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Logistik: Pakete in der Geisterbahn

In Warenlagern beginnt ein neues Zeitalter: Dank elektronischer Etiketten, Transponder genannt, sollen sich die Produkte in den Lagern selbst organisieren. Ähnliches gilt für Fabriken der Automobilindustrie und Logistikketten aller Art.


Wie von Zauberhand gelenkt, gleiten Transportboxen über Fließbänder. Im Leipziger Versandzentrum der Firma Quelle geht es zu wie in der Geisterbahn. An automatischen Weichen werden die Kisten zu verschiedenen Packstationen geleitet, an denen nacheinander Socken, Hosen und Röcke hineingelegt werden – bis schließlich ein kompletter Kundenauftrag die Box füllt. All diese Waren holen auto-matische Fahrstühle aus einem Hochregallager – so hoch wie ein zehnstöckiges Haus. 80000 Artikel sind abrufbar, gelagert in über zwei Millionen Kartons. Bis zu 180000 Sendungen verschickt das Leipziger Zentrum täglich, kaum eines auf den falschen Weg.

Wer denkt, all dies wäre nur von Großrechnern zu leisten, irrt. Ein zentraler Rechner enthält nur das Steuerungsprogramm, die detaillierten Informationen über die einzelnen Aufträge sind an den einzelnen Transportboxen selbst gespeichert. Möglich machen das briefmarkengroße Identifikations-Etiketten auf den Boxen, so genannte Transponder, die dem Steuerungssystem an den Weichen mitteilen, wie der Auftrag aussieht. Entsprechend werden die Transportkisten dann links- oder rechtsherum geleitet, und der Fahrstuhl fährt in die zweite oder zehnte Etage des Hochregallagers.

In den Transpondern ist die Produktinformation auf einem winzigen elektronischen Chip gespeichert. Die Daten werden über eine eingebaute Miniantenne gesendet. Diese Technik hat sich längst in anderen Bereichen bewährt. Seit Anfang der 1990er Jahre sind sie Teil der Wegfahrsperre von Fahrzeugen – im Autoschlüssel untergebracht, senden sie über Meter hinweg einen Erkennungs-code und entriegeln so die Zündung.

Manche Transponder überbrücken kürzere Distanzen. Im spanischen Opelwerk Figueruelas sind sie am Transportschlitten der Karosserien befestigt. Lesegeräte an den Fertigungsstationen aktivieren die elektronischen Etiketten aus einer Entfernung von rund zwanzig Zentimetern durch ein schwaches elektrisches Feld. Das wiederum induziert eine Spannung in einer Magnetspule des Transponders, das Gerät wird mit Energie versorgt und kann seine Daten funken – etwa ob das jeweilige Fahrzeug mit Spezialscheinwerfern oder beheizbaren Sitzen bestellt wurde.

Natürlich ließen sich solche Informationen auch in Barcodes unterbringen, wie sie Lebensmittelverpackungen tragen. Transponder haben demgegenüber aber Vorteile. Sie speichern wesentlich mehr Daten, lassen sich ohne Sichtkontakt und aus jedem Winkel ablesen und arbeiten auch verschmutzt oder zerkratzt. "Entscheidend ist aber", sagt Heinrich Stricker, Leiter der Abteilung Business-Development für die Identifikationssysteme Moby bei Siemens, "dass bestimmte Transponder unbegrenzt wiederbeschreibbar sind." Besonders wichtig sei das für die Qualitätssicherung, denn nach jedem Arbeitsschritt lassen sich Kontrolldaten in den elektronischen Etiketten ablegen. So entsteht eine lückenlose Produkthistorie.

Als Warenetiketten im Konsumgüterbereich sind Transponder allerdings wesentlich teuerer als Barcodes. Zwar gibt es inzwischen auch billige, die weniger als einen Euro kosten, für Verpackungen oder Wegwerfartikel aber ist das noch immer zu viel. Forschungsinstitute und Industrieunternehmen arbeiten deshalb daran, die Produktionskosten zu senken. Ihr Ziel ist es, Transponder eines Tages wie Barcodes einfach auf die Verpackung zu drucken – mitsamt Antenne und Mikrochip für etwa einen Cent. Was noch visionär klingt, könnte schon bald Realität werden – mit Hilfe bestimmter Kunststoffmoleküle. Je nach molekularem Aufbau können diese Polymere Strom leiten oder als Isolator wirken: So ist Polyanilin beispielsweise ein recht guter elektrischer Leiter, während etwa Polythiophen oder Polypyrrol den Strom wesentlich schlechter transportieren. Durch Oxidation oder Reduktion der Kunststoffe – also Entfernung oder Hinzufügen von Elektronen – lässt sich die Leitfähigkeit in bestimmten Bereichen gezielt manipulieren.

Die Polymere können auch das Verhalten von Halbleitern annehmen, und damit öffnet sich die Welt der mikroelektronischen Schaltungen. Zudem lösen sich diese Kunststoffe in bestimmten Flüssigkeiten, können somit wie Pigmente in Tinte auf Folien aufgedruckt werden. Inzwischen ist es Wissenschaftlern gelungen, erste einfache Schaltkreise zu drucken – die Vorstufe eines Chips.

Mit der Polymertinte werde sich Elektronik wie eine Zeitung drucken lassen, glaubt Wolfgang Clemens von Siemens Corporate Technology. Gemeinsam mit dem Chemieunternehmen Merck und weiteren Forschungsinstituten entwickelt die Erlanger Firma Werkstoffe und Fertigungsmethoden für Polymerchips. Doch bis der erste Prototyp eines Transponders auf Folie gedruckt wird, dürften noch ein paar Jahre vergehen. Unklar ist etwa noch, welche Materialien sich für eine Massenproduktion überhaupt eignen. Zudem müssen die altbewährten Drucktechniken verfeinert werden. Bei einem farbigen Druckbild etwa sind Kanten oft unscharf, weil die einzelnen Rasterpunkte nicht direkt auf einer Linie liegen. Dem menschlichen Auge entgehen solche Ungenauigkeiten. Bei Transistoren müssen aber hauchfeine leitende, halbleitende und isolierende Schichten präzise übereinander liegen.

Gedruckte Elektronik

Um herauszufinden, wie sich Folien großformatig mit Kunststoff-Elektronik beschichten lassen, hat das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikro-integration (IZM) in München Anfang Juli 2002 das "Anwendungszentrum Rolle zu Rolle" eröffnet. Die Trägerfolie abrollen, beschichten und die fertigen Chips als Meterware wieder aufrollen, das ist die Vision der Forscher. Dabei verwenden die Münchner beispielsweise Laminiergeräte, die Kunststofffolien unter Hitze miteinander verbinden, und Dispenser, die winzige Polymertropfen mit einer Art Kanüle auftragen.

Forschungsbedarf besteht indes nicht allein bei der Entwicklung preiswerter Transponder. Metallische Gegenstände können den Funkverkehr stören oder das Signal abschirmen. Experten vom Fachgebiet Logistik der Universität Dortmund messen, durch welche Materialien die elektronischen Etiketten problemlos senden und wie schnell sie sich am Lesegerät vorbeibewegen dürfen. Das ist etwa an Zufahrten zu Speditionen von Interesse, wo die Ladung vorbeifahrender Lastwagen in Sekundenschnelle erfasst werden muss.

Neue Systeme sollen Hunderte von Transpondern gleichzeitig abfragen können. Dazu benötigen sie aber weitaus höhere Funkfrequenzen als bislang. Je mehr elektromagnetische Schwingungen pro Sekunde übertragen werden, desto mehr Informationen lassen sich darin verpacken, oder – alternativ – desto mehr Transponder kann die Anlage gleichzeitig auslesen. Ein weiterer Vorteil der höherern Frequenzen: Der Abstand zum Transponder lässt sich dann über mehrere Kilometer hinweg auf bis zu einen Zentimeter genau bestimmen. Mittels mehrerer Lesegeräte sind die Etiketten also punktgenau zu orten. Das ermöglicht die elektronische Überwachung und Verladung zum Beispiel von Neufahrzeugen auf den Parkplätzen der Automobilfabriken.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2002, Seite 85
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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