Perlglanzpigmente
Der weiche Glanz des Perlmutts hat den Menschen von alters her fasziniert. Diese innerste Schicht von Muschel- und Schneckenschalen besteht aus Calciumcarbonat-Lagen, die sich mit solchen aus Chitin und Skleroproteinen, also tierische Stützstrukturen aufbauenden Eiweißen, abwechseln. Orientalische und asiatische Kunsthandwerker nutzten Perlmutt für kostbare Einlegearbeiten, im europäischen Mittelalter schnitzte man daraus bereits Reliefs für Medaillons und Mantelschnallen. Perlen, also von Muscheln mit Perlmutt umhüllte Objekte, waren als Schmuck schon zur Zeit des späten Hellenismus und im Römischen Reich von Bedeutung. Damals gelangten sie von Indien und Randgebieten des Persischen Golfs nach Europa, nachdem Taucher sie aus oft mehr als 20 Metern Wassertiefe geholt hatten.
Die Nachfrage nach dem kostbaren Schmuck wurde zum einen durch Perlenimitate befriedigt: Antillen-Perlen bestehen beispielsweise ganz aus gepreßtem Perlmuttpulver, Majolika-Perlen aus damit umhüllten Glas- oder Kunststoff- kügelchen. Seit Mitte des 17. bis zum Anfang unseres Jahrhunderts blühte zudem um Paris eine Industrie, die aus Fischschuppen von Hering, Ukelei und Sardine die Perlessenz, eine Suspension von Guanin-Hypoxanthin-Kristallplättchen, herstellte. Aus dieser auch als natürliches Fischsilber bekannten Substanz fertigte man künstliche Perlen .
Zwischen 1920 und 1950 gelangen dann auch Synthesen perlglänzender anorganischer Verbindungen des Zinks, Quecksilbers, Bleis und auch Bismuts. Schließlich kamen in den sechziger Jahren die ersten Metalloxid-Glimmerpigmente auf den Markt und erschlossen das Phänomen Perlglanz für so verschiedenartige dekorative Anwendungen wie Nagel- oder Autolacke (Bild 1).
Glanz aus der Tiefe
Perlglanzpigmente sind synthetische, in Medien eingebettete Stoffe, die Glanz, Brillanz oder irisierende Farbeffekte erzeugen (unter Glanz versteht man den durch mehr oder weniger gerichtete Reflexion von Licht an Oberflächen entstehenden Sinneseindruck; bei schleierfreiem Hochglanz spricht man von Brillanz). Es handelt sich durchweg um Plättchen mit überdurchschnittlich großem Durchmesser bis zu 200 Mikrometern (tausendstel Millimetern). Die Pigmente sind selbst stark lichtbrechend, werden aber in Materialien mit relativ niedriger Brechzahl eingebettet. (Beim natürlichen Vorbild Perle wechseln stärker brechende Calciumcarbonat- und Proteinschichten mit geringerer Brechzahl einander ab.) Perlglanzpigmente zählen ebenso wie die dünnen, metallischen Plättchen, die wie kleine Spiegel wirken und Bestandteile von Metallic-Lackierungen sind, zur Klasse der Effektpigmente.
Mit Licht wechselwirken sie auf dreierlei Weise:
- Einfachreflexion von auftreffenden Lichtstrahlen an den glatten Oberflächen der einzelnen Plättchen ergibt spiegelnden Glanz.
- Meist wird aber nur ein Teil des auftreffenden Lichts reflektiert, während ein anderer in das transparente Pigment eintritt. Auf seinem Weg trifft der Lichtstrahl auf weitere Flächen zwischen Systemen mit unterschiedlichem Brechungsvermögen wie etwa der Unter- seite des Pigmentplättchens und dem umgebenden Medium beziehungsweise der Oberseite des folgenden Teilchens und kann auch von dort reflektiert werden. Diese Mehrfachreflexion nimmt das menschliche Auge als einen Glanz wahr, der aus der Tiefe zu kommen scheint.
- Farbeffekte entstehen auch durch Interferenz, wenn Teilchen so dünn sind, daß sich Wellenzüge, die an ihrer Ober- beziehungsweise Unterseite reflektiert wurden, überlagern können. Die optische Wirkung ist um so ausgeprägter, je verschiedener die Brechzahlen von Pigment und einbettendem Medium und je planer die Oberflächen sind. Beruht die farb-gebende Wirkung ganz oder vorwiegend auf diesem Phänomen, spricht man deshalb auch von Interferenzpigmenten. Mitunter spielt jedoch zusätzliche Absorption eine Rolle, etwa bei Eisenoxid-Glimmerpigmenten.
Gebräuchliche Typen
Von den traditionellen Perlglanzpigmenten sind nur noch wenige von Bedeutung: natürliches Fischsilber, basisches Bleicarbonat (Pb(OH)2 2 PbCO3) und Bismutoxidchlorid (BiOCl). Ihre Herstellung erfolgt jeweils naßchemisch, das heißt durch Reaktionen in Lösungen, bei denen die gewünschten Produkte in Form einkristalliner Plättchen ausfallen. Je nach Dicke werden bestimmte Wellenlängen durch Interferenz ausgelöscht, und man erhält silberweiße oder farbige Interferenzpigmente.
Mehr als 90 Prozent des Weltmarkts der Perlglanzpigmente basieren jedoch auf dünnen Plättchen des Schichtsilicats Glimmer. Außer den Perleffekten zeigen diese mit Metalloxiden beschichteten Teilchen auch Farbflops, das heißt einen Wechsel von Glanz und Farbe beim Ändern des Beobachtungswinkels – Folge unterschiedlich langer Lichtwege in der hochbrechenden Farbschicht je nach Einfallswinkel. Glimmer sind biologisch unbedenklich und als Füllstoff und Farbmittel gesetzlich zugelassen. Die wichtigsten Anwendungen in Kombination mit Metalloxiden sind Beschichtungen, Autolacke, Kunststoffe, Druckfarben und Kosmetika.
Vorwiegend wird der transparente, natürlich vorkommende Muskovitglimmer, in einigen Fällen auch der synthetische Phlogopit eingesetzt und mit einer dünnen Schicht einer chemischen Verbindung – meist ein gleichfalls transparentes Metalloxid – überzogen. Die Glimmerpartikel sind vorzugsweise 0,1 bis 0,5 Mikrometer (tausendstel Millimeter) dick, während ihr Durchmesser weitaus mehr, nämlich von 1 bis 200 Mikrometer variieren kann (Bild 2). Durch Variation des mittleren Durchmessers lassen sich Glanz- und Deckungsvermögen steuern, denn Licht wird von Flächen reflektiert und an Kanten gestreut; große Plättchen in einer Matrix zeigen demzufolge Glanz und Brillanz, während viele kleine gut deckende Farbstoffe ergeben.
Metalloxidfilm und Glimmer haben unterschiedliche Brechzahlen. Tritt Licht durch ein Partikel, trifft es zweimal auf eine Metalloxid-Glimmer-Grenzfläche und wird wellenlängenabhängig reflektiert; die gespiegelten Wellen interferieren dann. Die Farbe läßt sich über die Dicke der aufliegenden Oxidschichten steuern (Bild 3); weil die Glimmerplättchen unterschiedlich dick sind, summiert sich ihr Anteil an den Interferenzeffekten zu einer weißen Hintergrundfarbe.
Als erstes Metalloxid nutzte man Titandioxid (TiO2); es folgten brillante, teilweise absorbierende Kombinationen mit mindestens einem anderen Oxid. Zur Herstellung kommen vorwiegend zwei Verfahren in Frage, bei denen Glimmer in wäßriger Suspension beschichtet wird: Der bei etwa 100 Grad Celsius ablaufende Sulfat-Prozeß, bei dem Titanylsulfat (TiOSO4) mit Wasser zum Titandioxid umgesetzt wird, und der Chlorid-Prozeß, bei dem Titanylchlorid (TiOCl2) mit Natronlauge reagiert. Die Reaktionsprodukte bilden dabei zunächst einen wasserhaltigen Film auf den Glimmerpartikeln. Das anhaftende Wasser wird durch Erhitzen auf 700 bis 900 Grad Celsius ausgetrieben; man spricht von Calcinieren. Weil sich der Chlorid-Prozeß besser kontrollieren läßt, produziert man meist auf diese Weise Interferenzpigmente mit vergleichsweise dicken TiO2-Schichten. Eine Alternative zu diesen naßchemischen Verfahren ist das Abscheiden aus der Gasphase, bekannt als chemical vapour deposition (CVD; siehe Spektrum der Wissenschaft, April 1996, Seite 86), ausgehend von TiCl4, Wasserdampf und Glimmerplättchen.
Normalerweise bildet sich das als Anatas bezeichnete Kristallgitter des TiO2. Durch Zusatz geringer Mengen Zinndioxid erhält man auch die Modifikation Rutil. Beide sind wichtige Silberweißpigmente, Rutil ist wegen seiner höheren Brechzahl aber brillanter und zudem wetterbeständiger.
Mit wachsender TiO2-Schichtdicke und dem damit variierenden Lichtweg erhält man eine Abfolge von Interferenzfarben (Bild 3). Titandioxid-Glimmerpigmente werden oft gemeinsam mit konventionellen Pigmenten eingesetzt, um deren Farbe brillanter und glänzend erscheinen zu lassen.
Eisen(III)-oxid ist ebenfalls zum Beschichten von Glimmerplättchen geeignet. Es steht der Bedeutung nach an zweiter Stelle hinter Titandioxid und kombiniert eine hohe Brechzahl – also metallähnlichen Glanz – mit einem hohen Deckvermögen sowie guter Wetterbeständigkeit. Man erhält Fe2O3-Glimmerpigmente durch Fällen von Eisen(II)- oder Eisen(III)-Ionen in wäßrigen Glimmersuspensionen und anschließendes Austreiben des Wassers bei 700 bis 900 Grad Celsius. Auch dazu gibt es einen alternativen CVD-Prozeß.
Eisen(III)-oxid kristallisiert unabhängig vom Herstellungsweg als Hämatit. Bei Schichtdicken von 50 bis 250 Nanometern (millionstel Millimetern) ergeben sich durch kombinierte Absorption und Interferenz brillante und intensive Farben; sie variieren mit der Dicke der Oxidschicht. Besonders die Rottöne sind intensiv, weil sich rote Absorptions- und Interferenzfarbe gegenseitig verstärken können. Es ist aber auch möglich, einen intensiven Grün-Rot-Farbflop zu erzeugen, indem man eine Fe2O3-Schichtdicke wählt, die außer einer roten Absorptions- eine grüne Interferenzfarbe erzeugt. Gutes Deckvermögen, hohe chemische Beständigkeit, Ungiftigkeit und die leuchtenden Bronze-, Kupfer- und Rottöne haben diese Eisenoxid-Glimmerpigmente zu wesentlichen Bestandteilen in Kunststoffen, Autolacken und Kosmetika gemacht. Die damit zu erzielenden Effekte lassen sich mit konventionel- len Pigmenten oder Pigmentmischungen nicht realisieren.
Kombinationspigmente auf Glimmerbasis
Um neue Farbtöne und höheres Deckvermögen zu erreichen, kann man Perlglanzpigmente mit transparenten Absorptionspigmenten mischen oder sie damit umhüllen. Solche Kombinationspigmente werden vorwiegend für Lacke, Druckfarben und Kunststoff eingesetzt.
Insbesondere durch Beschichten von TiO2-Glimmerpigmenten mit einem anorganischen oder organischen Farbmittel ergeben sich ausgeprägt brillante Farben mit interessantem Farbflop. Zudem lassen sich die kombinierten Farbteilchen besser dispergieren, also in Flüssigkeiten gleichmäßiger verteilen: Absorptionspigmente sind sehr klein und haben deshalb eine große spezifische Oberfläche, so daß sie häufig Agglomerate bilden. Die Titandioxid-Schicht bestimmt bei diesen Kombinationspigmenten Brillanz und Interferenz unter annähernd senkrechtem Beobachtungswinkel; sonst dominiert das zusätzlich aufgebrachte Farbmittel.
Auch Metalloxide lassen sich mit Titandioxid kombinieren, insbesondere Eisen(III)-oxid. Bringt man eine dünne Fe2O3-Schicht auf die Oberfläche eines TiO2-Glimmerpigments auf, ist die Interferenzfarbe das Ergebnis beider Metalloxidschichten, während die Absorptionsfarbe nur von der äußeren Fe2O3-Schicht bestimmt wird. Man erhält so Pseudo-Goldpigmente, die etwa rötlich golden glänzen. Werden beide Metalloxide gemeinsam auf den Glimmerplättchen abgeschieden, ergibt das Calcinieren grünlich-goldene Pigmente, denn dabei entsteht hochbrechendes gelbliches Eisen-titanat (Fe2TiO5), das die Körperfarbe entsprechend modifiziert. Andere anorganische Farbmittel für Kombinationspigmente sind Cr2O3, Berliner Blau, Cobaltblau, Fe3O4 und Ruß.
Neue Entwicklungen auf Glimmerbasis
Neue optische Effekte und funktionelle Eigenschaften wie besseres Deckvermögen, intensivere Interferenzfarben, höhere Licht- und Wetterbeständigkeit und günstigeres Dispergierverhalten sind wichtige Ziele der aktuellen Forschung. Zudem sollten die Pigmente toxikologisch unbedenklich sein und sich mit wenig umweltbelastenden Stoffen produzieren lassen.
Glimmerplättchen kann man mit einer Reihe weiterer Verbindungen umhüllen, um neue koloristische Variationen zu erzeugen. Festkörper-Reaktionen und der CVD-Prozeß erweitern die Synthesemöglichkeiten.
Glimmer läßt sich auch mit Metallen wie Silber und Gold beschichten. Dazu löst man Metallsalze in Glimmersuspensionen; bei Zusatz von Reduktionsmitteln scheidet sich das Metall auf den Partikeln in Form dünner Schichten ab. Man erhält so Pigmente, die preisgünstiger als reine Plättchen aus Gold oder Silber sind, aber eine vergleichbare Optik aufweisen.
Metalloxid-Glimmerpigmente lassen sich nicht nur dekorativ, sondern auch funktionell einsetzen. Die chemische Zusammensetzung und die Dicke der Oxidschicht auf der Glimmeroberfläche bestimmen wesentlich physikalische Eigenschaften wie die elektrische Leitfähigkeit, den Magnetismus oder die Reflexion von infrarotem Licht. Fußbodenbeläge und Verpackungsmaterialien, die sich nicht statisch aufladen können, und dekorative magnetische Oberflächen sind bereits realisiert. Auch die Wechselwirkung mit Licht kann man mit funktionellen Pigmenten beeinflussen, etwa um Kunststoffbeschichtungen für durchsichtige Dachkuppeln herzustellen, die infrarotes Licht – also Wärmestrahlung – reflektieren, oder um pigmentierte Schichten zu produzieren, die sich mit Lasern zu Barcodes für die Warenkennzeichnung markieren lassen. Im Prinzip sind derartige funktionelle Pigmente auch auf Basis anderer plättchenförmiger Substrate realisierbar, doch dominiert Glimmer bislang seiner guten mechanischen Eigenschaften und der Verfügbarkeit wegen.
Glimmerfreie Systeme
Die Gruppe der einkristallinen Glanzpigmente ist keinesfalls auf nichtabsorbierende Typen wie basisches Bleicarbonat oder Bismutoxidchlorid beschränkt. Neuere Entwicklungen sind absorbierende Pigmente wie plättchenförmiger Graphit, flächige Phthalocyanine oder Eisenoxidflocken. Letztere bestehen aus reinem Eisen(III)-oxid oder gemischten Phasen wie AlxFe2-xO3, MnyFe2-yO3 oder AlxMnyFe2-x-yO3. Es ergeben sich meist hexagonale, plättchenförmige Kristalle mit Durchmessern von 5 bis 50 Mikrometern. Reine Eisenoxidplättchen wirken metallisch, nur 50 bis 400 Nanometer dünne glänzen aufgrund von Interferenz hell und kupferfarben. Farbton und Kristallform können durch Dotieren – also Einbau von Fremdatomen wie Aluminium und Mangan in das Gitter – variiert werden.
Zu den glimmerfreien Systemen gehören auch Kaolin sowie Talk, die mit (Sn,Sb)O2 beschichtet helle, leitfähige, also funktionelle Pigmente ergeben. Transparente SiO2-Flocken als Kern eines Perlglanzpigments zeigen optische Effekte, die sich deutlich von denen der glimmerbasierten Pendants unterscheiden, wie etwa brillante Farbeffekte und in Kombination mit TiO2- und Fe2O3-Beschichtungen kräftigere Farbflops.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1997, Seite 99
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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