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Psychologie des Umweltverhaltens

Geht es um die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, ist menschliche Kooperationsfähigkeit besonders gefordert. Psychologische Experimente und Computersimulationen erhellen den prekären Zusammenhang von Umweltbewußtsein und ökologisch sinnvollem Verhalten.

Im Frühjahr 1995 brachte die kanadische Küstenwacht im Nordatlantik vor Neufundland einen spanischen Fischtrawler auf und legte ihn an Land fest. Der Kapitän sollte sich vor Gericht wegen Verstoßes gegen ein Gesetz zum Schutz von Fischbeständen verantworten, das Kanada kurz zuvor verabschiedet hatte. Doch eigentlich überzog das Land seine Hoheitsrechte, denn der Trawler war in internationalen Gewässern gestoppt worden; die politischen Wogen schlugen hoch.
Innerhalb einer 200-Meilen-Zone vor Neufundland hatte Kanada schon seit 1992 ein Fangmoratorium zur Regeneration der Bestände verhängt, weil der Kabeljau – Grundlage der neufundländischen Fischereiindustrie – auszusterben drohte: Anfang der sechziger Jahre hatte es davon noch geschätzte 1,6 Millionen Tonnen gegeben, 1992 waren nur noch 22000 Tonnen übrig.
Der soziale Preis, den Kanada für die Schonung dieser Ressource und eine entsprechend geschrumpfte Fischereiindustrie zahlen mußte, waren 30000 Arbeitslose. Die verbliebenen Trawler fischten nun auf Schwarzen Heilbutt, der sich zum Teil innerhalb, aber auch jenseits der 200-Meilen-Zone aufhält.
Für den Heilbutt wiederum galt ein Beschluß der in der Nordwest-Atlantik-Fischereiorganisation (NAFO) zusammengeschlossenen Anrainerstaaten, wonach Kanada von der insgesamt erlaubten Fangmenge von 27000 Tonnen zwei Drittel zustanden, der Europäischen Union nur 3400. Doch die Europäer (vor allem Spanien und Portugal) forderten knapp 19000 Tonnen und fischten auch entsprechend: Im Vorjahr hatten allein die Spanier 35000 Tonnen gefangen.
Der ökonomische Grund für diese aggressive Fischerei ist Überkapitalisierung: zu viele Schiffe für zuwenig Fisch. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, daß die Fischereiindustrie jährlich einen Verlust von 54 Milliarden Dollar einfährt, den die Eignerländer durch staatliche Subventionen für strukturschwache Küstenregionen auffangen.
Infolgedessen werden selbst unrentabel fahrende Schiffe nicht abgewrackt; dies erzeugt hohen Ausbeutungsdruck auf die natürliche Ressource Fisch. Ein Beispiel: Allein die spanische Fischfangflotte umfaßt 20000 Schiffe, darunter 1200 Hochseetrawler mit riesigen Netzen. Weil die Gewässer um die iberische Halbinsel längst leergefischt sind, weichen die Trawlerverbände in immer entlegenere Gewässer der Weltmeere aus (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1996, Seite 58).
Wie das Beispiel zeigt, ist zur nachhaltigen Nutzung begrenzt nachwachsender Ressourcen eine vielschichtige Kooperation von Individuen, Staaten und zwischenstaatlichen Institutionen nötig. Politische und ökonomische Aspekte sind hier so eng verwoben wie sonst selten, und letztlich steckt hinter allem das Handeln und Streben von Einzelpersonen – also etwas, für dessen Erklärung die Psychologie zuständig ist.

Das ökologisch-soziale Dilemma

Situationen, an denen mehrere Personen beteiligt sind, lassen sich drei Klassen zuordnen: In rein kooperativen (etwa Bergsteigen in einer Seilschaft) und rein kompetitiven (wie Schach oder militärischen Konflikten) sind die Ziele der Beteiligten jederzeit eindeutig; doch in Situationen mit gemischten Motiven hat jeder Teilnehmer sowohl kooperative als auch kompetitive Ziele. Ein Fußballspieler weiß, daß sein individueller Erfolg vom Gesamterfolg seines Teams abhängt, aber auch von seinem eigenen Profil innerhalb der Mannschaft, das sich wiederum manchmal nur gegen die Interessen von Teamkameraden durchsetzen läßt. Verfolgten aber alle nur ihre Eigeninteressen, würde die Mannschaft verlieren. Beide Ziele widersprechen sich; es kommt auf die Balance an.
Dieser Konflikt zwischen Individual- und Gruppeninteresse läßt sich vereinfacht so formulieren:
(1) Jeder hat einen höheren Nutzen durch eine nicht-kooperative Handlung, doch
(2) stehen alle Beteiligten besser da, wenn alle kooperieren.
Aus Regel (1) folgt: Nicht-Kooperation zahlt sich aus. Doch nun besagt Regel (2): Alle haben am Ende weniger, als sie bei Kooperation bekommen hätten. Somit ergibt eine (individuell betrachtet) rationale Handlungsweise ein suboptimales Fazit für die Gruppe. Die Beteiligten sind in ein soziales Dilemma geraten.
Auch die Nutzung einer natürlichen Ressource bildet eine solche Falle: Der Gewinn aus der Nutzung des Gutes kommt jedem einzelnen zugute, doch ein – durch den Drang zur individuellen Gewinnsteigerung fast zwangsläufig entstehender – Schaden an der Ressource trifft alle.
In dieser schematischen Beschreibung fehlt allerdings ein wesentliches Charakteristikum ökologischer Probleme: die Zeitverzögerung der Handlungseffekte. Diese sogenannte Zeitfalle entsteht, weil die Fernwirkung von Handlungen im Umweltbereich oft lange unerkannt bleibt. Das gilt für die meisten anthropogenen Umweltschäden – etwa durch Waldrodung in Gang gesetzte Erosion, durch Brunnenbau gesenkte Grundwasserspiegel mit nachfolgender Desertifikation oder durch Übernutzung bis zu den Jungtieren hin dezimierte Meeresfischbestände. Diese schwer durchschaubare Kombination von zwei Fallen wird Allmende-Klemme (englisch tragedy of the commons) oder ökologisch-soziales Dilemma genannt.
Oft ist die Lage aber noch verzwickter, weil weitere Fallen hinzukommen. Bei einer räumlichen Falle hat eine hier erfolgte Handlung anderswo Konsequenzen – sei es im engen Sinne lokal (durch welchen Stadtteil soll die neue Ausfallstraße geführt werden?), über Landesgrenzen hinweg (die in den Oberlauf eines Flusses eingeleiteten Schadstoffe finden sich im Trinkwasser der unteren Anrainer wieder) oder global (würde der Meeresspiegel durch den industriell verursachten Treibhauseffekt ansteigen, träfe dies die Einwohner von Bangladesch besonders hart, obwohl sie kaum zum Effekt beitragen). Außerdem haben viele Umweltprobleme einen entwicklungspolitischen Aspekt: Reichere Länder sind gegen anthropogenen Umweltwandel besser gewappnet als ärmere. Auch dabei sind Verursachung und Konsequenzen ungleich verteilt, und dies erschwert eine allseits akzeptable Lösung.

Das Verhalten des einzelnen

Zwar sollte man meinen, umweltgerechtes Handeln sei die Folge entsprechenden Bewußtseins, doch die empirisch gefundenen Zusammenhänge zwischen beiden sind enttäuschend schwach. Das entspricht einem generellen psychologischen Befund, wonach Verhalten sich nicht allein aus Einstellung erklären läßt.
Am Psychologischen Institut der Universität Freiburg beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe um Hans Spada seit den achtziger Jahren mit diesem Phänomen. Wir wählten einen funktionalen Zugang und fragten, was an Wissen, Präferenzen und Prozessen erforderlich ist, um Entscheidungen hervorzubringen (Bild 2).
Weil ökologische Systeme hochkomplex sind, erzeugt jede Handlung unweigerlich Neben- und Fernwirkungen: Die Befischung einer Art hat Folgen für das gesamte ökologische Gefüge und die Nahrungskette. Solche Systeme entwickeln sich auch ohne menschlichen Eingriff weiter – sie sind dynamisch. Die sich permanent ändernden Ausgangssituationen erzeugen Zeitdruck beim Handeln und verhindern, daß man sich über alle Zusammenhänge vollständig zu informieren vermag. Zudem sind wichtige Merkmale einer solchen komplexen Situation – wie Dietrich Dörner von der Universität Bamberg sie beschreibt – nicht unmittelbar erfahrbar: Die tatsächliche Größe einer Fischpopulation läßt sich selbst mit modernsten Methoden nur schätzen.
Deshalb fällt es dem einzelnen Akteur schwer, sich in der ökologischen Arena zurechtzufinden. Konsequenzen eigenen Handelns lassen sich infolge verzögerter Rückmeldung nur mühsam ausmachen. Abstraktes Wissen mag vorhanden sein, doch das garantiert nicht, daß es im konkreten Fall angemessen berücksichtigt würde. Außerdem sind nichtlineare – beispielsweise exponentiell wachsende – Zeitverläufe ungewohnt und werden unwillkürlich linearisiert; infolgedessen neigt man dazu, schleichend beginnende Phänomene langfristig weit zu unterschätzen.
Außer ökologischem Wissen um die Ressourcenlage braucht der Handelnde soziales Wissen: Er muß sich ein Bild von den Absichten und Motiven der Mitbeteiligten machen sowie von ihrer Berechenbarkeit oder Vertrauenswürdigkeit. Um das Verhalten anderer Personen vorhersagen zu können, schreibt man ihnen Wissen, Absichten und Wünsche zu. Solche Attributionen gehen aus direkter Beobachtung fremder Handlungen hervor oder aus indirekter Information (nicht zuletzt aus den Massenmedien). Aufgrund längerer Beobachtung meint man auch tieferliegende Personenmerkmale – Motive – erschließen zu können.
Doch auch soziales Wissen ist fehlbar. So neigen wir zum Beispiel dazu, eigene Beweggründe auch anderen zuzuschreiben (egozentrische Attribution) – insbesondere unerwünschte eigene Eigenschaften. Dies wirkt sich unmittelbar auf das eigene Verhalten und damit auf den Umgang mit der Ressource aus.
Sind eigene Handlungen mit Kosten oder Verzicht verbunden (wie im Beispiel des kanadischen Fangmoratoriums), möchte man wissen, wie sich die anderen verhalten. Tragen sie die Bemühungen um Ressourcenerholung mit, ist nicht nur der Gerechtigkeit der Akteure untereinander Genüge getan, sondern es gibt eine echte Chance zur Regeneration des Umweltgutes. Kooperieren die anderen aber nicht, so hat sich der Verzichtende ausnützen lassen: Er spielt den anderen in die Hände, indem sich ihr Gewinn erhöht. Darum ist Vertrauen in die kooperative Mitwirkung der anderen eine der wichtigsten Größen für ein erfolgreiches Umweltmanagement. Dabei gilt: Dieses kostbare soziale Gut bildet sich langsam und schrittweise durch kooperative Handlungen – doch seine Zerstörung ist ein rascher, oft abrupter Prozeß.
Vertrauen läßt sich durch Sanktionen oder Gruppennormen fördern. Auf diese Weise wird der Preis für unkooperatives Verhalten erhöht und der Preis für kooperatives Verhalten gesenkt (denn man darf erwarten, nicht der einzige Kooperierende zu sein). Zudem hat sich vielfach bestätigt, daß Nutzergruppen besser abschneiden, wenn sie miteinander über ihre Entnahmestrategien sprechen können und sich auf eine bestimmte Strategie einigen.
Außer ökologischem und sozialem Wissen kommt Handlungswissen ins Spiel – das heißt die Kenntnis von möglichen Verhaltensoptionen, von Plänen, Strategien und Gelegenheiten sowie vergangenen Erfolgen und Mißerfolgen. Bisweilen verbaut schlichtes Unwissen über gangbare Alternativen oder aber träge Gewohnheit die Lösung eines sozialen Dilemmas. Bei dreierlei Lerngelegenheiten lassen Verhaltensweisen sich anpassen oder neu bilden:
- durch den Erfolg oder Mißerfolg einer eigenen Handlung,
- durch Beobachtung des Ergebnisses der Handlung eines anderen und
- durch Nachdenken, das heißt mentales Simulieren künftig möglicher Zustände der Welt.
Während die eigenen Handlungsergebnisse in aller Regel routinemäßig ausgewertet werden und somit eigene Erfahrung immerzu in einen Lernprozeß mündet, ist bei der Beobachtung anderer schon zusätzliche Aufmerksamkeit nötig – und bei der mentalen Simulation ein echtes Innehalten, also eine Unterbrechung der Routine. Um so wichtiger sind die dabei gefundenen Entscheidungen und Verhaltensanpassungen.
Je nachdem, wie Menschen sich in Konfliktsituationen verhalten, lassen sie sich mehr oder weniger grob klassifizieren – zum Beispiel als kooperative Personen, die einen gemeinsamen Gewinn der Gruppe anstreben, Individualisten, die besonders ihren eigenen Gewinn im Auge haben, selbstlose Altruisten und so weiter. Auch können sie sich in ihrer Fähigkeit unterscheiden, Bedürfnisbefriedigung aufzuschieben – einer gerade für das Problem nachhaltiger Ressourcennutzung bedeutsamen Eigenschaft. Schließlich spielt mit, wie sehr der einzelne das Risiko sucht oder meidet. All dies läßt sich mittels psychologischer Testverfahren recht gut erfassen.

Ein Fischereispiel

Weil die meisten Erkenntnisse über Umweltverhalten isoliert gewonnen worden sind, ist über das Zusammenspiel dieser Faktoren wenig bekannt. Am Psychologischen Institut der Universität Freiburg entwickelten Hans Spada und Klaus Opwis deshalb schon früh ein Simulationsspiel, mit dem sich die Interaktion von Wissen, Motiven und situativen Bedingungen beobachten läßt.
Dabei versetzen sich drei Mitspieler in die Lage von Fischern an einem gemeinsamen See. Jeder sucht möglichst viel individuellen Gewinn zu erwirtschaften. Die Spieler können sich nicht absprechen; sie sind auch nicht über die Anzahl der Spielrunden (jede entspricht einer Fangsaison) informiert. Zudem wissen sie zunächst nicht, wie stark und nach welcher Gesetzmäßigkeit die Fische sich vermehren. Die Vermehrungsfunktion beruht auf biologischen Annahmen und ist nichtlinear; sie läßt sich erst im Laufe des Spiels erschließen. Auch die Absichten der Mitspieler sind nur aus ihrem Spielverhalten zu erfahren.
Zu Beginn ist der See voller Fische. Ein Spielleiter gibt vor jeder Runde den aktuellen Fischbestand bekannt. Über 13 Runden hinweg legen die Teilnehmer gleichzeitig ihre jeweiligen Fangquoten fest. Daraus wird dann vom Spielleiter der Restbestand am Ende der Fangsaison bestimmt und die Vermehrung bis zum Beginn der nächsten berechnet. Für jede Tonne gefangenen Fisch wird ein Geldgewinn ausgezahlt; dies garantiert – zusammen mit der spannenden und konfliktträchtigen Spielsituation –, daß das Spiel sehr ernst genommen wird.
Im Optimalfall gelingt es, den Fischbestand auf einem Niveau zu halten, bei dem er sich von einer Saison zur nächsten kräftig vermehrt; so läßt sich ein hoher und zugleich dauerhafter Gewinn erwirtschaften. Doch andere Spiele – und davon haben wir in unseren empirischen Untersuchungen viele beobachtet – verlaufen nach dem Muster einer Ressourcenkatastrophe: Aufgrund viel zu hoher Fangquoten sinkt der Fischbestand rasch, und jeder Spieler macht immer weniger Gewinn. Dann nimmt jeder, was noch zu holen ist. Nur ausnahmsweise vermag die Gruppe die drohende Katastrophe abzuwenden (Bild 3).
Erfolgreiche Gruppen zeichnen sich durch hohes ökologisches und gutes soziales Wissen aus. Solche Spieler schätzen den Fischbestand nach Vermehrung in der Schonzeit sowie die zu erwartenden Handlungen der Mitspieler genauer ein als die Teilnehmer in weniger erfolgreichen Teams; zudem ist ihr Fangverhalten stärker von ökologischen Motiven und vom Prinzip der Gleichverteilung der Gewinne geleitet.
Außer in dieser Standardversion des ökologisch-sozialen Dilemmas haben wir das Fischereispiel auch in einer Variante durchgeführt, bei der alle drei Teilnehmer über den ökologischen Aspekt (die Vermehrungsfunktion) vollständig informiert waren. Diese Gruppen bewältigten das verbliebene soziale Dilemma ohne Schwierigkeiten – ein Indiz für die Relevanz von gutem ökologischem Wissen. Hingegen lieferte eine Spielvariante mit Einzelspielern – das heißt ohne sozialen Konflikt und mit alleiniger Verantwortung für das Ressourcenmanagement – weniger gute Ergebnisse; doch auch hier erzielten die Spieler noch deutlich bessere Resultate als in der Standardversion.

Ein Computermodell

Um das komplexe Zusammenspiel von Motiven, Wissen und ökologisch-sozialen Umgebungsvariablen sichtbar zu machen, habe ich zusammen mit Hans Spada, Josef Nerb und weiteren Mitgliedern der Freiburger Arbeitsgruppe ein Computermodell entwickelt, das mentale Vorgänge mittels Algorithmen simuliert; sie manipulieren formale Symbolstrukturen, die als Gedankeninhalte interpretiert werden. Mit dieser Methode der symbolischen Modellierung lassen sich verschiedene Motive, unterschiedliches ökologisches und soziales Wissen, Lernmechanismen und Handlungsstrategien implementieren.
Aus solchen Elementen können die unterschiedlichsten künstlichen Spieler zusammengebaut werden – etwa ein ökologisch motivierter Akteur mit gutem ökologischem Wissen oder aber ein hoch sozial orientierter mit ungenügendem Umweltwissen. Die simulierten Akteure entsprechen nicht einer bestimmten Versuchsperson, sondern eher einem Typ von Personen.
Per Simulation lassen sich nun gezielt bestimmte Verhaltensstrategien überprüfen – insbesondere Tit for Tat ("Wie du mir, so ich dir"): diejenige Strategie (im Kontext des Zwei-Personen-Gefangenendilemmas), die ein Spiel immer kooperativ beginnt und in allen weiteren Zügen das erwidert, was ihr Gegenüber im letzten Zug getan hat. Da Tit for Tat sich in Computer-Turnieren mit den verschiedensten Gegnern erfolgreich behaupten konnte, zog der Politologe Robert Axelrod von der Universität von Michigan in Ann Arbor daraus die Lehre, man solle in sozialen Dilemmata sowohl Kooperation als auch Nicht-Kooperation jeweils erwidern. Dies beuge der dauerhaften Ausbeutung einer prinzipiell freundlichen Strategie durch unfreundliche Gegner vor.
Tatsächlich ist in der hermetisch abgeschlossenen Welt des Zwei-Personen-Gefangenendilemmas das Vergelten mit Nicht-Kooperation (und somit Reduzieren der möglichen Punkte für den Gegner) eine sinnvolle Sanktion. Darum erweist sich die Strategie Tit for Tat in solchen Situationen als robust und kollektiv stabil – das heißt, sie ist nicht nur im Wettbewerb mit anderen Strategien erfolgreich, sondern überdies vermag auch keine andere Strategie in eine Population von Tit-for-Tat-Akteuren einzudringen und sich dauerhaft einzunisten.
Läßt sich diese Lehre aus dem Gefangenendilemma auf ökologisch-soziale Dilemmata übertragen, an denen außer einer größeren Anzahl von Personen auch eine sensible Ressource beteiligt ist? Hans Spada und Klaus Opwis sind dieser Frage empirisch sowie mit einem einfachen Simulationsmodell nachgegangen und haben die Wirkung verschiedener dem Tit for Tat nachgebildeter Strategien im Fischereispiel überprüft. Die empirischen Resultate einer reinen Vergeltungsstrategie – man ahmt die jeweils höchste Ressourcenentnahme der beiden Mitspieler in der jeweils folgenden Runde nach – sind alles andere als ermutigend: Die Mitspieler verstehen die Absicht nicht, sondern stufen eine solche Strategie als chaotisch, unberechenbar und maßlos ein; darum schnitten Gruppen mit einem konsequenten Vergeltungsspieler insgesamt sehr schlecht ab.
Um den Defiziten der puren Vergeltungsstrategie abzuhelfen, konzipierte ich ein Warnverhalten, das den Mitspielern gezielter als die Vergeltung signalisieren sollte, was eine hohe Ressourcenentnahme anrichten kann; damit hoffte ich positives Lernen zu ermöglichen. Gewarnt wurde wiederum durch die Wiederholung eines ökologisch überhöhten Fanges – doch erst nach einer vertrauensbildenden Wartezeit von mehreren Runden zu Beginn des Spiels und zwischen zwei aufeinanderfolgenden Warnungen. Ansonsten legte der Spieler stets ein ökologisch und sozial vorbildliches Verhalten an den Tag.
Wie sich in den Simulationsläufen mit drei künstlichen Spielern herausstellte, wirkt auch das modifizierte Warnverhalten negativ auf die Ressource und das soziale Gefüge. Als ungewollte, aber unvermeidliche Nebenwirkung erwies sich der Schaden an der Ressource. (Im Gefangenendilemma kann dieses Problem nicht auftreten, da es keine Ressource gibt, die nachwachsen muß.) Wenn man die Mitspieler mit dem Warnverhalten konfrontiert, ist ihnen zunächst nicht klar, ob man sie nur warnen will oder tatsächlich vorhat, dauerhaft die Ressource zu überfordern. Diese Ungewißheit tritt zwar auch im Gefangenendilemma auf, wird aber im Mehrpersonen-Kontext noch durch die Unsicherheit verschärft, wer der Adressat der impliziten Botschaft sein soll. Vor allem Spieler mit labilem ökologischem Verhalten werden die Fehlinterpretation eines eigentlich gut gemeinten, aber mißverständlichen Verhaltens zum Anlaß nehmen, ihrerseits über die Stränge zu schlagen.
In jedem Falle wird die sogenannte Gruppen-Equity (der Mittelwert aller Entnahmen) nach oben verschoben. Da dieses Maß der Anker für die am sozialen Vergleich orientierten Strategien ist, legt es somit ebenfalls höhere Fangquoten nahe. Die dadurch gesteigerten Entnahmen sind aber just das Gegenteil dessen, was mit dem Warnverhalten beabsichtigt war. Insgesamt erleidet der Warner wahrscheinlich entgegen seiner Absicht einen Vertrauensverlust bei den Mitbeteiligten, und das Gruppenklima verschlechtert sich.
Von Simulationen abgeleitete Aussagen sind freilich nur so gut wie das zugrunde liegende Computermodell. Zur Validitätsprüfung nutzten wir das Modell selbst: Mit Hilfe künstlicher Mitspieler vermag man menschliche Probanden in eine Versuchsumgebung zu versetzen, die standardisiert ist und doch flexibel reagiert. Auf diese Weise lassen sich je nachdem mehr oder weniger freundliche, mehr oder weniger schwierige Experimentalumgebungen schaffen. Wenn die Versuchspersonen mit den künstlichen Akteuren am Bildschirm interagieren, behandeln sie ihre Spielpartner wie Wesen aus Fleisch und Blut. Dies äußert sich bisweilen in heftigen Gefühlsausbrüchen und Beschimpfungen.
Zusammen mit Hans Spada, Josef Nerb und Michael Scheuermann habe ich versucht, das Verhalten von realen Versuchspersonen, die im Fischereispiel mit zwei künstlichen Akteuren zusammentreffen, nun seinerseits modellhaft nachzubilden. Dabei wird jeweils ein weiterer künstlicher Akteur mit möglichst ähnlichen Eigenschaften wie die Versuchsperson ausgestattet und dann das Spiel wiederholt. Alles in allem gilt, daß ökologisch erfolgreiche Spiele sich deutlich besser im Modell nachbilden lassen als Verläufe mit dynamischer Ressourcenübernutzung und entsprechend dramatischen sozialen Interaktionen. Im ersten Fall verhalten die Versuchspersonen sich relativ normiert und sozusagen brav. Außerdem läßt gutes Wissen sich besser modellieren als schlechtes, das von zahlreichen und manchmal ungewöhnlichen Fehlannahmen geprägt ist. Zur perfekten Rekonstruktion dynamischerer Spiele fehlt dem Modell einfach die strategische Phantasie, mit der reale Probanden auf Herausforderungen reagieren.
Da die Versuchspersonen das Spiel der künstlichen Akteure für echt halten, vermag das Modell auch als umweltpädagogisches Instrument zu dienen. So läßt sich zum Beispiel mit einer Sequenz von immer schwierigeren Spielen sinnvolles Umweltverhalten stufenweise lernen. Dabei kann die Person – durch Teilnahme am Spiel oder bloßes Zuschauen – insbesondere etwas über den schwierigen Umgang mit Übernutzern erfahren. Gruppendiskussionen über die Spielverläufe vertiefen den Lerneffekt.

Täuschung, Inspektoren und Sanktionen

Zwar wirkt sich Kommunikation in Nutzergruppen prinzipiell positiv aus, doch manchmal wird Information aus strategischen Gründen unterschlagen oder verfälscht. Im Umweltbereich ist die Täuschung über tatsächliche Entnahmen aus einer Ressource oder über die Höhe von Schadstoffeinträgen bekanntlich an der Tagesordnung.
Diesem Aspekt gehe ich derzeit zusammen mit Renate Eisentraut in einem weiteren experimentellen Konfliktspiel nach. Bei diesem sogenannten Nordseespiel ist jeder von fünf Teilnehmern für die Fischereiwirtschaft eines Landes verantwortlich (Bild 4). Es gilt dabei eine – an den ökologischen Bedingungen des Spiels orientierte – Fangschwelle, die von Rechts wegen nicht überschritten werden darf. Gleichwohl vermag der Spieler sie faktisch drastisch zu übertreten. Der Fang des einzelnen Landes ist den anderen nicht von vornherein bekannt, sondern wird von ihm selbst angegeben. Jedes Land kann aber Inspektoren zu den anderen schicken, um die tatsächliche Fanghöhe festzustellen. Wenn ein Teilnehmer bei der Übertretung der für die Saison festgelegten Quote ertappt wird, muß er mit einer empfindlichen realen Geldstrafe rechnen.
Wie sich zeigt, machen die Spieler von den Inspektoren regen Gebrauch – und täuschen selbst kräftig über die Höhe der Fänge. Mit Hilfe der Sanktionen läßt sich in den meisten Fällen eine Ressourcenkatastrophe verhindern. Allerdings hören Übertretungsversuche manchmal auch nach mehrfacher Bestrafung nicht auf. Detaillierte Analysen der von den Spielern gemachten Angaben sollen über die verwendeten Strategien Auskunft geben.

Strukturelle Lösungen

Bisher war viel von individuellen Faktoren die Rede: Ob wir ökologisch adäquates Wissen erwerben, Umweltbewußtsein in der Erziehung zu verankern suchen oder mit anderen Beteiligten über die Tücken der Allmende in Kommunikation treten – jedesmal zielen die Veränderungsversuche auf die Beteiligten selbst; hingegen bleibt die Struktur der problematischen Situation unverändert. Doch dies allein reicht oft nicht aus, zumal wenn bei einem Massendilemma wie Luftverschmutzung oder Überfischung eine direkte Kommunikation zwischen den Beteiligten nicht möglich ist.
Deshalb setzt eine wichtige Klasse von Lösungsvorschlägen für ökologisch-soziale Zwickmühlen an der Struktur des Dilemmas an. Oft sucht man die knappe Ressource aufzuteilen, das heißt zu privatisieren. Das ist der radikalste Fall einer Verkleinerung der nutzenden Gruppe; eine solche Territorialisierung hebt das ökologisch-soziale Dilemma auf, indem sie den sozialen Anteil des Konflikts eliminiert. Damit werden die Anreizstrukturen für eine dauerhafte Nutzung günstiger, denn den Eigentümer treffen die Konsequenzen eigenen Fehlverhaltens ungleich deutlicher als in großen Gruppen. Zugleich nimmt die Wirkung, aber auch die Sichtbarkeit einer eigenen umweltadäquaten Handlung zu, so daß sie eher eine verstärkende Rückmeldung erfährt. Schließlich vermag man eine privatisierte Ressource nicht so leicht zu verlassen und durch eine neue zu ersetzen, während zwischen offen zugänglichen Gütern im Prinzip jederzeit eine Migration möglich ist – wie die der Fangflotten auf den Weltmeeren.
Obgleich wirtschaftswissenschaftliche Analysen die Wirksamkeit von Privatisierung generell bestätigen, ist Territorialisierung keineswegs problemlos. Im Jahre 1995 machte die Weltbank den Vorschlag, die Weltmeere zu privatisieren. Die Idee stieß aber auf Ablehnung, weil befürchtet wurde, wenige Großkonzerne mit enormer Kapitalkraft sowie der Fähigkeit zur Kontrolle und Verteidigung ihres Eigentumsanteils am Meer würden den Markt unter sich aufteilen. Wie dieses Beispiel zeigt, ist es nicht leicht, ein sinnvolles, realistisches und auch sozial verträgliches Konzept für eine Verteilung von Nutzungsrechten zu entwickeln. Soll es allein nach dem Preis gehen, nach der bisherigen Nutzung oder nach einem wie auch immer festgestellten Bedürfnis?
Zudem sind Versuche, eine Ressource durch Aufteilung zu retten, in einigen Fällen gescheitert: Manchmal ist das Verhältnis der Nutzer-Anzahl zur Ergiebigkeit des Umweltgutes so ungünstig, daß die durch Privatisierung erzeugten Parzellen schlicht zu klein sind und die Ressource weiterhin überfordert wird.
Ein anderes Verfahren – die allgemeine Erhöhung der Kosten der Ressourcennutzung – ist weniger radikal als die Territorialisierung der Ressource und läßt sich fein dosieren. Allerdings erfordert auch dieser Weg eine übergeordnete und von allen Beteiligten anerkannte Instanz, die den erhöhten Preis durchzusetzen und zu überwachen vermag. Im Prinzip darf jeder die Ressource nutzen, muß aber dafür bezahlen – zum Beispiel über eine Besteuerung des Gutes. Eine andere Möglichkeit ist die Bestrafung der Übernutzung in Form eines erhöhten Preises bei Umweltschädigung.
Statt den Preis für Umweltnutzung zu erhöhen, kann man auch umgekehrt umweltfreundliches Verhalten subventionieren, indem man beispielsweise den Erwerb energiesparender Technologien fördert. Das ist politisch zumindest kurzfristig weniger problematisch als Steuern; doch andererseits sind Subventionen sehr schwer wieder abbaubar, denn niemand läßt sich gern etwas wegnehmen, das er einmal hat. In jedem Falle entstehen zusätzliche Kosten – ob für die Überwachung der Verbote oder für die wirksame Verteilung der Subventionen. Verbote scheinen außerdem einen eigentümlichen Anreiz zu schaffen, sie zu umgehen.
Die Anthropologen haben auf die Bedeutung informeller Regulationssysteme hingewiesen – ohne schriftlich fixiertes Recht tradierte Vorschriften, die Teil der Kultur der jeweiligen Ressourcennutzer sind. Oft handelt es sich um ein gewachsenes Geflecht aus Gewohnheitsrechten, die von den Nutzern selbst überwacht werden. Sie verhindern vor allem Neuzugänge und somit die Vergrößerung der Nutzergruppe. Auch die Tabus mancher Kulturen bezüglich bestimmter Tierarten lassen sich als informelle Regulationen interpretieren. Wenn solche lokalen Nutzungsrechte durch Verstaatlichung außer Kraft gesetzt werden und der Staat nicht zur effektiven Ressourcenkontrolle imstande ist (wie etwa in den Wäldern Thailands oder Nepals), häuft sich in dem so entstandenen Machtvakuum die Übernutzung. In Nepal läßt man deshalb das lokale Ressourcenmanagement derzeit wieder aufleben.

Kombinierte Lösungen

Am erfolgreichsten dürfte demnach eine Kombination von formellen Regulationssystemen mit bereits vorhandenen traditionellen Absprachen und sozialen Wertesystemen sein. Ohne behutsame Detailarbeit und Einbindung der Beteiligten in den Entscheidungsprozeß ist mit Widerstand zu rechnen. Dies läßt sich an dem eingangs geschilderten Beispiel des Fischereikonflikts zwischen EU und Kanada illustrieren. Damals wurde die Weltöffentlichkeit Zeuge der friedlichen Lösung eines Streits um schwindende natürliche Ressourcen. Enge politisch-wirtschaftliche Verflechtungen der Beteiligten erleichterten eine Einigung.
Nur weil an der Nordwest-Atlantik-Fischereiorganisation alle Konfliktparteien beteiligt waren, konnte sie ein ökologisch adäquates Kooperationsziel vorgeben. Hätte nur eine Partei sich daran gehalten, wäre durch einseitige Kooperation die Ressource unfair verteilt worden. So aber einigten sich die Beteiligten auf eine erneut verhandelte Selbstverpflichtung sowie auf strukturelle Maßnahmen – etwa die verstärkte Überwachung durch Inspektoren und Satelliten. Dies gelang, weil die Konfliktparteien sowohl individuelle als auch strukturelle Lösungsansätze im Konsens nutzten.

Literaturhinweise

– Die Evolution der Kooperation. Von Robert Axelrod. Oldenbourg, München 1987.
– Ökologisch-soziale Dilemmata. Psychologische Wirkmechanismen des Umweltverhaltens. Von Andreas M. Ernst. Psychologie-Verlagsunion, Weinheim 1997.
– The Tragedy of the Commons. Von Garrett R. Hardin in: Science, Band 162, Heft 3859, Seiten 1243 bis 1248, 13. Dezember 1968.
– A Cognitive Model of Agents in a Commons Dilemma. Von J. Nerb, H. Spada und A. M. Ernst in: Proceedings of the Nineteenth Annual Conference of the Cognitive Science Society. Herausgegeben von M. Shafto und P. Langley. Seiten 560 bis 565. Lawrence Erlbaum, Mahwah (New Jersey) 1997.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1998, Seite 70
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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