Chemie: Zeit für eine neue Ordnung?
Links ein Turm, rechts ein Turm, dazwischen eine dicke Mauer: Kein Bild steht so ikonisch für die unverrückbare Ordnung der Elemente wie das berühmte Periodensystem. Es hat sich als derart erfolgreiches Ordnungs- und Vorhersageinstrument für chemische Substanzen erwiesen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute noch auf seiner Grundlage chemisch- physikalische Eigenschaften neuer Stoffe abschätzen. So hat ein Forschungsteam im Jahr 2018 etwa mit Hilfe neuronaler Netze und der Struktur des Periodensystems vorhergesagt, welche Energie frei wird, wenn sich bestimmte Verbindungen aus den Elementen bilden.
Doch die scheinbar unverrückbare Tabelle ist nur eines von vielen Systemen, die die Ordnung und Klassifizierung der 118 bislang bekannten Elemente widerspiegeln. In Wirklichkeit existieren zahlreiche Möglichkeiten, das periodische System darzustellen – so wie es Tausende von Selfies ein und derselben Person gibt. Jede von ihnen hat ihre eigenen Vorteile und hebt bestimmte Aspekte hervor, beispielsweise die chemische oder elektronische Ähnlichkeit. Und je mehr Forscherinnen und Forscher über die Stoffe herausfinden, aus denen unsere Welt aufgebaut ist, desto mehr stößt das über 100 Jahre alte Konstrukt an seine Grenzen. Ist es also Zeit für eine neue Ordnung?
Ursprünglich ist das Periodensystem entstanden, weil Wissenschaftler chemische Verbindungen nach ihren Ähnlichkeiten klassifizierten. Als in den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts immer mehr Substanzen entdeckt wurden, erkannten sie auffallende Analogien, etwa zwischen Verbindungen des Natriums und des Kaliums. So kann man bekanntlich einen verstopften Abfluss mit einer Lauge von Natriumhydroxid wieder freilegen; genauso ginge das auch mit Kaliumhydroxid. Die große Anzahl an Verbindungen zwischen verschiedenen Elementen ermöglichte es, chemische Reaktionen zu studieren und zu beobachten, in welchen Verhältnissen die Elemente dort auftreten. Daraus entwickelten Chemiker das Konzept des »Atomgewichts«, das – einmal etabliert – die Basis dafür lieferte, empirische Formeln für Verbindungen zu formulieren und chemische Elemente von leicht nach schwer zu ordnen.
Etwa 11 000 Substanzen kannten Chemiker um 1860 herum (heute sind es rund 182 Millionen). Insbesondere Alexandre-Emile Béguyer de Chancourtois, John Alexander Reina Newlands, William Odling, Gustavus Detlef Hinrichs, Julius Lothar Meyer und Dmitri Iwanowitsch Mendelejew erkannten in jener Zeit, dass sich die Elemente logisch anordnen und gleichzeitig nach Ähnlichkeiten klassifizieren ließen. Meyer und Mendelejew betrachteten die Auflistungen der chemischen Elemente und ihrer Verbindungen dabei nicht als endgültig. Vielmehr postulierten sie anhand auffallender Lücken fehlende Elemente, schätzten deren Atomgewichte und interpretierten oder korrigierten experimentelle Ergebnisse sogar. Insbesondere Mendelejew machte das System durch den Nachweis populär, dass sich anhand einer geschickten Anordnung der Elemente neue Verbindungen voraussagen und Atomgewichte sowie chemische beziehungsweise physikalische Eigenschaften abschätzen lassen.
Die Schöpfer des Periodensystems wussten noch nichts über den inneren Aufbau der Atome. Sie ordneten die Elemente aufsteigend nach deren Atomgewicht; um aber die Ähnlichkeit der Stoffe in ihrem System widerzuspiegeln, mussten sie deren Positionen an manchen Stellen vertauschen …
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