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Psychopharmaka: Pillen für die Kinderpsyche

Jedes fünfte Kind in Deutschland zwischen 3 und 17 Jahren hat psychische Probleme. Einem Teil der Betroffenen können Medikamente helfen. Diese sollten aber nur in bestimmten Fällen zum Einsatz kommen.
Frau nimmt Tablette ein

Kleinkinder, die völlig außer Rand und Band sind, Pubertierende, die sich überhaupt nichts mehr sagen lassen. Das kennt der Arzt und Bestsellerautor Michael Winterhoff angeblich aus seiner Praxis nur zu gut: »Kleine Tyrannen«, bezeichnete er sie bisweilen in seinen Vorträgen und Büchern. Laut Recherchen des Westdeutschen Rundfunks (WDR) vom August 2021 verschrieb der Kinder- und Jugendpsychiater vor allem eins: Pipamperon, ein Medikament aus der Gruppe der Neuroleptika, das auch für den Einsatz bei Jugendlichen zugelassen ist. In der Regel wird es bei aggressiven psychotischen Zuständen als Beruhigungsmittel sowie als Schlafmittel angewandt. Der Wirkstoff blockiert Dopaminrezeptoren im zentralen Nervensystem. Einige der jungen Patienten berichteten, dass sie die Arznei im Rahmen der Therapie bei Winterhoff über mehrere Jahre hinweg, teilweise in ungewöhnlich hohen Dosen, eingenommen hatten.

In der auf den Nachforschungen des WDR basierenden Reportage »Warum Kinder keine Tyrannen sind« kommen mehrere Betroffene zu Wort und berichten über fragwürdige Behandlungsmethoden des Arztes. Sie erinnern sich etwa daran, dass das Medikament sie sehr müde machte oder ihre Wahrnehmung trübte. Teilweise leiden die Betroffenen noch als Erwachsene an Folgen, die mutmaßlich von der Ruhigstellung mit dem Neuroleptikum im Kindes- und Jugendalter herrühren. Die Sendung wirft die Frage auf, wie so etwas in Deutschland passieren konnte. Damit befasst sich mittlerweile sogar die Staatsanwaltschaft. Sie ermittelt wegen mehrerer Strafanzeigen gegen den ehemaligen Starpsychiater. Jüngst wurden Winterhoffs mittlerweile geschlossene Praxis sowie mehrere Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen durchsucht, die mit ihm kooperierten. Winterhoff schreibt etwaige Nebenwirkungen der Behandlungen »autonomen Fehldosierungen der Eltern« zu. Der Psychiater bestreitet sämtliche Vorwürfe und geht davon aus, dass seine Behandlungen rechtskonform waren. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.

Wenngleich es manchmal angebracht ist, Kindern und Jugendlichen Psychopharmaka zu verschreiben, sollten die Medikamente bei psychischen Beschwerden nicht das erste therapeutische Mittel der Wahl sein. Stattdessen sind Ärztinnen und Ärzte in der Regel dazu angehalten,…

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  • Quellen

Dobson, K. S.: The Science of CBT: Toward a metacognitive model of change. Behavior Therapy 44, 2013

Wells, A. et al.: Metacognitive therapy versus prolonged exposure in adults with chronic post-traumatic stress disorder: A parallel randomized controlled trial. Cognitive Therapy and Research 39, 2015

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