Proteindesign: Wirkstoffe der Zukunft
An einem späten Freitagabend im April 2020 saß Alexandra »Lexi« Walls allein in ihrem Labor. Dort, an der University of Washington, wartete sie nervös darauf, wie das wohl wichtigste Experiment ihres Lebens ausgegangen sei. Die junge Strukturbiologin und Expertin für Coronaviren hatte in den vorangegangenen drei Monaten Tag und Nacht gearbeitet, um einen neuen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 zu entwickeln. Ihr methodischer Ansatz hatte nicht nur das Potenzial, Covid-19 einzudämmen, sondern auch die Impfstoffkunde insgesamt umzukrempeln. Es lockte die Aussicht, damit alle möglichen Infektionskrankheiten zu besiegen – von Influenza bis HIV. Denn im Gegensatz zu den bis dahin verwendeten Vakzinen beruhte das von Walls entwickelte nicht auf natürlichen Komponenten. Es bestand aus künstlichen Proteinmolekülen, entworfen an einem Computer, und markierte einen gewaltigen Entwicklungssprung in der Biotechnologie.
Proteine sind komplizierte Nanomaschinen, die in Lebewesen zahllose biologische Funktionen ausüben, indem sie ständig miteinander interagieren. Sie sorgen dafür, dass der Organismus Nahrung verdaut, Eindringlinge bekämpft, Zell- und Gewebeschäden repariert, seine Umgebung wahrnimmt, Reize und Signale verarbeitet, Muskeln kontrahiert, Hirnaktivität erzeugt und sich vermehrt. Proteine sind lang gestreckte Ketten, die aus Bausteinen namens Aminosäuren bestehen. In aller Regel liegen sie aber nicht fadenförmig vor, sondern sie verdrehen und falten sich zu komplizierten dreidimensionalen Gebilden. Welche Gestalt sie dabei annehmen, hängt von der Art und Reihenfolge ihrer Aminosäuren ab – denn diese besitzen, je nach Typ, unterschiedliche Anziehungs- oder Abstoßungskräfte. Die Wechselwirkungen zwischen den diversen Aminosäuren eines Proteins sind meist derart verworren, dass Forscher es jahrzehntelang nicht schafften, die Prinzipien zu durchschauen, nach denen ein solches Molekül seine endgültige Form erhält. Ganz zu schweigen davon, dass Eiweiße winzig sind: Eine durchschnittliche Körperzelle enthält 42 Millionen von ihnen. Viele Experten nahmen deshalb an, dass wir den Mechanismus der Proteinfaltung nie aufklären würden.
Doch neue Erfolge auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI) bringen Licht ins Dunkel, indem sie den Zusammenhang zwischen Aminosäuresequenz und räumlicher Architektur von Proteinen immer fassbarer machen …
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