Physik der Quanteninformation
Die Informationstechnologie ist die wichtigste Schlüsseltechnologie zur Jahrtausendwende. Wo sind ihre Grenzen, wo ist grundsätzlich Neues zu erwarten? Bereits im Jahr 1965 hatte einer der Firmengründer des weltgrößten Chipherstellers Intel, Gordon E. Moore, das Tempo der technologischen Entwicklung vorgegeben: Die Anzahl der Transistoren auf einem Computerchip – in Verbindung mit der Taktfrequenz ausschlaggebend für dessen Leistung – werde sich alle 18 Monate verdoppeln. Diese in der Chipindustrie als Moorsches Gesetz bekannte Regel gilt weiterhin, auch wenn Moore 1995 den Zeitraum für künftige Verdopplungen auf zwei Jahre abänderte. Jede derartige exponentielle Zunahme wird irgendwann gegen eine grundsätzliche Grenze laufen. Unabhängig davon, in welcher Weise Chips verwirklicht werden, ist diese Grenze dann erreicht, wenn für das Schalten eines Bits an Information nur noch ein einziges Elektron notwendig ist. Dies würde bedeuten, daß Information durch die Quantenphysik beschrieben werden müßte. Dieses Quantenzeitalter der Information wird schätzungsweise Mitte des nächsten Jahrhunderts beginnen.
Ist diese Grenze nicht ein grundsätzliches Problem? Quantenphysik bedeutet doch zuallererst für viele einen Verlust an Genauigkeit, ist sie ja mit Konzepten wie der Heisenbergschen Unschärfebeziehung verbunden. Ferner sind Messungen, also Beobachtungen, in der Quantenwelt grundsätzlich statistischer Natur.
Unabhängig von der Informationstechnologie entwickelte sich in den letzten Jahren mit dem neuen Gebiet der Quanteninformatik eine vollkommen neue Sicht der Dinge. Ausschlaggebend hierfür war das Interesse der Wissenschaftler an den Grundlagen der Quantenphysik. Diese hatte ja bereits kurz nach ihrer Begründung durch Max Planck (1858 bis 1947) zu berühmt gewordenen Diskussionen zwischen Niels Bohr (1885 bis 1962) und Albert Einstein (1879 bis 1955) geführt, die anhand von Gedankenexperimenten ihre Interpretation und ihre philosophische Bedeutung erörterten. (Max Planck leitete im Jahr 1900 das heute nach ihm benannte Plancksche Strahlungsgesetz her. Die theoretische Begründung dieses Gesetzes führte zur damals völlig neuartigen Vorstellung, daß die Atome Strahlungsenergie nicht stetig in jeder beliebigen Größe, sondern nur stückweise in bestimmten Energieportionen, Quanten genannt, aussenden und aufnehmen. Dies gilt als die Geburtsstunde der Quantentheorie.) Gedankenexperimente demonstrieren auf ausgeklügelte Weise verblüffende Vorhersagen der Quantenphysik für das Verhalten einzelner Quantenteilchen. Durch enormen technologischen Fortschritt ist es heute möglich, solche Gedankenexperimente auch tatsächlich durchzuführen. Dabei ergab sich ganz natürlich die Fragestellung, was es für Information bedeutet, wenn sie durch einzelne Quantenteilchen übertragen oder codiert wird.
Quantenkommunikation
Die Anwendung solcher fundamentalen Experimente auf die Informationsübertragung und -verarbeitung wird von der Europäischen Kommission im Rahmen eines ihrer Forschungsprogramme gefördert. Im TMR-Netzwerk (Training and Mobility of Researchers) "The Physics of Quantum Information" arbeiten Wissenschaftler von Forschungsgruppen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich, Schweiz und Spanien unter meiner Koordination auf den Gebieten Quantenkommunikation, Quantenkryptographie und Quantencomputer zusammen. Bei der Quantenkommunikation geht es um die Frage, welche neuen Möglichkeiten der Informationsübertragung sich ergeben, wenn hierfür einzelne Quanten zur Verfügung stehen. Die kleinste Einheit der Information ist bekanntlich ein Bit, das die Werte 0 oder 1 annehmen kann. Bei klassischer Informationsübertragung entsprechen diese zum Beispiel zwei verschiedenen Werten der elektrischen Spannung. Im Falle der Quantenkommunikation nutzt man dagegen zwei verschiedene Zustände eines einzelnen Quantensystems, das jedoch auch in einer Überlagerung von 0 und 1 existieren kann. Aufgrund dieser völlig neuen Eigenschaft des einzelnen Quantensystems wird die (kleinste) Informationseinheit nun Qubit (abgeleitet von quantum bit) genannt. Qubits arbeiten also nicht nach dem binären Prinzip an/aus, sondern existieren gleichzeitig in vielfachen Formen. Ein konkretes Beispiel für ein derartiges System wäre etwa die horizontale Polarisation eines einzelnen Lichtquants (Photons) für 0 und seine vertikale Polarisation für 1. Ein solches Photon ließe sich beispielsweise über Glasfasern verschicken und könnte so die Information zum Empfänger tragen. Experimente mit einzelnen Photonen sind heute Routine.
Ein weltweit beachtetes Experiment war 1997 die erste Verwirklichung der Quantenteleportation (bekannt als Beamen aus Science-fiction-Filmen) an der Universität Innsbruck. Dabei wird der Quantenzustand eines Photons auf ein anderes, entferntes Photon übertragen. Dies geschieht unter Verwendung sogenannter verschränkter Zustände. Der österreichische Physiker Erwin Schrödinger (1887 bis 1961) bezeichnete Verschränkung bereits 1935 als das wesentliche Charakteristikum der Quantenphysik. Sie hat zur Folge, daß Quantensysteme auf weit engere Weise miteinander zusammenhängen können als dies bei klassischen Systemen – wie wir sie im Alltag kennen – überhaupt möglich ist. Mißt man eines von zwei miteinander verschränkten Qubits, wird hierdurch umgehend der Wert des zweiten Qubits über beliebige Entfernung hinweg festgelegt. In Innsbruck führten wir das Experiment mit verschränkten Photonen durch. In einem parallelen Experiment gelang es der französischen Arbeitsgruppe um Serge Haroche an der Ecole Normale Supérieure in Paris, erstmals Verschränkung von Atomen nachzuweisen.
Quantenkryptographie
Die Quantenkryptographie verwendet einzelne Quantensysteme dazu, Nachrichten geheim zu übersenden. Die Kryptographie (nach griechisch kryptós, verborgen, und gráphein, schreiben) ist heute von enormer wirtschaftlicher Bedeutung. Man denke nur an gängige Anwendungen, wie die Identifikation des rechtmäßigen Nutzers einer Kreditkarte oder die sichere Übertragung von Daten im Internet. Auf dem Gebiet der Quantenkryptographie arbeiten die theoretischen und experimentellen Arbeitsgruppen des TMR-Netzwerks sehr eng zusammen. Die beteiligten Wissenschaftler nutzen die Übermittlung einzelner Qubits dazu, eine geheime Folge von Bits zu erzeugen, die dann zur Verschlüsselung geheimer Nachrichten herangezogen werden kann. Der wesentliche Trick der Quantenkryptographie ist, daß einzelne Quantenteilchen sehr empfindlich sind. Ein Abhörer stört daher die Qubits in unvermeidlicher Weise, so daß er sofort entdeckt werden kann. Der schweizerischen Arbeitsgruppe um Nicolas Gisin an der Universität Genf ist es gelungen, eine Quantenkryptographiestrecke über eine Entfernung von zehn Kilometern aufzubauen. Dazu wurden einzelne Photonen durch in Genf verlegte Telekommunikationsfasern gesandt.
Quantencomputer
Das ambitionierteste Vorhaben ist die Entwicklung eines Computers, der imstande ist, Qubits anstelle von Bits zu verarbeiten. Ein derartiger Quantencomputer wird am Eingang mit Qubits gefüttert, die Überlagerungen der Werte 0 oder 1 darstellen. Dabei kann der Quantencomputer gleichzeitig Überlagerungen von vielen Rechnungen durchführen und nicht – wie ein klassischer Computer – eine Rechnung nach der anderen. Einige Algorithmen lassen sich auf diese Weise sehr viel schneller durchrechnen. Das populärste Beispiel geht auf den Mathematiker Peter Shor von den AT & T Bell Laboratories in Murray Hill im US-amerikanischen Bundesstaat New Jersey zurück. Er ersann einen Algorithmus, mit dem ein Quantencomputer eine für herkömmliche Rechner schier unlösbare Aufgabe in den Griff bekommen könnte: das Zerlegen vielstelliger Zahlen in ihre Primfaktoren. Zahlreiche, auch kommerziell genutzte Verschlüsselungssysteme basieren darauf, daß dies bisher praktisch unmöglich ist. Sollte es gelingen, einen Quantencomputer zu bauen, wären diese Verfahren augenblicklich überholt. Es ist eine gewisse Ironie, daß die Quantenphysik es selbst sein wird, die in Form der Quantenkryptographie wiederum ein sicheres Verschlüsselungsverfahren bereitstellt, diesmal jedoch aufgrund physikalischer Gesetze und nicht mittels trickreicher Kniffe.
Für Quantencomputer werden spezielle Schalter benötigt, die es einem einzelnen Qubit gestatten, den Zustand eines anderen umzuschalten. Mehrere Forschergruppen des Netzwerks arbeiten deshalb sehr intensiv an einer Verwirklichung solcher Quantenschalter. Ein Verfahren, das die Forscher hierbei erproben, nutzt zum Beispiel einzelne in elektrischen und magnetischen Feldern gefangene Ionen, die individuell mit einem Laser adressiert werden. Experimentell am weitesten fortgeschritten ist zur Zeit die Speicherung von Qubits in den Spins (Eigendrehimpulsen) von Atomkernen, die sich mit den konventionellen Verfahren der Kernresonanzspektroskopie adressieren lassen. In letzter Zeit wurden auch Verfahren mit Quantenpunkten in Festkörpern vorgeschlagen. Das größte Problem, mit dem die Wissenschaftler bei der Umsetzung des Quantencomputers zu kämpfen haben, ist die große Empfindlichkeit von Quantensystemen gegenüber äußeren Störungen. Jede Wechselwirkung mit der Umgebung überführt das System in einen klassischen Zustand. Durch diese Dekohärenz geht die Quanteninformation verloren.
Es ist heute ungewiß, ob ein großer Quantencomputer je gebaut werden wird. Die Geschichte der Naturwissenschaften hat uns jedoch immer wieder gelehrt, daß neue Forschungsansätze, sofern sie nur hinreichend einfach und grundlegend sind, in der Regel auch zu neuen Anwendungen führen; häufig entwickelten sie sich in eine Richtung, an die zu Anfang niemand gedacht hatte. Sollten sich die mit der Informationsübertragung und -verarbeitung durch einzelne Quantenteilchen verbundenen Erwartungen erfüllen, wäre Europa dank der Förderung durch die Europäische Union von Beginn an federführend an der Entwicklung dieser neuen Technologie beteiligt.
Ein wesentliches Problem ist heute der Nachwuchsmangel an qualifizierten Wissenschaftlern im Bereich der Quanteninformatik. Es ist daher das zentrale Anliegen des TMR-Netzwerks, die Ausbildung von jungen Wissenschaftlern auf diesem Gebiet zu intensivieren und deren Mobilität zu fördern, um so die Nachwuchssituation in Europa nachhaltig zu verbessern. So erhalten Pre- und Postdoktoranden Fördermittel für insgesamt 416 Monate sowie die Gelegenheit zu gegenseitigen Besuchen, wissenschaftlichen Diskussionen und Workshops. Durch die intensiven persönlichen Kontakte wird somit auch der Gedanke Europa für alle Beteiligten unmittelbar in die Praxis umgesetzt.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1999, Seite 959
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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