Pendelverkehr zwischen den Nachbarplaneten
Ein bemannter Marsflug kann nur gelingen, wenn genügend Raketentreibstoff mitgeführt oder auf Mars produziert werden kann. Technische Lösungen dafür gibt es, doch sind sie teuer und zum Teil mit zusätzlichen Risiken verbunden. Alternativen zu den konventionellen Treibstoffen wird es frühestens in einem Jahrzehnt geben.
Unser Vorschlag bietet jedoch einen gangbaren Mittelweg: Man nutzt herkömmliche chemische Antriebe und lässt das Raumschiff durch so genannte Swing-by-Flüge zusätzlichen Schwung holen. Hierbei wird das Raumschiff so nahe an einem Planeten vorbeigeführt, dass sich seine Geschwindigkeit durch dessen Gravitationsfeld verändert.
Mit dieser Methode sind seit den siebziger Jahren mehrere Raumsonden auf ihrem Weg in das innere oder äußere Sonnensystem beschleunigt worden: zuerst Mariner 10, die auf dem Weg zum Merkur einen Schub vom Schwerefeld der Venus bekam, danach Pioneer 11 und Voyager 1, die sich an dem Gasgiganten Jupiter genügend Schwung holten, um an allen äußeren Planeten (außer Pluto) vorbeizufliegen und nun dabei sind, das Sonnensystem zu verlassen.
Auch für den Flug zum Mars lässt sich dieses Verfahren anwenden, wenngleich es zwischen ihm und der Erde keine größeren Himmelskörper gibt.
Auf Schleuderkurs zum Mars
Die Wirkungsweise eines Swing-by-Manövers lässt sich mit einem Analogon verdeutlichen. Wirft man einen elastischen Ball gegen eine feste Wand, so prallt er zurück, und zwar mit derselben Geschwindigkeit. Falls sich aber die Wand im Augenblick des Aufpralls auf den Ball zu oder von ihm weg bewegt, wird die Geschwindigkeit nach dem Stoß größer oder kleiner sein. Physikalisch gesehen bleibt der Impuls des Gesamtsystems erhalten: Die Änderung des Ballimpulses wird ausgeglichen durch eine umgekehrte Änderung des Impulses der Wand.
Während eines Swing-by-Manövers stößt das Raumschiff gewissermaßen elastisch mit dem Gravitationsfeld des Planeten. Falls der Planet sich in den Bogen der Flugbahn des Raumschiffes bewegt, wenn es an ihm vorbeifliegt, wird die Rückprallgeschwindigkeit des Raumschiffes höher sein als seine Anfluggeschwindigkeit. Auch hier bleibt der Gesamtimpuls erhalten: Der Impuls des Planeten ändert sich um denselben Betrag wie der des Raumschiffes. Doch wegen der enormen Differenz ihrer Massen ändert sich die Geschwindigkeit des Planeten nicht merklich.
Je größer die Masse des Planeten, desto stärker kann er die Flugbahn des Raumschiffes ändern. An Jupiter ist auf diese Weise eine Richtungsänderung von 160 Grad möglich. Durch geeignete Wahl des Anflugwinkels kann das Raumschiff sogar aus der Bahnebene der Planeten herausgeschleudert werden.
Mit Swing-by-Manövern ließe sich nun auf elegante Weise die Bahn eines Raumschiffs dergestalt ändern, dass es wie ein Linienbus zwischen Erde und Mars hin- und herpendelte. So könnte es unablässig Besatzungen und Material zwischen den Planeten hin- und hertransportieren. Der Verbrauch an konventionellen Treibstoffen wäre somit erheblich geringer.
Dieses Pendler-Konzept geht auf Alan L. Friedlander und John C. Niehoff zurück. Die beiden Raumfahrtwissenschaftler – damals bei der Firma Science Applications International angestellt – beschrieben Anfang der achtziger Jahre ein System von Wohnmodulen, die auf eine Sonnenumlaufbahn gebracht regelmäßig die Erde und den Mars anfliegen würden. Eine Reise zwischen den Planeten würde etwa zwei Jahre dauern. Der Transfer am Start- beziehungsweise Zielplaneten würde mit kleinen, einfach ausgestatteten "Raumtaxis" erfolgen, die etwa eine Woche unterwegs wären.
Nach dem ursprünglichen Konzept würden sich die Wohnmodule auf einer Umlaufbahn um die Sonne bewegen, auf der sie der Erde alle fünf und dem Mars alle 3,75 Jahre begegneten. Ein Alternativvorschlag sah die Ankunft an der Erde alle drei und am Mars alle siebeneinhalb Jahre vor. Keine dieser Umlaufbahnen würde merklich durch die Begegnung mit den Planeten geändert. Eine Beschleunigung durch das Gravitationsfeld der Planeten spielte also in den damaligen Vorschlägen keine Rolle.
Erst 1985 bezog einer von uns (Aldrin) Swing-by-Manöver in das Konzept ein. Die Pendlerschiffe würden nach wie vor die Sonne umkreisen, doch läge der fernste Punkt der Bahn – das Aphel – weit jenseits des Mars, und bei jedem nahen Vorbeigang an der Erde würden sie sich zusätzlichen Schwung holen. Auf dieser Bahn würden die Wohnmodule jedem Planeten alle 2,7 Jahre begegnen, und die Reisezeit zwischen ihnen wäre auf sechs Monate verkürzt. Ein gewisser Nachteil wäre allerdings, dass die Wohnmodule durch regelmäßige Antriebsmanöver auf diesen speziellen Bahnen gehalten werden müssten. Da diese Manöver über einen langen Zeitraum erfolgen könnten, ließe sich das mit schubschwachen, aber hocheffizienten Antriebssystemen bewerkstelligen.
Der wesentliche Schubgewinn erfolgte jedoch durch ein Swing-by-Manöver an der Erde. Dabei würde zugleich die so genannte Apsidenlinie – das ist die gedachte Linie zwischen dem sonnennächsten Bahnpunkt, dem Perihel, und dem Aphel – um einen gewissen Winkel gedreht werden. Diese Prozedur wäre erforderlich, weil das Intervall zwischen den Begegnungen des Pendlerschiffes mit dem Mars kein ganzzahliges Vielfaches eines Marsjahres wäre. Der Planet würde sich also bei jedem Besuch an einer anderen Position seiner solaren Umlaufbahn befinden.
Gegenwärtig lassen sich die Kosten der "Pendler"-Strategie noch nicht genau genug abschätzen, um sie mit anderen Konzepten vergleichen zu können. Letztlich hinge alles davon ab, wie viele Passagiere transportiert werden müssten, wie viele Pendlerschiffe man bräuchte und was deren Bau, Start und Wartung kosten würde.
Aldrin hat sein Konzept ständig verbessert. In der letzten Variante folgen die Wohnmodule Bahnen, auf denen sie den Planeten mit geringerer Geschwindigkeit begegnen, was mehr Zeit und Flexibilität für die Transfers von Passagieren und Material erlaubt. Statt einer einfachen abwechselnden Erde–Mars–Erde–Mars-Begegnungssequenz ermöglicht die neue Variante durch geniale Ausnutzung der Himmelsmechanik eine zusätzliche Verweilzeit an beiden Planeten.
Nach diesem Plan wird aus dem einzelnen Erdvorbeiflug eine mehrfache Vorbeiflugsequenz an unserem Heimatplaneten (Grafik rechts). Während des erdnahen Abschnitts der Flugbahn bleibt das Wohnmodul in einer erdähnlichen Umlaufbahn um die Sonne, aber alle sechs Monate würde es einen engen Vorbeiflug an der Erde nutzen, um mit deren Schwerefeld seine Umlaufbahn für die nächste Begegnung zu verändern. Ebenso würde man durch den Marsvorbeiflug eine Verzögerungsperiode gewinnen, in der das Wohnmodul wartet, bis die Erde in die richtige Position für den Rückflug kommt. Diese Flugbahn wiederholt sich selbst alle 52 Monate; während dieser Zeit finden zwei Konjunktionen von Erde und Mars statt.
Um die zweijährlichen Erdvorbeiflüge zu erreichen, würden die Missionsplaner das Schwerefeld der Erde dazu nutzen, die Ebene der Umlaufbahn des Raumschiffes um die Sonne um mehr als 10 Grad gegenüber der Erdbahnebene zu kippen. Die Umlaufszeit bliebe aber noch immer genau so groß wie die der Erde, also ein Jahr. Diese Strategie benutzt drei solcher Manöver (oder eine 6-Monatsbegegnung mit nachfolgender oder vorhergegangener 12-Monatsbegegnung) mit anschließendem Swing-by zum Mars.
Die Nasa hat das Konzept solcher Pendelbahnen bereits in Erwägung gezogen. Sie möchte eine derartige Flugbahn während einer der kommenden unbemannten Marsmissionen testen, mit der Gesteinsproben zur Erde gebracht werden sollen. Vielleicht werden Menschen eines Tages auch ein Linienraumschiff besteigen können, das sie zum Roten Planeten oder zurück bringt.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2000, Seite 64
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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