Nützlinge - Alternative zum chemischen Pflanzenschutz
Ob in Landwirtschaft oder Gartenbau, im Freiland oder Gewächshaus – nur in Ausnahmefällen ist ein wirtschaftlicher Anbau von Kulturpflanzen gänzlich ohne Bekämpfung von Schädlingen, Krankheitserregern und Unkräutern möglich. Doch können chemische Pflanzenschutzmittel durch direkten Kontakt oder indirekt über Rückstände in der Nahrung und im Grundwasser die menschliche Gesundheit beeinträchtigen. Ihre großflächige und häufige Anwendung wird zudem als eine der wesentlichen Ursachen für den Rückgang der Artenvielfalt bei Fauna und Flora angesehen, zumal jedes Ausbringen synthetischer Substanzen auf höchst unnatürliche Weise in den Naturhaushalt eingreift; betroffen sind davon nicht nur die behandelten Flächen, sondern vielfach auch umliegende Standorte von Lebensgemeinschaften auf nicht agrarisch genutztem Land.
Einseitige Kritik an Landwirten und Gärtnern wäre allerdings ungerechtfertigt, denn die Konsumenten fordern Nahrungsmittel immer besserer Qualität zu immer niedrigeren Preisen. Bei dem harten Wettbewerb im In- und Ausland kann sich ein einzelner Betrieb selbst geringe Ertragseinbußen und Produktmängel infolge eines Verzichts auf Pflanzenschutz kaum mehr leisten. Mittlerweile gibt es aber vielfältige Möglichkeiten, den Einsatz chemischer Präparate zu minimieren oder sogar gänzlich durch biologische Verfahren zu ersetzen. Beim integrierten Pflanzenschutz kombiniert man dazu unterschiedliche Maßnahmen, darunter Anbau resistenter Sorten, schonende Bodenbearbeitung sowie den Einsatz von Lockstoffen und Fallen. Synthetische Insektizide werden nur mehr im unerläßlichen Maße ausgebracht; dafür sind natürliche Gegenspieler von tierischen Schadorganismen eine zunehmend wichtigere Komponente dieses Konzepts.
Manche Viren, Bakterien und Pilze, die solche Schädlinge befallen, lassen sich bereits in industriellem Maßstab züchten und zu praxisgerechten Präparaten formulieren. In Deutschland zugelassen und schon im Handel sind beispielsweise ein Mittel mit dem Bakterium Bacillus thuringiensis zur Bekämpfung von Schadraupen, eines mit dem Pilz Metarhizium anisopliae gegen bodenlebende Stadien von Insekten und ein Granulose-Virus-Präparat gegen den Apfelwickler. Weil sie nur sehr gezielt anzuwenden sind und im Verhältnis zu chemischen Konkurrenzprodukten höhere Preise haben, konnten sie sich jedoch bislang auf dem Markt noch nicht durchsetzen.
Hingegen werden natürlicherweise auftretende Schädlingsfeinde mehr und mehr in den integrierten Pflanzenschutz einbezogen; desgleichen nimmt der gezielte Einsatz in Massen gezüchteter Nützlinge anhaltend zu. Diese beiden Aspekte will ich eingehender erläutern.
Ein kostenloses Angebot der Natur
Die Regulationskraft einheimischer Gegenspieler von Schadorganismen wurde lange unterschätzt. Sie zu nutzen oder gar zu steigern kann aber eine bedeutsame Strategie des Pflanzenschutzes sein (Bild 1). Nicht selten halten nämlich solche Antagonisten in Freilandkulturen die Pflanzenschädlinge so weit im Zaum, daß deren chemische Bekämpfung teurer käme als die sonst zu erwartenden Ernte- oder Qualitätseinbußen.
Außer räuberischen oder parasitischen Spinnen, Milben und Insekten sind auch Vögel, Reptilien, Amphibien und selbst insektenfressende Säugetiere für Landwirtschaft und Gartenbau mehr oder weniger hilfreich. Denn zum einen sind derartige Nützlinge gewöhnlich auf wenige oder nur eine Beute- oder Wirtsart spezialisiert, wirken also selektiv; zum anderen folgen sie deren Vermehrung mit entsprechendem Populationswachstum. Dieses Austarieren der Verhältnisse stützt überhaupt die Stabilität der Lebensgemeinschaften in einer vom Menschen geschaffenen Kulturlandschaft. Sowohl aus ökologischer als auch aus ökonomischer Sicht lohnen sich mithin Maßnahmen zur Ansiedlung, Schonung und Förderung dieser natürlichen Schädlingsfeinde.
In den letzten Jahrzehnten wurden allerdings ihre Lebens- oder Rückzugsräume wie Hecken und Feldraine weitgehend aus der Agrarlandschaft entfernt. Vermehrter Einsatz von Herbiziden minderte des weiteren den Bestand an Blütenpflanzen; sie fehlten fortan solchen Kerbtieren, die sich als vollausgebildete Insekten von Pollen oder Nektar ernähren, im Larvenstadium aber von Schädlingen. Schwebfliegen sind dafür ein Beispiel. Eine raschere Fruchtfolge bedingte zudem das Sprühen von Insektiziden in kürzeren Intervallen. Weil diese in der Regel auch Nützlinge töten, wurde erneutes Auftreten von Schädlingen wahrscheinlicher, so daß es geraten schien, vorbeugend noch öfter Gift auszubringen – ein Teufelskreis.
Es ist vielmehr erforderlich, Habitate wiederherzustellen und zu pflegen, in denen sich eine arten- und individuenreiche Nützlingsfauna entwickeln und erhalten kann, die der Massenvermehrung von Schädlingen entgegenwirkt. Bei großflächigen einjährigen Monokulturen sind von vornherein zum Ausgleich sich ökologisch selbst überlassene Parzellen vorzusehen: Von landwirtschaftlich nicht genutzten Restflächen wie Hecken, Flurgehölzen und Feldholzinseln, Rainen und Ackerrandstreifen sowie von Brachflächen bis hin zu Waldrändern wandern Nützlinge in die Kulturen ein (Bild 2). Saumbiotope und sogenannte Ackerschonstreifen, die vom Dünger-, Herbizid- und Pestizid-Einsatz ausgenommen bleiben, ansonsten aber bestellt werden, vernetzen solche Habitate und bilden schon an sich Refugien.
Häufig sind diese Areale für Nutzinsekten sogar überlebensnotwendig: Viele Arten etwa aus den Familien der Marienkäfer, der Laufkäfer und der Schwebfliegen überwintern in Laubstreu oder im Bodenbereich mehrjähriger Grasbestände von Wiesen und Randzonen. Außerdem leben in solchen Ökozellen auch außerhalb der Wachstums- beziehungsweise der relativ kurzen Befallsperiode der Kulturpflanzen Wirts- und Beutetiere der Nützlinge. So können sich an diesen Standorten selbstregulative Lebensgemeinschaften aufbauen und längerfristig halten. Auch Wiesen und Weiden gelten als wichtige Reservoire, etwa für Blattläuse und ihre Antagonisten. Nisthölzer und andere künstliche Vorrichtungen bieten manchen Nützlingen Quartier (Bild 3). Selbst Haus- und Schrebergärten können, so klein sie auch sein mögen, die Funktion vollwertiger Ausgleichsflächen haben.
Wesentlich ist freilich der Verzicht auf breitwirksame Mittel gegen Insekten oder Milben, die meist deren Antagonisten sogar härter treffen. Dann treten leicht Sekundärschädlinge auf, die ihrerseits bekämpft werden müssen. In längerfristig stabilen Ökosystemen wie Forstkulturen oder Obstanlagen, in die man über Jahre nicht mit Pestiziden eingreift, stellt sich oft wieder ein natürliches Gleichgewicht zwischen Schädlingen und Nützlingen ein.
Doch allein schon die Umstellung auf selektiv wirkende chemische Präparate zahlt sich aus. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung raubmilbenschonender Pflanzenschutzmittel in Obstanlagen und Weinbergen. Vielerorts hat sich daraufhin die Raubmilbe Typhlodromus pyri als bedeutsamer Antagonist von pflanzensaugenden Spinnmilben dauerhaft angesiedelt.
Wichtig war, daß bei den Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel der Schutz des Naturhaushalts, wie das Pflanzenschutzgesetz ihn fordert, Vorrang bekommen hat. Die in Grundzügen in den siebziger Jahren in der Bundesrepublik national formulierten und mittlerweile innerhalb der Europäischen Union vereinheitlichten Tests der Auswirkungen neuer Präparate auf Nützlinge sehen eine Kombination von Labor-, Halbfreiland- und Freilandprüfungen vor. Beobachtet werden dabei ausgewählte Arten, die für das jeweilige Agroökosystem relevant und zudem ausreichend sensitiv sein müssen, so daß schon im Labortest nicht akzeptable Schäden bei kommerzieller Nutzung auszuschließen sind.
Bewertung der Nützlichkeit
Die Effizienz natürlich vorhandener Nützlinge für gärtnerische und landwirtschaftliche Kulturen ist nicht einfach zu beurteilen. Sie wird vielfach indirekt am Ertrag gemessen: Je höher er ist, desto größer sollte die Anzahl vernichteter Individuen der pflanzenschädigenden Wirts- beziehungsweise Beutearten sein.
Treten nur so viele Schädlinge auf, daß die Kulturpflanzen den Befall gerade noch kompensieren können, bleibt der Ertrag unbeeinflußt. Der Nutzen der natürlichen Antagonisten wird dann leicht übersehen, obwohl er beträchtlich sein kann. Unter Umständen halten sie nämlich die Vermehrung der Schädlinge langfristig – durchaus über mehrere Generationen – unterhalb der Toleranzgrenze. Oft sind dabei nicht unbedingt jene Arten besonders wirksam, die gehäuft und mithin gut sichtbar inmitten vieler Schädlinge vorkommen, sondern vielmehr solche, die vor deren Massenvermehrung unauffällig aktiv werden. Außerdem halten Nützlinge nicht selten auch die vom primären Schädling zunächst verdrängten sekundären in Grenzen, die nach Spritzungen gegen den Erstschädling oft hochkommen und weiteren gezielten Insektizid-Einsatz erfordern; dieser ökologisch-ökonomische Aspekt wird meist gänzlich außer acht gelassen.
Den aktuellen Nützlingsbestand zu erkennen, um eventuell Schutzmaßnahmen einzuleiten, erfordert von den Landwirten einige Erfahrung. Neuerdings können sie jedoch von den Agrarwissenschaftlern Hilfe bei solchen Entscheidungen mit quantitativen Analysen der komplexen Effekte gewärtigen: Prognosen, ob etwa eine Massenvermehrung von Schädlingen zu erwarten sei oder nicht und ab welcher Befallsstärke ihre Bekämpfung nötig werde, stützen sich auf Schwellenwerte von Nutzen und Effizienz, wie das Institut für integrierten Pflanzenschutz der Biologischen Bundesanstalt in Kleinmachnow sie für bestimmte Schädling-Nützling-Kombinationen erarbeitet hat. Dabei werden kritische Populationsdichten von Nützlingen, welche die Schädlingspopulationen unter Kontrolle zu halten vermögen, mit der ökonomischen Schadensschwelle, ab der die zu erwartenden Ertragseinbußen den erforderlichen Schutzaufwand übersteigen, in Beziehung gesetzt. Derartige Kalkulationen setzen umfassende Kenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen Kulturpflanze, Schädling und Gegenspieler voraus. Die Werte sind keine fixen Größen, sondern Schwankungsbereiche, deren Bandbreiten entscheidend von jenen Veränderungen der Populationsdichte des Schädlings abhängen, die nicht von der Wirkung des Antagonisten herrühren. Solche Beurteilungen ergeben sich inzwischen auch aus Szenario-Rechnungen, die teils schon treffender zu sein scheinen als Ergebnisse von Felderhebungen oder Klimakammer- und Käfigversuchen.
Gezielter Einsatz gezüchteter Nützlinge
Außer den natürlicherweise auftretenden Schädlingsfeinden gewinnt das Freilassen von in Massen gezüchteten nützlichen Gliederfüßern – speziellen Insekten, Milben und Spinnen – sowie insektenpathogenen Nematoden (parasitischen Fadenwürmern) in Gartenbau und Landwirtschaft heute als Alternative zum chemischen Pflanzenschutz an Bedeutung. In einigen Freiland- und Gewächshaus-Kulturen ist dies mittlerweile die Methode der Wahl gegen viele bedeutsame Schädlinge; und immer mehr Unternehmen beschäftigen sich mit Vermehrung und Vertrieb solcher Organismen sowie mit der Entwicklung neuer Einsatzverfahren.
Unter Glas, also in Gewächshäusern, Wintergärten und Innenräumen, lassen sich bereits alle wichtigen Schädlinge wie Spinnmilben, Weiße Fliegen, Blatt-, Woll-, Schmier- und Schildläuse, Minierfliegen und Trauermücken durch natürliche Feinde bekämpfen. Dies sind insbesondere verschiedene Schlupfwespenarten, aber auch räuberische Milben, Gallmücken, Florfliegen, Marienkäfer und bestimmte Wanzen.
Im Freiland ist diese Strategie vor allem wegen der klimatischen Verhältnisse auf eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Arten begrenzt. Im Handel erhältlich sind seit längerem
- Schlupfwespen gegen Schadschmetterlinge wie den Maiszünsler, den Traubenwickler, die Kohleule sowie den Pflaumen-, den Apfel- und den Apfelschalenwickler (Bild 4),
- Florfliegen und räuberische Gallmücken gegen Blattläuse (Bild 5),
- Raubmilben gegen Spinnmilben sowie
- parasitäre Nematoden gegen im Boden lebende Stadien von Dickmaulrüßlern (Käfern, deren Larven Wurzeln fressen), Schnaken und anderen Insekten (Bild 6).
Grundsätzlich stellt der Nützlingseinsatz höhere Ansprüche als die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel. Der Gärtner oder Landwirt muß Grundkenntnisse der Biologie von Schädlingen und Nützlingen haben, die Kulturen regelmäßig kontrollieren, um einen Befall rechtzeitig zu erkennen, optimale Freilassungstermine für die jeweiligen Nützlinge bestimmen, die weitere Populationsentwicklung von Schädling und Nützling abschätzen und über zusätz- liche Freilassungen oder die Anwendung selektiv wirkender, nützlingsschonender chemischer Präparate entscheiden.
Hinzu kommt, daß das Ausbringen von Nützlingen häufig zeitaufwendiger und auch teurer ist, zumal – wegen der meist sehr spezifischen Wirkung – gegen verschiedene Schädlinge gleichzeitig mehrere Arten eingesetzt werden müssen. Weitere Probleme können sich durch deren Ansprüche etwa an klimatische Bedingungen wie Temperatur und Luftfeuchte ergeben. Schließlich beeinflußt das richtige Abstimmen der Kultur- auf die Schutzmaßnahmen erheblich die Wirksamkeit der nutzbringenden Tiere. Zumindest im kommerziellen Garten- und Ackerbau sind darum intensive Fachberatung und mehrjährige praktische Erfahrung wichtig.
Ist dies alles gewährleistet, bieten Nützlinge als selektiv tätige natürliche Helfer gegenüber chemischen Mitteln freilich viele Vorteile:
- Pflanze, Mensch und jene Tiere, die wie Bienen, Hummeln oder sonstige blütenbestäubende Insekten nicht Wirt oder Beute der Schädlingsfeinde sind, werden nicht geschädigt; es bestehen keine gesundheitlichen Risiken beim Freisetzen, insbesondere auch nicht für den Anwender.
- Oft ist der Wirkungsgrad dem von chemischen Präparaten vergleichbar, teilweise sogar höher.
- Nützlinge greifen noch gegen wirkstoffresistente Schädlingspopulationen, erzeugen selbst aber keine Resistenz.
- Zusätzliche Gerätschaften sind nicht anzuschaffen.
- Man kann auch Kulturbestände, in denen Nützlinge freigelassen wurden, jederzeit ohne Schutz betreten und mit den Pflanzen beliebig hantieren.
- Nützlinge hemmen das Pflanzenwachstum nicht.
- Wartezeiten zwischen Behandlung und Ernte entfallen.
- Die Qualität und damit der Verkaufswert von Zier- und Nutzpflanzen oder Erntegut werden nicht durch Spritzflecken oder schädliche Rückstände gemindert.
- Luft, Boden und Bodenleben sowie Gewässer und Grundwasser werden nicht belastet.
Freilassung genehmigungspflichtig?
Jedes Pflanzenschutzmittel, sei es synthetisch oder natürlichen Ursprungs wie Bakterien-, Pilz- und Virus-Präparate, muß behördlich zugelassen sein, bevor es in den Handel gelangen darf. Höhere Organismen wie eben Gliederfüßer und Fadenwürmer sind von dieser Regelung in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit noch ausgenommen. Allerdings gibt es in einigen Bundesländern eine Genehmigungspflicht für das Freisetzen von Tierarten (zuständig sind in der Regel die unteren Naturschutzbehörden); sie soll verhindern, daß ein Ansiedeln gebietsfremder Tiere die heimische Fauna verfälscht beziehungsweise deren Bestand gefährdet. Ausnahmen bestehen im Rahmen einer ordnungsgemäßen Schädlingsbekämpfung durch Nützlinge, sofern dabei der Naturhaushalt nicht gestört wird.
In Europa gibt es in einigen Staaten eine allgemeine Zulassungspflicht für Nützlinge, so in Schweden, Dänemark, Großbritannien und Österreich sowie in einigen osteuropäischen Ländern; in der Schweiz ist eine amtliche Prüfung erforderlich, jedoch keine Zulassungsprozedur. Andere Staaten verlangen nur für fremdländische Arten Genehmigungen nach den jeweiligen Naturschutzgesetzen, so Italien und Spanien.
Um endlich eine klare rechtliche Situation zu schaffen, wurde im neuen deutschen Pflanzenschutzgesetz, das im Juli 1998 in Kraft treten dürfte, ein Passus aufgenommen, der Verkauf und Freisetzung von Nützlingen regelt. Es ist geplant, daß Produzenten und Händler die betreffenden Arten künftig bei einer Bundesbehörde anmelden müssen.
Massenzucht und Vertrieb
Vor allem kleinere und mittelständische Unternehmen vermehren und liefern Nützlinge. Da sie selten über eigene Forschungsabteilungen verfügen, sind sie bei der Suche nach neuen Arten und der Entwicklung geeigneter Zucht- und Anwendungsmethoden auf enge Zusammenarbeit mit forschenden und beratenden Institutionen wie der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, Universitätsinstituten und Versuchsanstalten angewiesen.
Mit diesen Firmen konkurrieren allerdings Produzenten von chemischen Mitteln gegen Insekten und Milben sowie von entsprechenden Bakterien- und Pilzpräparaten. Den Wettbewerb verschärft zudem, daß Produktionsverfahren für Massenzuchten in der Regel nicht zu patentieren sind.
Auch wenn Nützlinge zur Vermarktung noch kein kosten- und zeitaufwendiges Zulassungsverfahren zu durchlaufen brauchen, sind die Produktionskosten hoch. Die Zucht ist kaum zu mechanisieren; Nachfrage besteht nur in wenigen Monaten des Jahres, und die ausgereiften Organismen lassen sich nicht lagern. Überdies müssen viele Arten auf ihren Wirts- beziehungsweise Beutetieren gezüchtet werden. Zur Massenvermehrung bedarf es also wiederum des großflächigen Anbaus jener Pflanzen, von denen sich die Schädlinge ernähren (Bild 7). Ansätze für preisgünstigere Verfahren gibt es erst wenige; so hat das Institut für Phytopathologie der Universität Kiel eine Flüssigkultur von Nematoden in Bioreaktoren erarbeitet.
Lagerung und Vertrieb sind vor allem bei Gliederfüßern recht problematisch, denn oft sind nur bestimmte Entwicklungsstadien wirksam. Schon wenige Tage Verzug können ihre Anwendung in Frage stellen; häufig ist dann eine ganze Charge verloren. Bei einigen Arten versucht man deshalb, den Entwicklungsprozeß zu unterbrechen. So läßt sich etwa durch entsprechende Licht- und Wärmeführung Winterruhe induzieren und nach Eingang einer Bestellung wieder aufheben. Solche Prozeduren sind jedoch sehr schwierig und verlustreich; auch kann man nur einen geringen Teil der Chargen im Auftrag produzieren. Deshalb müssen in den Wachstumsperioden der zu schützenden Kulturpflanzen erhebliche Überkapazitäten für den nicht genau abzuschätzenden Bedarf an Nützlingen eingeplant werden, während in den Wintermonaten Anlagen und Arbeitskräfte nicht ausgelastet sind.
Ein Vorteil im Wettbewerb wäre sicherlich – wie in anderen Produktionsbereichen auch – die Gewähr gleichbleibender Qualität. Die Züchter müßten mithin Merkmale dafür definieren sowie die Massenvermehrung der Nützlinge entsprechend kontrollieren und – wo biologisch und technisch möglich – standardisieren. Insbesondere in künstlichen Nährmedien können sich Eigenschaften der Tiere wie Größe oder Fruchtbarkeit von Generation zu Generation verschlechtern, dann muß man die Population frühzeitig mit Wildstämmen auf- frischen.
Besondere Umsicht erfordern Nützlinge ausländischer Herkunft, so die in Mitteleuropa nicht heimischen Antagonisten von Schild-, Woll- und Schmierläusen. Um Mißerfolge auszuschließen, müßte vor dem Einsatz ihre Eignung unter den hier herrschenden Umwelt- und Klimabedingungen nachgewiesen werden. Stärke, Geschwindigkeit und Dauer der Wirkung sowie deren Spezifität und Sicherheit werden auch durch die Anwendungsverfahren und sogar durch die Attraktivität der Kulturpflanze beeinflußt – manche Nützlinge orientieren sich unter anderem an deren Geruch oder Farbe auf der Suche nach Beute- oder Wirtstieren, also den entsprechenden Schädlingen. Standardisierte Prüfmethoden könnten den Einsatz natürlicher Antagonisten als Alternative zu chemischen Bekämpfungsmitteln noch populärer und somit die Produktionsweisen von Gartenbau und Landwirtschaft umweltverträglicher machen; eine neutrale Institution sollte zumindest einen Teil dieser Qualitätskontrollen übernehmen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1998, Seite 86
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