Editorial: Eine Blaupause für die Liebe
Stellen Sie sich vor, Sie lassen sich morgens mit einer Tasse Kaffee auf der Couch nieder – und finden dort die Hinterlassenschaften Ihres Partners vom Vorabend: müffelnde Socken in der Sofaritze und jede Menge Krümel auf dem Boden, die nun an Ihren Füßen kleben.
Von Glück kann da reden, wer ebenso wenig zu einem Putzfimmel neigt wie der Partner. Denn was anderenfalls für Unmut sorgen könnte, lässt sich dann als Requisit einer gemütliche WG-Atmosphäre tolerieren. Bei ähnlich ausgeprägter "Gewissenhaftigkeit" (dazu zählen Persönlichkeitsforscher unter anderem die Ordnungsliebe) steigen deshalb auch die Chancen auf beständige Zweisamkeit, berichtet die Psychologin Beatrice Rammstedt im Interview zu unserem Titelthema ab S. 46.
Noch wichtiger für das dauerhafte Liebesglück ist allerdings der Bindungsstil, unsere emotionale Blaupause für intime Beziehungen. Ob wir "sicher" oder "unsicher" gebunden sind, beeinflusst den Beziehungsalltag von der Streitkultur bis hin zum Kondomgebrauch, erläutert die Hamburger Paartherapeutin Kirsten von Sydow ab S. 38. Können wir Nähe zulassen und sind gleichzeitig wenig besitzergreifend, genießen wir demnach am häufigsten eine erfüllte Partnerschaft.
Doch das ist kein Grund, bei Nähe-Distanz-Problemen gleich die Flinte ins Korn zu werfen. Auch Beziehungen mit einer bestimmten Konstellation unsicherer Bindungsstile können lange währen. Und überhaupt: alles nur Statistik! Warum man sich auf wissenschaftliche Befunde im Alltag nicht unbedingt verlassen kann, erklärt der Wissenschaftsautor Jürgen Schäfer in einem exklusiven Vorabdruck aus seinem Buch "Lob des Irrtums" ab S. 66. Darin ermutigt er außerdem dazu, Fehler zu machen und aus ihnen neue Erkenntnisse zu ziehen – manch große Erfindung sei so entstanden.
Alte Socken in der Sofaritze haben vermutlich noch keinen Forscher auf eine bahnbrechende Idee gebracht. Immerhin taugen sie nicht nur als Indiz fürs Scheidungsrisiko, sondern vielleicht auch als Hinweis auf einen sicheren Bindungsstil: Wer einem ordnungsliebenden Partner zum ersten Kaffee den Anblick seiner getragenen Socken zumutet, hat offenbar viel Vertrauen in die Beziehung.
Eine gemütliche Lesezeit auf dem Sofa wünscht
Ihre
Christiane Gelitz
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