Geologie und Zeitgeschichte: Ölwechsel!
Das Ende des Erdölzeitalters und die Weichenstellung für die Zukunft Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2002. 260 Seiten, € 15,–
Der dritte Golfkrieg ist inzwischen vorüber. Aber selbst wenn sich im Irak in nächster Zeit eine einigermaßen stabile Nachkriegsordnung einstellen sollte, wird der Nahe Osten weiter ein Unruheherd der Erde bleiben, vom Palästinenserkonflikt über das Kurdenproblem bis zu fundamentalistischen Tendenzen in Saudi-Arabien. Das vorliegende Buch, das von der Umweltorganisation "Global Challenges Network" herausgegeben wird, gibt ein differenziertes Bild von den Wurzeln dieser Konflikte und von der Rolle des Erdöls in diesem Zusammenhang.
Der erste, geologische Teil des Buches ist eine ermüdende Geduldsprobe. Nichts gegen allgemeine Informationen über Entstehung und Ausbeutung von Erdöl- und Erdgaslagerstätten; aber die so umständlich ausgebreiteten Daten zu jedem einzelnen Land hätten, grafisch aufbereitet, mühelos auf zwanzig statt reichlich hundert Seiten Platz gefunden.
Der zweite Teil ist ein spannend geschriebener geschichtlicher Abriss. Von Anfang an war die Politik in der Golfregion untrennbar mit dem Öl verbunden und von Chaos, Anarchie, Eigensinn und Zufällen geprägt. Akteure waren zunächst noch das Deutsche und das Osmanische Reich, zu dem die meisten Gebiete der Region vor dem Ersten Weltkrieg gehörten. Es waren deutsche Ingenieure, die 1903 bei Vermessungsarbeiten für die geplante Bahnlinie nach Bagdad auf Ölsickerstellen stießen. Nach 1918 teilten sich England und Frankreich die Region untereinander auf. Die wichtigste britische "Mandatsneuschöpfung" war der Irak, ein künstliches Gebilde aus verschiedenen Volksstämmen, dessen Grenzen von den Verhandlungspartnern in Paris mit dem Lineal gezogen wurden. Diese Willkür diente Saddam Hussein 1991 als Rechtfertigung für sein Vorhaben, mit Kuwait "eine irakische Provinz" in Besitz zu nehmen.
Nach dem Ersten Weltkrieg geriet die arabische Welt zunehmend in den Fokus der Weltpolitik, da sich Rohöl nicht nur für industrielle, sondern auch für kriegerische Zwecke als unentbehrlich herausstellte. Mittlerweile spielten auch die USA im Ölpoker mit. Der Kaufmann John D. Rockefeller schuf sich ein Imperium und bestimmte lange Zeit die inneramerikanische Ölpolitik. Die Autoren beschäftigen sich auch mit anderen Einzelpersonen wie dem Armenier Gulbenkian, dem Neuseeländer Major Frank Holmes oder dem lokalen Stammesführer Ibn Saud von Saudi-Arabien, die die Ölgeschichte des Mittleren Ostens entscheidend mitgeprägt haben. Diese Verknüpfung von großer Weltpolitik mit kaum bekannten Persönlichkeiten, die hinter der Bühne die Fäden zogen, ist ungemein gut gelungen.
Noch in den 1960er Jahren dominierten die "Sieben Schwestern", die sieben größten Ölkonzerne, den Ölmarkt. Durch das Überangebot sanken die Preise, die Konzerne wälzten die Preissenkungen einfach auf die Förderländer ab. Als Reaktion darauf schlossen sich zahlreiche Förderländer zur OPEC zusammen; deren koordinierte Preispolitik löste 1973 die erste Ölkrise aus.
"Ölwechsel!" verrät uns auch, warum die Politik und die Industrie bei der Reservenabschätzung der Ölvorkommen unterschiedlich vorgehen. Manche Staaten wie Großbritannien untertreiben, andere wiederum übertreiben. So erhöhte Kuweit 1985 seine Schätzung um fünzig Prozent – das entspricht den gesamten Nordseereserven. Der Grund: Man wollte eine Erhöhung der eigenen OPEC-Quote, sehr zum Unwillen des Irak.
Im letzten Kapitel konzentrieren sich die Autoren auf die Aspekte Ökologie und Nachhaltigkeit und fordern die Überwindung der Wachstumsideologie. In begrenzten Systemen kann es kein ewiges Mengenwachstum geben. Nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit darf die Nutzung einer Ressource nicht größer sein als ihre Regenerationsrate, die Freisetzung von Stoffen nicht größer als die Aufnahmefähigkeit der Umwelt. Erneuerbare Ressourcen wie Solar- und Windenergie müssen langfristig ein Ersatz sein. Grafiken und Tabellen sind hier leider ebenso unansehnlich wie am Beginn des Buches, teilweise auch fehlerhaft: Rechnet man die Angaben zur Gesamt-Sonnenkollektorfläche auf Seite 144 nach, dann kommt man auf 78 statt 8 Millionen Einwohner für Österreich. Griechenland hätte gar 173 Millionen statt knapp über 10.
Gleichwohl: Wer über kleine Fehler und den langatmigen geologischen Teil hinwegsieht, findet überaus interessante geschichtliche und wirtschaftliche Informationen, die gerade die aktuelle politische Situation besser verstehen helfen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2003, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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