Nobelpreis für Medizin - Erkennung virusinfizierter Zellen
Spezielle Killerzellen der Immunabwehr töten virusbefallene Zellen, wenn sie die verräterischen Zeichen bemerken, auf die sie geeicht sind. Für die 1973 gemachte Entdeckung, wie solche Immunzellen die Infektion erkennen, ging der diesjährige Nobelpreis für Physiologie oder Medizin an Peter C. Doherty und Rolf Zinkernagel.
Das Immunsystem wehrt Bakterien, Viren und andere Krankheitserreger ab – aber auch lebensrettende Transplantate, wenn Spender und Empfänger keine eineiigen Zwillinge sind. Anfang der siebziger Jahre war längst klar, daß die Abstoßung auf speziellen Molekülen an der Zelloberfläche beruht und daß praktisch jedes Individuum quasi als Personalausweis über eine eigene Kombination dieser variantenreichen Moleküle verfügt. Deren biologische Funktion lag aber völlig im dunkeln – Transplantationen sind schließlich in der Natur nicht vorgesehen. Ebenso verwirrend war, wieso ausgerechnet jene Sorte Abwehrzellen, die gegen virusbefallene Körperzellen vorgeht, auch für das Abstoßen verpflanzten Gewebes verantwortlich ist.
Bei diesen Immunzellen, die zu den weißen Blutkörperchen gehören, handelt es sich um cytotoxische – wörtlich: zellgiftige – T-Lymphocyten, kurz T-Killerzellen genannt. Sie reifen im Thymus, einem hinter dem Brustbein gelegenen lymphatischen Organ (das des Kalbes ist Gourmets als Bries bekannt). Denselben Reifungsort haben T-Helferzellen. Sie kommunizieren und interagieren mit anderen Komponenten des Immunsystems, insbesondere mit den Antikörper produzierenden B-Zellen, die im Knochenmark (englisch: bone marrow) reifen.
Doppelerkennung
All dies war damals bekannt – ebenso, daß Helferzellen sich gezielt an ein Antigen heften, das von einer B-Zelle gebunden wurde. Sie geben daraufhin Stoffe ab, die der B-Zelle helfen, sich zu vermehren und in eine Fließband-Produktionsstätte für freie Antikörper zu verwandeln.
Erste Anhaltspunkte, daß dabei auch die für die Gewebeverträglichkeit maßgeblichen Moleküle der Zelloberfläche eine Rolle spielen, hatten sich Mitte der sechziger Jahre ergeben. Mehrere Forscher, darunter Barry Benacraft und seine Kollegen vom amerikanischen National-Institut für Allergien und Infektionskrankheiten in Bethesda (Maryland) hatten damals die Reaktion verschiedener Inzuchtstämme von Labortieren auf ein bestimmtes synthetisch hergestelltes Antigen-Molekül untersucht (Benacraft erhielt dafür 1980 den Nobelpreis).
Zur Überraschung der Wissenschaftler hing die spezifische Reaktion von der genetischen Konstellation des Stammes für seinen molekularen Personalausweis ab: einer Ansammlung von Genen für jene Proteine, die entscheidend bestimmen, ob Tiere eines Stammes Gewebe eines anderen akzeptieren oder abstoßen. Die seit Mitte der dreißiger Jahre bekannte Region dieser Gene im Erbgut bezeichnet man heute als Haupt-Histokompatibilitätskomplex, kurz MHC (nach englisch major histocompatibility complex; Histokompatibilität bedeutet Gewebeverträglichkeit). Mäuse mit der Genvariante b im MHC produzierten Antikörper gegen das künstliche Antigen, solche mit der Genvariante k dagegen nicht.
Schließlich zeigte sich, daß irgendei-ne direkte Wechselwirkung zwischen Fremd-Antigenen und MHC-Proteinen (den "Selbst"-Molekülen) die Voraussetzung dafür ist, daß T-Helferzellen in Aktion treten – ein Effekt, der als MHC-Restriktion bezeichnet wurde. Den klarsten, schlagkräftigsten Beweis für eine Restriktion – diesmal bei T-Killerzellen – lieferten kurz darauf Doherty und Zinkernagel während ihrer gemeinsamen Forschungen an der John-Curtin-Schule für medizinische Forschung in Canberra (Australien). Dabei arbeiteten sie mit einem Virus, das lymphocytäre Choriomeningitis (LCM), eine Entzündung der Hirnhaut, hervorrufen kann. Sie immunisierten Mäuse mit subletalen Dosen des Virus und isolierten aus den Tieren T-Killerzellen, die gezielt die von diesem Erreger befallenen Körperzellen töten. Die Besonderheit von T- und B-Zellen ist nämlich, was ebenfalls bekannt war, daß nur jene sich vermehren, die das zu ihnen passende Antigen erkannt haben. Die spezifischen T-Killerzellen gegen das LCM-Virus beispielsweise zerstörten davon befallene Körperzellen; nichtinfizierte Zellen oder solche mit nichtverwandten Viren blieben dagegen ungeschoren.
Wie Zinkernagel und Doherty 1973 erstaunt feststellten, schienen die spezifischen T-Killerzellen jedoch blind gegen die viralen Antigene zu sein, wenn sie mit LCMV-befallenen Zellen eines anderen, eng verwandten Mäusestamms konfrontiert wurden, der einen anderen Typ eines MHC-Moleküls aufwies als der Stamm, aus dem die Killerzellen kamen (Bild auf Seite 22). Dieser und weitere Versuche belegten klar, daß T-Killerzellen nicht nur virale Antigene auf den infizierten Zellen beachten, sondern auch die Aminosäurensequenzen der MHC-Proteine. MHC-Abhängigkeit erwies sich somit als wesentliches Merkmal der Antigen-Erkennung aller T-Zellklassen.
Damit war ein gordischer Knoten durchschlagen und der Weg frei für fruchtbare Forschungen, die das Verständnis immunologischer Prozesse enorm erweiterten. Inzwischen ist die Antigen-Erkennung, insbesondere die genaue Rolle der MHC-Moleküle dabei, detailliert geklärt (siehe "Spezial 2: Das Immunsystem", Spektrum der Wissenschaft 1993).
Die MHC-Moleküle sind so etwas wie Präsentierteller. Die Klasse I kommt auf praktisch allen kernhaltigen Körperzellen vor, die Klasse II nur auf speziellen, an der Immunantwort beteiligten Zellen. Beide Sorten werden im Zellinneren hergestellt, nehmen dort kurze, als Peptide bezeichnete Teilstücke von Proteinen in die Zange und verfrachten sie zur Zelloberfläche. MHC-Proteine der Klasse I greifen sich Fragmente von Eiweißstoffen, die in der Zelle selbst produziert werden. Da eingedrungene Viren die Zellmaschinerie zur Synthese ihrer Proteine nutzen, erscheinen auch virale Peptide als Antigene auf der Oberfläche. MHC-Moleküle der Klasse II hingegen kommen beispielsweise auf Freßzellen vor, die Erreger verschlingen und zerlegen und anderen Immunzellen – zwecks Mobilisierung – dann die Bröckchen vorweisen.
Wenn T-Killerzellen den passenden Komplex aus MHC-I-Molekül und präsentiertem Antigen erkennen, üben sie ihr tödliches Handwerk aus. Wie sie dies tun ist mittlerweile ebenfalls geklärt: Sie schlagen die Zielzelle mit Hilfe des porenbildenden Proteins Perforin leck.
Schulung im Thymus
Wieso beide Sorten von T-Zellen normalerweise nicht schon auf körpereigene MHC-Proteine reagieren (obwohl sie diese ja erkennen müssen), sondern nur auf fremde, haben zahlreiche weitere Versuche von verschiedenen Forschern, darunter auch von Zinkernagel, gezeigt. Unreife T-Zellen werden im Thymus gewissermaßen auf falsches Verhalten geprüft. Gefährliche Zellen, deren Rezeptor zufällig Antigene und MHC-Moleküle des eigenen Körpers gut erkennt, werden eliminiert, nutzlose Zellen, die an keines der vorhandenen MHC-Moleküle andocken, dagegen vernachlässigt, so daß sie verkümmern und absterben. Ausschließlich nützliche Zellen, die zwar (allerdings nur mäßig stark) MHC-Proteine, nicht aber Eigen-Antigene zu binden vermögen, reifen aus und können den Thymus verlassen.
Dies ist freilich eine stark vereinfachende Darstellung wesentlich komplizierterer Prozesse. Außerdem existieren weitere Sicherheitsvorkehrungen im Organismus. Versagen sie gemeinsam, kann das Immunsystem fälschlich auch körpereigene Strukturen angreifen – die Folge sind Autoimmunkrankheiten.
Die Auslese im Thymus gewährleistet auch, daß abnorme Proteine – wie sie in Krebszellen entstehen – T-Zellen als körperfremd erscheinen können. Wie sich diese Möglichkeit zur Krebsbekämpfung ausnutzen läßt wird derzeit erprobt.
Wieso aber sprechen in jedem Individuum immerhin ein bis zehn Prozent aller T-Zellen stark auf fremde MHC-Moleküle an, so daß Transplantate rasch abgestoßen werden? Auch dafür gibt es inzwischen Erklärungen. Die derzeit favorisierte Hypothese besagt unter anderem, daß T-Zellen im Thymus eben auf eine mittelstarke Affinität ihres Rezeptors zu körpereigenen MHC-Molekülen ausgesucht werden. Dies schließt jedoch keineswegs aus, daß dieser Rezeptor sich viel stärker an eine bei diesem Individiuum nicht vorhandene Variante heftet. In der Natur spielt eine zu gute Fremd-MHC-Erkennung keine Rolle, bei Gewebeverpflanzungen aber sehr wohl. Das Resultat sind die medizinisch unerwünschten Abstoßungsreaktionen.
Doherty studierte Veterinärmedizin an der Universität von Queensland in Brisbane (Australien) und promovierte 1970 an der Universität Edinburgh (Schottland). Während dieser Zeit arbeitete er an Forschungsinstituten beider Universitäten. Von 1972 bis 1975 war er an der John-Curtin-Schule für medizinische Forschung in Canberra (Australien) und wurde 1982, nach siebenjährigem Aufenthalt in den USA, Leiter der dortigen Abteilung für experimentelle Pathologie. Seit 1988 ist er in Memphis (Tennessee) tätig, wo er der Abteilung für Immunologie an der St. Jude-Kinderforschungsklinik vorsteht und seit 1992 auch außerordentlicher Professor am College für Medizin der Universität von Tennessee ist.
Zinkernagel schloß sein Medizinstudium 1970 mit der Promotion an der Universität Basel ab und ging nach einem Forschungsaufenthalt an der Universität Lausanne von 1973 bis 1975 an die John-Curtin-Schule nach Canberra. Nach Tätigkeiten unter anderem am Forschungsinstitut der Scripps-Klinik in La Jolla (Kalifornien) erhielt er 1988 eine Professur am Institut für Pathologie des Universitätshospitals in Zürich. Seit 1992 leitet er das Institut für experimentelle Pathologie.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1996, Seite 20
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben