund des natürlichen UV-Filters noch etliche Jahre anhalten; erst dann nämlich sind die in der Vergangenheit produzierten FCKWs bis in die Stratosphäre aufgestiegen.
Mit einer Trendumkehr ist allenfalls in zehn, mit einer Heilung der Ozonschicht vermutlich erst in hundert Jahren zu rechnen. Doch hätten Crutzen, Rowland und Molina nicht schon Anfang der siebziger Jahre die Gefahr erkannt, wäre alles womöglich noch viel schlimmer gekommen.
Paul Crutzen wurde 1933 in Amsterdam geboren und promovierte 1973 in Meteorologie an der Universität Stockholm (Schweden). Seit 1980 ist er Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er bekannt, als er prognostizierte, schon im Falle eines lokal begrenzten Nuklearkriegs würden so viel Asche und Staub emporgeschleudert, daß ein sogenannter nuklearer Winter ausbrechen und die Erde drastisch abkühlen würde.
Mario Molina wurde 1943 in Mexiko Stadt (Mexiko) geboren und promovier-te an der Universität von Kalifornien in Berkeley in physikalischer Chemie. Gegenwärtig ist er am Department of Earth, Atmospheric and Planetary Sciences des Massachusetts Institute of Technology in Cambridge tätig.
F. Sherwood Rowland wurde 1927 in Delaware (US-Bundesstaat Ohio) geboren. Er hat an der Universität Chicago in Chemie promoviert und arbeitet seit 1964 an der Chemischen Fakultät der Universität von Kalifornien in Irvine.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1995, Seite 18
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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