Personalreform für die Wissenschaft
Mit kleinen Korrekturen an bestehenden Rahmenbedingungen ist es nicht getan: Die „Hamburger Erklärung“ fordert eine umfassende Neuregelung des Dienstrechts, der Vergütungsstrukturen und der Qualifizierungswege für Wissenschaftler.
Derzeit erleben wir in Deutschland einen Strukturwandel von der Industriegesellschaft hin zu einer Wissens- und Informationsgesellschaft. Wissenschaft und Forschung nehmen immer stärker eine Schlüsselfunktion für die erfolgreiche Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ein. Zugleich nehmen die universale Verfügbarkeit des Wissens und der internationale Wettbewerb in der Generierung und Anwendung neuen Wissens deutlich zu. Daraus entsteht ein erheblicher Veränderungsdruck auf Themen, Arbeitsformen und Strukturen des Bildungssystems.
Die Qualität von Wissenschaft und Forschung beruht in erster Linie auf der Qualifikation und Innovationsfähigkeit der einzelnen Wissenschaftler, aber auch auf den Rahmenbedingungen für deren individuelle Arbeit. Gleiches gilt für die Wahrnehmung von Aufgaben innerhalb der jeweiligen Institution. Darum muß eine zukunftsorientierte Wissenschaftspolitik die Rahmenbedingungen schaffen, die die Leistungsfähigkeit der institutionellen Träger von Wissenschaft und Forschung fördern und bestmögliche Voraussetzungen für die Generierung neuen Wissens bieten. Dazu bedürfen Qualifizierungsstrukturen und Karrierewege, arbeits- und tarifrechtliche Bestimmungen sowie Vergütungsmodalitäten für Wissenschaftler und Nichtwissenschaftler einer Änderung. Kurzum: Eine Personalreform für die Wissenschaft steht an.
Eine solche Reform muß – selbstverständlich gemeinsam mit anderen hochschul- und forschungspolitischen Maßnahmen – dazu beitragen,
‰ die internationale Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu sichern,
‰ die Rekrutierung und den Einsatz qualifizierten Personals flexibel zu gestalten, um die Bearbeitung komplexer wissenschaftlicher Aufgaben und die anforderungsgerechte Weiterentwicklung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu gewährleisten,
‰ Studium und Lehre weiter zu verbessern und in diesem Zusammenhang neue Anforderungen rasch aufgreifen zu können,
‰ eine größtmögliche Mobilität der Wissenschaftler zwischen verschiedenen Einrichtungen des Forschungssystems zu erlauben und auch den Personaltransfer zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft zu fördern,
‰ Fördermöglichkeiten und Qualifizierungswege für den wissenschaftlichen Nachwuchs so zu gestalten, daß möglichst früh eine wissenschaftliche Selbständigkeit erreicht wird,
‰ strukturelle Hemmnisse für eine wissenschaftliche Karriere von Frauen abzubauen und damit Chancengleichheit im Wissenschaftsbereich zu schaffen.
Die derzeitigen Rahmenbedingungen weisen mehrere Schwachstellen auf. So sind die tarif-, arbeits- und beamtenrechtlichen Regelungen nur unzureichend auf die Belange des Wissenschaftsbereichs zugeschnitten. Dies gilt für eine optimale Entfaltung individueller Leistungspotentiale insbesondere der jüngeren Wissenschaftler ebenso wie für die adäquate Wahrnehmung institutioneller Aufgaben in Wissenschaft und Forschung.
Öffentliches Dienstrecht und die Vergütungsmodalitäten des öffentlichen Dienstes stehen der gewünschten stärkeren Orientierung an Leistungen in Forschung, Lehre und Dienstleistungen entgegen.
Zudem stößt der Personaltransfer innerhalb von Einrichtungen des öffentlich geförderten Wissenschaftsbereichs, vor allem auch zwischen diesen und forschungsaktiven Bereichen der Wirtschaft, auf strukturbedingte Grenzen und Mobilitätshindernisse. Die Strukturen der Nachwuchsqualifizierung führen zu unvertretbar langen Phasen wissenschaftlicher Unselbständigkeit und einem hohen Erstberufungsalter der Professoren. Und schließlich werden das technische und das Verwaltungspersonal nur unzureichend auf notwendige Prozesse der Organisationsentwicklung und Modernisierung vorbereitet. Es mangelt daher also nicht nur an leistungsorientierten Vergütungsstrukturen, sondern auch an Personalentwicklungskonzepten.
Eine Personalreform für die Wissenschaft muß deshalb folgendes gewährleisten:
‰ Neugestaltung des Dienstrechts sowie des Tarifrechts. Auf der Grundlage eigener Personalstatute müssen Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen umfassende Möglichkeiten für eine aufgabenbezogene Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen in einem Rahmen von Globalhaushalten erhalten.
‰ Leistungsorientierte Gehälter. Die Gehälter von Professoren, leitenden Wissenschaftlern und Verwaltungsmitarbeitern in Führungspositionen müssen künftig in der Verantwortung der einzelnen Hochschulen beziehungsweise Forschungsorganisationen als "Dienstherren" stärker leistungsbezogen ausgestaltet werden.
‰ Bessere Chancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Die Habilitation steht der Anforderung, daß Nachwuchskräfte zu einem möglichst frühen Zeitpunkt wissenschaftlich selbständig werden sollen, vielfach entgegen. Sie ist zugunsten fach- und aufgabendifferenzierter Karrierewege abzuschaffen, für die insbesondere die Einrichtung von Assistenzprofessuren mit dem Recht und der Pflicht zu selbständiger Forschung und Lehre sowie mit der Möglichkeit einer unbefristeten Anstellung in Betracht kommt.
‰ Befristungen, soziale Absicherung und Mobilität. Komplizierte Befristungsvorschriften für wissenschaftliche Mitarbeiter unterhalb der Professuren behindern einen optimalen, aufgabenangemessenen Personaleinsatz im öffentlich finanzierten Wissenschaftsbereich. Dies drückte die Hamburger Wissenschaftssenatorin, Krista Sager, folgendermaßen aus: "Das Projekt ist zu Ende, der Professor ist weg, nur die Mitarbeiter in Funktionsstellen sind noch da, und der Nachfolger weiß nicht, was er mit ihnen machen soll."
Die Erneuerung der Wissenschaft verlangt befristete Beschäftigungsverhältnisse, um eine Weiterqualifizierung von Nachwuchswissenschaftlern zu ermöglichen. – Gleichzeitig muß die Perspektive "Wissenschaft als Beruf" in einer dauerhaft sozial abgesicherten Beschäftigung eröffnet werden.
Wissenschaftsferne Verwaltungs und Rechtsvorschriften im Bereich der Altersversorgung stehen der Mobilität von Wissenschaftlern entgegen. Sowohl Abfindungen als auch eine Mitnahme von Versorgungsansprüchen müssen möglich werden.
Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh hat auf einem Symposium "Personalreform für die Wissenschaft: Dienstrecht – Vergütungsstrukturen – Qualifizierungswege" Ende April eine breite Diskussion mit Gewerkschaften, Ministerien und Hochschulen eröffnet. Prominente Referenten aus dem In- und Ausland zeigten Wege zu einer wissenschaftsgerechten Personalreform (siehe auch Kasten):
So beschrieb François Tavenas, Rektor der Laval-Universität in Quebec, die leistungsabhängige Karriere von Professoren an kanadischen Universitäten: Die Leistungen in der Forschung (nachgewiesen durch Veröffentlichungen) werden bei der Berufung zum Assistant Professor zugrunde gelegt. Leistungen in der Lehre (nachgewiesen durch Befragungen von Studierenden) und in der Forschung (nachgewiesen durch Drittmittel und Anzahl der Veröffentlichungen) gelten als Basis für den Schritt zum Associate Professor und zum Full Professor. Viele Universitäten führen Leistungsevaluationen durch, jährlich, bei Beantragung eines Sabbatjahrs oder im Zusammenhang mit Gehaltserhöhungen. In acht der zehn forschungsaktivsten Universitäten sind jährliche Gehaltserhöhungen ganz oder teilweise von der Leistung abhängig.
Das sogenannte Merit System an der McGill-Universität in Montreal, der früheren Wirkungsstätte von Tavenas, kombiniert eine Gehaltserhöhung mit einer leistungsabhängigen Verteilung des Budgets auf die Fakultäten. Diese Kombination hatte zur Folge, daß McGill seit langem zu den besten kanadischen Universitäten zählt. An der Laval-Universität ist ein solches System in Planung.
Stephan Bieri, Delegierter und Vizepräsident des Rates der Eidgenössischen Technischen Hochschulen, verriet einige Schweizer Zutaten für die Personalreform:
‰ New Public Management und gute Software für das Personalmanagement;
‰ Förderung von sogenannten "Dual Carreers", das heißt beispielsweise Verhandlungen mit der Fremdenpolizei für die Professorin für Mikrobiologie aus Berkeley, deren Mann Spitzensportler ist und eine Arbeitserlaubnis benötigt;
‰ eine neue Mischung aus Selbstverwaltung und permanenter Verwaltung, dazu weniger Departemente und
‰ äußerere "Druckelemente" wie Berater oder Software, jedoch müsse man "das Skalpell selbst in der Hand behalten".
Leistungsvergütung sollte nicht als Bestrafung, sondern als Chance gesehen werden, betonte Peter Hanau, geschäftsführender Direktor des Forschungsinstituts für Sozialrecht der Universität zu Köln. Von einer automatisierten Gehaltsanhebung müsse abgegangen werden: "Wem nichts einfällt, dem fällt auch bei mehr Gehalt nichts ein". Statt dessen sollten Professoren mit besonderen Leistungen sich um einen zentralen Hochschulfonds bewerben können.
Hans-Joachim Meyer, sächsischer Wissenschaftsminister und Präsident der Kultusministerkonferenz, hob die Zunahme der Verantwortung hervor, die auf akademischen Amtsträgern ruhe: Auch die Leistungen für die akademische Gemeinschaft müßten belohnt werden, ohne jedoch "Gremienprofessuren" zu schaffen.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung, setzte auf Assistenzprofessuren und eine leistungsbezogene Professorenvergütung. Der einzigen bisherigen Gehaltssteigerungsmöglichkeit, nämlich Bleibeverhandlungen, müßten flexible Vergütungsstrukturen entgegengesetzt werden.
Bei Hochschulen, Ministerien, Gewerkschaften und über politische Parteien hinweg bestand ein großer Konsens über Mißstände und Handlungsoptionen. Einigkeit bestand auch in folgendem Punkt: Die Personalreform für die Wissenschaft erfordert Mut und ist mit kleinen Korrekturen am Bestehenden nicht zu bewältigen. Nun ist die Politik am Zuge, möglichst noch in dieser Legislaturperiode zu einem wissenschaftsfreundlichen Ergebnis zu kommen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1999, Seite 97
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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