Öffnung der Wagenburg? Antworten von Chemiemanagern auf ökologische Kritik.
edition sigma, Berlin 1995.
336 Seiten, DM 44,-.
336 Seiten, DM 44,-.
"Was uns vor allem bei den Chemiemanagern interessiert, ist ihre Reaktion auf die Hauptrolle, die ihnen in dem Gesellschaftsdrama ,Industrie und Umwelt' zugewiesen wird: Sie spielen in ihm bekanntlich den Schurken vom Dienst. Da sie aber auch darüber mitentscheiden, wie das Stück ausgeht, schien uns die Frage, wie sie mit dieser Rolle zurechtkommen, nicht ganz uninteressant zu sein."
Die Göttinger Soziologen Hartwig Heine und Rüdiger Mautz haben im Rahmen einer Studie in mehrstündigen Interviews insgesamt 80 Vertreter des unteren und mittleren Managements aus zwei (anonym gehaltenen) Unternehmen der Großchemie einer "empirischen Bewußtseinsuntersuchung" unterzogen. Die Themen waren breit gestreut und reichten von der generellen Wahrnehmung des Umweltproblems über den Umweltschutz im Unternehmen und seine politische Regulierung bis hin zum eigenen außerberuflichen Umweltverhalten und dem Verhalten gegenüber Kritikern der chemischen Industrie.
Das Buch referiert die Ergebnisse dieser Studie. Einige will ich im folgenden kurz umreißen.
Angesichts sprunghaft angewachsener öffentlicher Aufmerksamkeit und verstärkter staatlicher Regulierungen – so lautet ein Resümee der Autoren – hätten sich die Konzerne der Großchemie zu Kursänderungen entschieden, die möglicherweise zunächst nur als "Image-Änderungen" geplant waren, inzwischen aber unternehmenspraktische und -strategische Relevanz erlangt hätten. So sei der Umweltschutz mittlerweile in eigenen Institutionen vertreten, die in der Unternehmenshierarchie hoch angesiedelt seien. Die Unternehmen versuchten, von einer eher reaktiven zu einer eher antizipierenden Umweltschutzstrategie überzugehen. Der industrielle Umweltschutz werde zu einem der Wirtschaftlichkeit gleichrangigen Ziel erklärt und sei nicht nur zu einem Thema der unternehmensinternen Kommunikation, sondern der gesamten Öffentlichkeitsarbeit geworden.
Dem unteren und mittleren Management, folgern Heine und Mautz aus den Gesprächen weiter, komme in diesem Prozeß eine wesentliche Schlüsselrolle zu. Einerseits müsse es die strategischen Vorstandsentscheidungen in operative Maßnahmen umsetzen, andererseits habe es an dieser Schnittstelle maßgeblichen Anteil an der unternehmensinternen Definition von Dringlichkeit und Relevanz der einzelnen industriellen Umweltprobleme.
Der größte Handlungsbedarf bestehe bei den Chemieprodukten. Darauf müsse das Präventionsprinzip konsequent angewandt werden. Das gesamte Schadenspotential eines Produktes solle "von der Wiege bis zur Bahre" erhoben werden; auf der Grundlage dieser Erkenntnisse sei zu entscheiden, ob es auf den Markt gebracht wird oder nicht.
Wenn man den Autoren folgt, lehnt die überwiegende Anzahl der Befragten staatliche Vorgaben für den industriellen Umweltschutz keineswegs ab: "Die mit dieser Regulierung verbundene Fremdbestimmung des eigenen Handelns, das darin eingelassene Moment von Bedrohlichkeit und selbst die in ihr enthaltene politische Rücksicht auf eine Denkweise, die den meisten Managern fremd und irrational erscheint, werden billigend in Kauf genommen" (Seite 104).
Die Befragten beider Unternehmen räumten ein, daß die Chemieindustrie in ihrer frühen Öffentlichkeitsarbeit erhebliche Fehler begangen und viel öffentliches Vertrauen verspielt habe, weil überhaupt zu wenig Information nach außen gegeben wurde. Aus dieser Einsicht ergebe sich aber noch keine richtige Kommunikationsstrategie. Hinzu komme, daß die Öffentlichkeitsarbeit des eigenen Unternehmens im Management unterschiedlich wahrgenommen werde.
Offensichtlich handelt es sich bei der Studie um eine sehr solide und gründliche Arbeit, in der beachtlicher Zeitaufwand steckt. Des weiteren haben sich die Verfasser bemüht, das brisante Thema weitgehend objektiv und sachlich neutral darzustellen. Insofern hebt sich das Buch deutlich ab von jenen Reißern, bei denen die Recherche von vornherein darauf angelegt ist, vorgegebene Thesen zu bestätigen.
Allerdings war es beim Erscheinen bereits veraltet, denn die zugrunde liegende Studie wurde schon 1990 durchgeführt, und seither hat ein dynamischer Kommunikationsprozeß stattgefunden. So erklärt sich, daß der produktionsintegrierte Umweltschutz erst ansatzweise vorkommt und Leitbilder wie sustainable development überhaupt nicht auftauchen.
Zudem leidet die Aussagekraft des Werkes darunter, daß sämtliche 80 Interviewpartner nur zwei Unternehmen der Großchemie angehörten. Wesentlich besser wäre es gewesen, mit ebenso vielen Befragten die Bandbreite der deutschen chemischen Industrie getreuer zu erfassen, sowohl in bezug auf das Produktsortiment als auch auf die Größe des Unternehmens. Immerhin gehören 80 Prozent aller Chemiebetriebe dem unternehmerischen Mittelstand an und befinden sich damit in einer anderen Position. So verfügen sie nicht über Stabsabteilungen, in denen sich Umweltexperten in Zusammenarbeit mit hochdotierten Juristen um den "Behördenkram" kümmern.
Schließlich kann ich nicht glauben, daß in der Großchemie die staatliche Einflußnahme billigend in Kauf genommen werde. Im Gegenteil: Wer jemals die Bilanzpressekonferenz eines weltweit operierenden Chemiekonzerns besucht hat, kann sich ein Bild davon machen, wie sehr der Standort Deutschland aus der Sicht der Unternehmen durch überzogene Regulierungsdichte in den letzten Jahren gelitten hat. Möglicherweise wurden die Verfasser durch die Art ihrer Fragen auf eine falsche Fährte gelockt.
Ungeachtet dieser Einschränkungen kann ich das Buch all jenen, die sich in irgendeiner Weise beruflich mit der Chemie auseinandersetzen müssen, empfehlen. Da es außerdem einen wesentlichen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion über diesen Wirtschaftszweig leistet, ist es auch für Nichtchemiker jeglicher Couleur von Interesse; das gilt für Vertreter einer Behörde ebenso wie für Greenpeace-Aktivisten.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1997, Seite 127
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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