Quartett komplett: das europäische Super-Teleskop vor dem Vollbetrieb
Das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte Eso steht kurz vor der Inbetriebnahme des vierten 8,2-Meter-Spiegels. Schon jetzt gibt es überzeugende wissenschaftliche Resultate – und fantastische Bilder.
Auf dem Cerro Paranal in der chilenischen Atacama-Wüste stehen sie wie mythische Riesen: Antu, Kueyen, Melipal und Yepun (Bild). Ihre Namen entstammen der Sprache der Mapuche (Araukaner), der in den südlichen Anden ansässigen Gruppe indianischer Ureinwohner. Die Bedeutung dieser Bezeichnungen – "Sonne", "Mond", "Kreuz des Südens" und "Sirius" – gibt bereits einen verräterischen Hinweis auf den Zweck der Anlage: die Erkundung des Kosmos. Tatsächlich bergen die vier silberglänzenden Kolosse jeweils einen der 8,2-Meter-Spiegel des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte Eso. Zusammen bilden sie eines der leistungsfähigsten astronomischen Observatorien weltweit.
Drei dieser großen Teleskope sind nunmehr in Betrieb – im Januar dieses Jahres gab es "First Light" bei Melipal. Damit beträgt die Gesamt-Spiegelfläche etwa 160 Quadratmeter. Noch in diesem Monat wird Yepun folgen.
Zwar ist die Interferometer-Anordnung noch nicht einsatzbereit, mit der sich die Einzelspiegel zu einem Gesamtteleskop koppeln lassen, dessen Auflösung Rekordwerte unter einer Milli-Bogensekunde erreichen soll; erst ab 2002 wird man das Licht aus zunächst zwei, dann weiteren Teleskopen und drei beweglichen 1,8-Meter-Zusatzspiegeln überlagern können. Doch auch jetzt schon lassen sich mit den separaten VLT-Spiegeln einzigartige Forschungsergebnisse gewinnen.
Ein Beispiel ist die Entdeckung und Untersuchung ferner Galaxien. Inzwischen gibt es Hinweise, dass viele Sternsysteme, die sich bereits im frühen Universum – weniger als drei Milliarden Jahre nach dem Urknall – gebildet haben, im optischen Spektralbereich nicht sichtbar sind. Das kann daran liegen, dass von ihnen ausgesandtes sichtbares Licht auf seinem weiten Weg zur Erde von kosmischem Staub verschluckt wird. Möglicherweise aber ist in diesen Galaxien auch die Sternentstehung weitgehend abgeschlossen; dann überwiegen ältere, kühle Sterne, die im roten und infraroten Spektralbereich leuchten. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass Licht ferner Galaxien wegen der Expansion des Kosmos zu längeren Wellenlängen verschoben wird, sodass es statt im sichtbaren im nahen infraroten Spektralbereich zu beobachten ist.
Speziell für solche Beobachtungen verfügt Antu über die Infrared Spectrometer And Array Camera Isaac. Bei infraroten Wellenlängen im Bereich von ein bis zwei Mikrometern lässt sich damit ein siebenmal größeres Himmelsgebiet als mit früheren Instrumenten erfassen. Eine Gruppe europäischer Astronomen entdeckte mit Isaac zu Beginn dieses Jahres eine Vielzahl weit entfernter Galaxien.
Für sichtbares Licht sind bei Antu und Kueyen jetzt die Spektrometer Fors1 und 2 in Betrieb gegangen. Sie zerlegen die einfallende Strahlung ähnlich einem Prisma nach der Wellenlänge. Auch sie eignen sich zum Erforschen ferner Galaxien, sofern diese starke Emissionen bei kurzen (ultravioletten) Wellenlängen haben, die nicht durch Staub absorbiert werden und auf Grund der kosmologischen Rotverschiebung im sichtbaren Bereich erscheinen.
Das gilt insbesondere für Radiogalaxien mit hohen Rotverschiebungen, die in der Kosmologie eine wichtige Rolle spielen. Sie gehören nämlich zu den ältesten und massereichsten Sternsystemen bei hohen Rotverschiebungen und können Hinweise darauf geben, wann und wie die erste Sterngeneration entstanden ist. Obwohl sie die meiste Energie im Radiobereich abstrahlen, emittieren sie auch im Ultravioletten.
Bei Rotverschiebungen über z = 4 sind Radiogalaxien die hellsten Objekte, die nicht – wie die Quasare – völlig von hochenergetischen Prozessen in ihrem aktiven Zentrum überstrahlt werden. Die Empfindlichkeit der Instrumente am VLT ist groß genug, um gleichzeitig Informationen über Ursprung und Entwicklung der Strukturen in der Umgebung von fernen Radiogalaxien zu liefern. Dazu zählen insbesondere die so genannten Halos ("Höfe"), aber auch Wolken aus ionisierten oder neutralen Gasen.
So hat eine Gruppe holländischer, chilenischer und amerikanischer Astronomen anhand neuer Radiokarten Radiogalaxien mit Rotverschiebungen größer als z = 3 ausfindig gemacht, welche mit den hochempfindlichen VLT-Instrumenten detailliert studiert werden sollen. Bereits 1997 hatte dasselbe Team mit dem 3,6-Meter-Teleskop der Eso in La Silla die Radiogalaxie TN J1338-1942 entdeckt; mit einer Rotverschiebung von z = 4,11 ist sie deutlich mehr als zwölf Milliarden Jahre alt.
Mit dem VLT-Spektrometer Fors1 nahmen die Wissenschaftler jetzt zunächst eine bestimmte Emission aus dieser Galaxie unter die Lupe. Sie entspricht dem Übergang des Elektrons im Wasserstoff-Atom aus dem ersten angeregten Zustand in den Grundzustand. Mit einer Wellenlänge von etwa 121,6 Nanometern liegt diese so genannte Lyman-Alpha-Linie im ultravioletten Spektralbereich. Auf Grund der Rotverschiebung der über zwölf Milliarden Lichtjahre entfernten Radiogalaxie erscheint sie auf der Erde jedoch bei 621,2 Nanometern und lässt sich deshalb mit Fors1 analysieren. Wie diese Analyse ergab, ist das Profil der Linie sehr asymmetrisch. Das liegt offenbar daran, dass kaltes Wasserstoffgas im Halo der Galaxie selektiv die Strahlung am einen Rand der Linie absorbiert. Das beweist, dass diese Radiogalaxie von einem großen Wasserstoff-Reservoir umgeben ist. Selbst dessen Dichte konnte aus den Daten abgeschätzt werden.
Doch außer trockenen wissenschaftlichen Fakten liefert VLT auch berauschend schöne Bilder kosmischer Objekte in bislang unerreichter Qualität. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist die Spiralgalaxie Messier 104 (NGC 4594): das 104. Objekt im Katalog von 109 Nebeln, Sternhaufen und Galaxien, den der französische Astronom Charles Messier bereits im Jahre 1784 zusammengestellt hat. Wegen ihrer charakteristischen Gestalt ist M104 auch als Sombrero-Galaxie bekannt. Mit Antu und dem Spektrometer Fors1 ist es nun gelungen, aus drei Aufnahmen bei verschiedenen Wellenlängen ein Bild der Galaxie zusammenzusetzen, das sie mit der fantastischen Auflösung von etwa 0,7 Bogensekunden zeigt (Bild). Damit werden noch Strukturen getrennt dargestellt, die nur ungefähr 170 Lichtjahre auseinander liegen (zum Vergleich: die Milchstraße hat einen Durchmesser von etwa 100000 Lichtjahren).
Die Sombrero-Galaxie befindet sich etwa 50 Millionen Lichtjahre entfernt im Sternbild Jungfrau. Schon 1912 hat der amerikanische Astronom Vesto Slipher durch Messungen am Lowell-Observatorium festgestellt, dass sie sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 1000 Kilometern pro Sekunde von uns entfernt; außerdem konnte er als Erster nachweisen, dass M104 rotiert. Die helle Ausbuchtung im Zentrum besteht primär aus so genannten Hauptreihensternen, die sich wie die Sonne in der stabilen längsten Phase ihrer Entwicklung befinden, in der sie nach und nach ihren Kern-Brennstoff aufbrauchen. Die Scheibe enthält außer Sternen auch Gas und Staub, der insbesondere die dunklen absorbierenden Schichten erzeugt. Die kleinen diffusen Quellen im Halo der Galaxie sind größtenteils alte Sternhaufen ähnlich denen im Halo der Milchstraße.
Heutige Messungen zeigen, dass das Verhältnis von Masse zu Leuchtkraft und die stellaren Geschwindigkeiten zum Zentrum des Sombrero hin steil ansteigen. Beides ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich hier wie bei vielen anderen Galaxien – einschließlich der Milchstraße – vermutlich ein Schwarzes Loch im Zentrum befindet. Nur wenn das Gravitationspotenzial von einer kompakten Zentralmasse, wie ein Schwarzes Loch sie darstellt, dominiert wird, nehmen die stellaren Geschwindigkeiten nämlich umgekehrt proportional zur Wurzel des Abstands vom Zentrum nach innen zu. Das Schwarze Loch im Zentrum von M104 hat ungefähr eine Milliarde Sonnenmassen. Wahrscheinlich sammelt es Materie aus seiner Umgebung auf einer Akkretionsscheibe, bevor es sie verschluckt; variable Radioemissionen aus dem Zentrum der Galaxie deuten dabei darauf hin, dass die Materieakkretion zeitlichen Schwankungen unterliegt.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2000, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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