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Psychosozialer Stress und Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Koronarsklerose und essentielle Hypertonie haben viele Ursachen. Von den Stress-Faktoren scheint besonders der unangemessene Umgang mit Ärger pathogen zu sein.

In den industrialisierten Ländern sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache. Allein in Deutschland hat sich ihr Anteil an der Sterblichkeit seit dem Jahre 1952 mehr als verdoppelt; nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation und des Statistischen Bundesamtes lag er 1989 in der alten Bundesrepublik bei 49 und in der damaligen DDR sogar bei 57 Prozent. Weit obenan stehen dabei die Koronarsklerose und der Bluthochdruck.

Fast die Hälfte der an einem Herzinfarkt Verstorbenen ist jünger als 65 Jahre. Auch wenn die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den letzten Jahren nicht mehr entscheidend gestiegen ist, sind sie doch immer noch eine der größten wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen des Gesundheitssystems.

Zwei Krankheitsbilder

Bei der koronaren Herzkrankheit verengen und verhärten Ablagerungen die Herzkranzgefäße. Durch diesen arteriosklerotischen Prozeß erhält der Herzmuskel nicht mehr genug Sauerstoff. Je nach dem Grad der Verengung kann dies in Ruhe oder bei Belastung anfallsartig auftretende Schmerzen und Engegefühle in der Brust (Angina pectoris) verursachen oder sogar einen Herzinfarkt.

Im Gegensatz dazu ist die Bluthochdruckkrankheit häufig symptomlos. Sie liegt dann vor, wenn der Blutdruck bei Ruhe und voller Kontraktion des Herzens einen Schwellenwert von 160 Millimeter Quecksilbersäule (systolischer Blutdruck) zu 95 Millimeter kurz vor der Kontraktionsphase (diastolischer Blutdruck) überschreitet. Die Erkrankung wird oft nur zufällig bei Routineuntersuchungen diagnostiziert oder wenn sich eine der zahlreichen Folgen wie Angina pectoris oder Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenkomplikationen oder Sehstörungen einstellt. Bei ungefähr 90 Prozent aller Patienten läßt sich keine organische Ursache ermitteln; deshalb spricht man dann von einer essentiellen Hypertonie.

Solche Herz- und Gefäßschädigungen verlaufen meist chronisch und vom Patienten oft unbemerkt. Inzwischen sind mehrere Faktoren bekannt, die den Prozeß beschleunigen oder sogar ursächlich damit zusammenhängen. Bei der koronaren Herzkrankheit sind dies ein erhöhter Cholesterinspiegel, übermäßige Harnsäurewerte, Übergewicht, Rauchen, Diabetes und Bluthochdruck. Zu den Risikofaktoren der essentiellen Hypertonie gehören Übergewicht, Bewegungsmangel, erhöhter Alkoholkonsum und eine zu salzreiche Ernährung; zudem gibt es eine erbliche Disposition – das Risiko ist ebenfalls erhöht, wenn die Eltern Hypertoniker sind.

Cholesterin und Machtkämpfe im Tierversuch

Immer mehr Forschungsergebnisse weisen jedoch darauf hin, daß auch psychische oder soziale Belastungen Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördern. Insbesondere tierexperimentelle Studien haben dies deutlicher noch als Gesundheitsstatistiken dokumentiert. Jay Kaplan von der Universität von Kalifornien in Berkeley und Stephen Manuck von der Universität Pittsburgh (Pennsylvania) etwa haben Anfang der achtziger Jahre an Javaneraffen untersucht, wie eine permanente Bedrohung des sozialen Status und der Zwang, sich immer wieder in Kämpfen zu verausgaben, sich auswirken. Die Hälfte der Tiere ließen sie, ohne einzugreifen, in Gruppen mit immer den gleichen Artgenossen zusammenleben, so daß die Affen selbst ihre Hierarchie ausmachen konnten und diese lange beibehielten. Bei den anderen manipulierten sie die Rangordnung, indem sie in mehrwöchigem Turnus einzelne Tiere entfernten oder neue in die Gruppe brachten. Dadurch brachen besonders unter den ranghöheren Individuen immer wieder Rangordnungskämpfe aus. Zusetzen eines neuen Weibchens, das auch noch durch Östrogen sexuell attraktiv gemacht worden war, verschärfte die Aggressionen zusätzlich. Um die Wechselwirkungen zwischen dem psychosozialen Stress und einem somatischen Risikofaktor ermitteln zu können, gaben die Forscher jeweils einer Hälfte jeder Gruppe eine cholesterinreiche Diät.

Nach knapp zwei Jahren prüften sie den Zustand der Herzkranzgefäße. Die stärksten arteriosklerotischen Veränderungen hatten dominante Tiere, denen man immer wieder stärkere Artgenossen vorsetzte. Männchen in dieser Position kämpfen in der Regel um ihre Vormachtstellung besonders heftig; unter den Versuchsbedingungen konnten sie aber trotz aller Anstrengungen keinen Erfolg verbuchen. Allerdings war die Arteriosklerose bei solchen Tieren noch sehr viel stärker ausgeprägt, die auch stark cholesterinhaltiges Futter erhalten

Umgang mit Ärger

Ganz ähnliche Ergebnisse erbrachten epidemiologische Studien großer Bevölkerungsgruppen in den Vereinigten Staaten. An psychosozialen Faktoren wurden dabei unter anderem belastende Lebensumstände, Probleme am Arbeitsplatz und individuelle psychische Charakteristika berücksichtigt.

Die Kardiologen Meyer Friedman und Ray Rosenman vom Mount Zion Hospital and Medical Center in San Francisco (Kalifornien) beobachteten bereits in den frühen sechziger Jahren bei Herzpatienten ein typisches Verhaltensmuster, das durch Ungeduld und Zeitdruck, überdurchschnittliches Streben nach Anerkennung sowie Ärger und Feindseligkeit gekennzeichnet ist. Auf dieses sogenannte Typ-A-Verhalten achtet man seither in Studien zum Einfluß von psychosozialen Stressfaktoren auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen besonders.

Das psychologische Konzept half auch zu erklären, weshalb nicht alle Personen in Stress-Situationen zwangsläufig kardiovaskulär erkranken. Ausschlaggebend scheinen die individuellen Möglichkeiten zu sein, mit alltäglichen Belastungen umzugehen. Typ-A-Menschen – so die Annahme – erkranken, weil sie unablässig nach Anerkennung streben, sich permanent unter Zeitdruck fühlen und in Stress-Situationen aggressiv und feindselig reagieren.

Zwei großangelegte prospektive Längsschnittuntersuchungen in den USA sollten aufzeigen, ob als Typ A eingestufte, bei Untersuchungsbeginn aber noch gesunde Personen nach mehreren Jah-ren überdurchschnittlich häufig an Arteriosklerose litten (die eine Studie lief von 1961 bis 1969 in Kalifornien, die andere von 1965 bis 1973 in Massachusetts). Die Ergebnisse waren so überzeugend, daß die zuständige Sektion der amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstitute in Bethesda (Maryland) zu dem Schluß kam, das Typ-A-Verhaltensmuster sei in gleichem Maße krankheitsfördernd wie die traditionellen Risikofaktoren Rauchen, Bluthochdruck und zu hoher Cholesterinspiegel.

Allerdings ließ dieser Zusammenhang sich in mehreren Folgeuntersuchungen über die letzten Jahre nicht mehr nachweisen. Eine erneute Analyse der Daten aus einer dieser Studien zeigte jedoch auf, daß es zu differenzieren gilt: Feindselige und leicht zu verärgernde Menschen waren demnach überdurchschnittlich häufig von Koronarsklerose betroffen. Mittlerweile kristallisiert sich immer mehr heraus, daß diese Merkmale die eigentlich krankmachenden Komponenten des Typ-A-Verhaltens sind.

Auch für die essentielle Hypertonie sind aversive Emotionen wie Ärger und Feindseligkeit als Risikofaktoren belegt. Die Zusammenhänge sind dabei jedoch andere: An Arteriosklerose erkranken offenbar jene eher, die in Stress-Situationen häufig Ärger empfinden und dann auch noch feindselig und aggressiv reagieren; hingegen wird Bluthochdruck eher durch die Unterdrückung von Ärger begünstigt.

So ergibt sich das scheinbare Paradoxon, daß sowohl das Herunterschlucken als auch das Ausagieren von Ärger krank machen können. Der Widerspruch löst sich aber auf, wenn man annimmt, daß es nicht auf die Form des Umgangs mit dieser Emotion ankommt, sondern vielmehr beide Bewältigungsstrategien rigide und deswegen oft situationsunangemessen eingesetzt werden: Das stereotype Verhalten löst den Konflikt nicht, und so hält der Ärger viel länger als die auslösende Situation an.

Zusammentreffen von Risikofaktoren

Welche Mechanismen liegen aber nun dem pathogenen Prozeß zugrunde? Welche Zusammenhänge bestehen beispielsweise zwischen umweltbedingten und genetischen Risikofaktoren sowie den persönlichen Reaktionsmustern beziehungsweise Fähigkeiten zur Stress-Bewältigung einerseits und dem Risiko, an Bluthochdruck oder Koronarsklerose zu erkranken, andererseits?

Antwort suchten wir in mehreren Laborstudien, wobei wir kardiovaskuläre und andere physiologische Reaktionen in psychisch belastenden Situationen beobachteten. Die Reize waren exakt definiert. Beispielsweise mußten die Probanden Kopfrechenaufgaben unter Zeitdruck und Lärm lösen. Da bereits erkrankte Personen sich für solche Untersuchungen nicht besonders gut eignen (alle Auffälligkeiten können ebenso Folge wie Ursache der Erkrankung sein), wählten wir gesunde, aber familiär entsprechend vorbelastete männliche Jugendliche aus.

Die Ergebnisse entsprachen unseren Erwartungen: Der Blutdruck stieg bei den Probanden, die Ärger zu unterdrücken pflegen, besonders stark, dagegen bei jenen, die ihrem Ärger eher durch feindseliges Verhalten Luft machen, die Pulsfrequenz. Kam ein entsprechender familiärer Risikofaktor hinzu, waren die Reaktionen noch ausgeprägter (Bild 1). Dies deckt sich in gewisser Weise mit den tierexperimentellen Befunden von Kaplan und Manuck. Psychosoziale Stress-Faktoren scheinen sich also vor allem im Beisein somatischer Risikofaktoren auszuwirken.

Damit ergibt sich ein Modell des pathogenen Geschehens unter psychosozialem Stress: Wird Ärger in belastenden Situationen immerfort unterdrückt, steigt jeweils der Blutdruck akut an; das verursacht langfristig strukturelle Veränderungen im Gefäßsystem – die Voraussetzung für chronischen Bluthochdruck. Äußert sich Ärger dagegen in feindseligem Verhalten, steigt die Pulsfrequenz akut an, und dadurch wird vorübergehend die Sauerstoffversorgung des Herzens gestört; das kann eine Schädigung der Gefäßinnenwände nach sich ziehen und somit eine Arteriosklerose begünstigen.

Das Modell beschreibt freilich nur einen Ausschnitt des pathophysiologischen Geschehens (Bild 2). Überaktivität im Herz-Kreislauf-System in psychisch belastenden Situationen ist ja nur einer der krankheitsrelevanten Mechanismen. Weitere sind neurohormonelle Reaktionen; und zur Zeit werden auch stressbedingte Veränderungen im Fettstoffwechsel als Ursache diskutiert.

Unabhängig von den akuten physiologischen Reaktionen erhöht sich das Risiko in psychisch belastenden Situationen auch, wenn sich durch emotionale und kognitive Reaktionen bestimmte krankheitsrelevante Verhaltensweisen stärker ausprägen. Ungesunde Ernährung, Rauchen und erhöhter Alkoholkonsum gehören dazu.

Des weiteren bestehen zwischen den einzelnen im Modell aufgeführten Komponenten Wechselwirkungen. So fanden wir, daß nach einer Woche stark salzhaltiger Diät bei psychischer Belastung Blutdruck und Pulsfrequenz höher anstiegen als bei normaler Ernährung.

Auf jeden Fall scheint der unangemessene Umgang mit Ärger ein wichtiger Faktor von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sein. Kommen weitere hinzu, beispielsweise eine erbliche Veranlagung, steigt das Risiko noch. Derzeit ist jedoch nicht bekannt, wie hoch die Erkrankungswahrscheinlichkeit bei jeder der verschiedenen Konstellationen wirklich ist. Desgleichen weiß man nicht, ob es Kombinationen von Faktoren und Verhaltensweisen gibt, die besonders schädlich sind.

Nur läßt sich mit psychophysiologischen Studien allein der pathophysiologische Prozeß nicht ergründen. Erst durch Integration der Forschungsergebnisse sowie tierexperimenteller und epidemiologischer Befunde wird man die vielfältigen Beziehungen zwischen Verhalten und Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufklären können – zum Nutzen von Früherkennung und Therapie.

Gegenstrategien

Wie man allerdings aus therapeutischen Versuchen weiß, läßt sich das Risiko, an einem Herz- oder Kreislauf-Versagen zu sterben, durch psychologische Behandlung und Prävention erheblich verringern – auch ohne daß man die körperlichen Vorgänge im einzelnen kennt. Ein Beispiel ist eine Studie von Dean Ornish und seinen Mitarbeitern an der Universität von Kalifornien in San Francisco.

Patienten mit nachweislich verengten Herzkranzgefäßen und mithin schlecht durchblutetem Herzen unterzogen sich ein Jahr lang einem umfangreichen Behandlungsprogramm mit streng vegetarischer, fettarmer Diät, Sport und Übungen zur Stress-Bewältigung wie Entspannungs- und Atemübungen, Meditation sowie speziellen Dehnungs- und Streckungsübungen. Nach zwölf Monaten waren die Cholesterinwerte gesunken und die Herzschmerzen hatten nachgelassen; sogar die Gefäßverengungen hatten sich teilweise zurückgebildet (Bild 3). Dagegen hatte sich der Zustand von Patienten aus einer Kontrollgruppe, die konventionell internistisch betreut worden war, im Durchschnitt eher verschlechtert; auch die Durchlässigkeit ihrer Herzkranzgefäße hatte noch weiter abgenommen.

Noch ist unklar, auf welche Elemente der Therapie diese Erfolge zurückzuführen sind. Bedeutsam ist jedoch die eindrucksvolle Dokumentation der Wirksamkeit einer Intervention, die an mehreren verhaltensbedingten Risikofaktoren zugleich ansetzt. Unter der Leitung von Johannes Siegrist und Larry Scherwitz wird derzeit an der Universität Düsseldorf eine ähnliche Therapie erprobt; dabei zeichnen sich bereits vergleichbare Verbesserungen im Befinden der Patienten ab wie in der beschriebenen Studie.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1993, Seite 100
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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