Elektronik: Per Selbstorganisation zu Nanochips?
Chiphersteller stehen an der Schwelle zur Nanowelt. Für den Schritt hinüber bieten sich durch Selbstorganisation entstandene Nanostrukturen an. Bisher ließen sie sich nicht definiert anordnen, doch ist das nun erstmals beim Silizium gelungen.
Silizium bildet bekanntlich die Säule der heutigen Halbleitertechnologie. Aus ihm werden alle gängigen Computer- und Speicherchips hergestellt. Nach dem Moore’schen "Gesetz" verdoppelt sich die Integrationsdichte, also die Anzahl der Transistoren pro Fläche, alle 18 Monate. Im selben Maße müssen sich die einzelnen Bauelemente verkleinern. In ein paar Jahren dürften Transistoren deshalb nur noch einige Dutzend Nanometer (millionstel Millimeter) messen: Die Siliziumtechnologie wird in die Nanoregion vorstoßen.
Das Zauberwort in der Nanowelt heißt Selbstorganisation. Es beschreibt ein äußerst nützliches Phänomen, das in derart winzigen Dimensionen auftritt: Auf einer Oberfläche abgeschiedene Atome können sich von selbst in Sekundenschnelle zu Abermillionen von winzigen Strukturen zusammenfinden, ohne dass künstlich in das System eingegriffen werden muss. Dies eröffnet einen äußerst eleganten und einfachen Weg zur Erzeugung nanometergroßer Basisstrukturen für die Bauelemente der nächsten Chipgenerationen. Denn im Nanobereich stoßen konventionelle Methoden – wie die Lithographie und Photoätztechnik – an ihre Grenzen. Außerdem verursachen sie Fehler im kristallinen Aufbau des Halbleitermaterials, die sich umso nachteiliger auf die Funktion des Bauelements auswirken, je kleiner es ist. Durch Selbstorganisation entstehen dagegen Nanostrukturen mit perfektem Kristallgitter.
Dieser enorme Vorteil wird allerdings durch ein ebenso großes Problem wieder in Frage gestellt: Die Nanostrukturen bilden sich zwar von selbst, aber ihre Position ist weitgehend unbestimmt – sie verteilen sich nach dem Zufallsprinzip auf der Oberfläche. Für elektronische Zwecke muss jedoch gewährleistet sein, dass die winzigen Gebilde in kontrollierter und reproduzierbarer Weise genau dort entstehen, wo sie gebraucht werden; eine statistische Verteilung wäre wertlos. Es gibt zwar inzwischen Ansätze, durch geeignete Abscheidungs- oder Wachstumsbedingungen eine gleichmäßigere Anordnung der Nanostrukturen zu erreichen, aber bis heute haben sie nicht zu einer perfekten "Selbst-Ausrichtung" geführt.
Die ist mir in der Gruppe von Karl Eberl am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart – in Zusammenarbeit mit der Universität Stuttgart – erstmals gelungen. Durch einen Trick konnten meine Mitarbeiter und ich selbstorganisierte "Nanoinseln" aus Germanium in Reih und Glied auf einer Silizium-Oberfläche aufbringen, ohne dabei ihren Hauptvorteil, die hochgradige kristalline Ordnung, zu beeinträchtigen.
Geschickte Kombination mit der Lithographie
Dazu versahen wir die Silizium-Oberfläche zunächst mittels konventioneller Methoden der Siliziumtechnologie mit flachen periodischen Gräben. Auf der so vorstrukturierten Oberfläche schieden wir dann eine Siliziumschicht ab, damit die scharfen, verunreinigten Kanten der Gräben bedeckt und abgerundet wurden.
Dann ließen wir abwechselnd je 15 Schichten aus Silizium-Germanium und Silizium aufwachsen. Der Clou an dieser Vorgehensweise ist, dass das Silizium-Germanium-Material während des Wachstums bevorzugt in die Gräben diffundiert und sich dort anreichert, sodass eine Inhomogenität entsteht. Weil die Atome von Germanium größer sind als die von Silizium, wird dessen Kristallgitter in der nachfolgenden Schicht gezwungen, sich über der Inhomogenität zu dehnen. Das veranlasst die nächste Silizium-Germanium-Lage, sich wiederum genau an dieser Stelle in einer etwas dickeren Schicht abzuscheiden. Die Inhomogenität pflanzt sich so automatisch in Wachstumsrichtung fort. Zugleich wird der ursprünglich eingeritzte Graben zunehmend eingeebnet; dadurch verwandelt sich die periodisch strukturierte Oberfläche nach und nach in eine glatte Oberfläche mit periodisch gedehnten Bereichen.
Auf ihr schieden wir schließlich reines Germanium ab. Es bildete in gewohnter Weise selbstorganisierte Nanoinseln aus. Aber diesmal waren sie nicht zufällig verteilt, sondern ordneten sich exakt über den gedehnten Bereichen und damit über den zuvor künstlich erzeugten Gräben an. Ebenso wichtig ist, dass sie sich weit über der beim Ritzen zwangsläufig verunreinigten Ausgangsfläche befinden und deshalb ihre außergewöhnlich hohe Kristallqualität bewahren.
Zudem sind die Germanium-Nano-inseln nicht nur fein säuberlich an den Gräben entlang aufgereiht. Obwohl die ursprüngliche Strukturierung nur eindimensional ist, tendieren sie dazu, sich auch in der Fläche in einem zweidimensionalen hexagonalen Gitter anzuordnen. Dahinter steckt wieder ein Selbstorganisationsvorgang. Die hexagonale Anordnung ist deshalb nur von kurzer Reichweite – etwa vier bis fünf Perioden. Perfekte zweidimensionale Muster lassen sich jedoch leicht herstellen, wenn man die Silizium-Oberfläche zu Beginn mit einem zweidimensionalen Muster vorstrukturiert.
Mit unserer Arbeit haben wir somit bewiesen, dass es möglich ist, eine Brücke von selbstorganisierten Nanostrukturen zu den höchstintegrativen Technologien zu schlagen, die bei der Chipproduktion eingesetzt werden. Weil sich Silizium und Germanium chemisch exzellent vertragen, wäre es vorstellbar, dass ein Siliziumtransistor der Zukunft von den positiven elektronischen Eigenschaften einer Germanium-Nanoinsel profitiert.
Unsere Methode ist selbstverständlich nicht auf diese beiden Elemente beschränkt. Kürzlich haben wir das gleiche Verfahren erfolgreich auf die Halbleiterkombination Gallium-/Indiumarsenid angewandt – ein Materialsystem, das sich in jedem Handy findet.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2002, Seite 8
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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