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Rational Choice. Eine Kritik am Beispiel von Anwendungen in der Politischen Wissenschaft.

Aus dem Amerikanischen von Annette Schmitt. Oldenbourg, München 1999, 271 Seiten, DM 98,-.

Nach den Modellen und Analysen der modernen Wirtschaftswissenschaft folgen die einzelnen Wirtschaftssubjekte stets ihrem Eigeninteresse und sind nur auf ihren Vorteil bedacht. Der homo oeconomicus wägt bei jeder Handlung Nutzen und Kosten ab und wählt unter Knappheitsbedingungen diejenige Handlungsalternative, die ihm den größten Vorteil bringt. Er trifft also eine rationale Wahl (rational choice).

In den letzten 50 Jahren haben Wirtschaftswissenschaftler zunehmend das Modell vom homo oeconomicus auf das menschliche Verhalten überhaupt ausgedehnt. Sie entwarfen generelle Rationalwahlmodelle und wandten sie auf die Gebiete anderer Sozialwissenschaften an, was diese wiederum als „ökonomischen Imperialismus“ wahrnahmen. Inzwischen werden Rational-Choice-Modelle in nahezu allen Sozialwissenschaften diskutiert und spielen selbst in der philosophischen Ethik eine Rolle.

In die politische Wissenschaft ist der Rational-Choice-Ansatz als „Neue Politische Ökonomie“ oder „Public-Choice“-Theorie des kollektiven Handelns eingegangen. Was kann dieses Modell leisten? Ist es den traditionellen Methoden wirklich überlegen, wie seine Vertreter oft behaupten? Diesen Fragen widmet sich das vorliegende Buch.

Die Politologen Donald P. Green und Ian Shapiro von der Yale-Universität stellen zunächst den Rational-Choice-Ansatz in Grundzügen vor und gehen auf dessen aus ihrer Sicht problematische methodische Besonderheiten ein. „Nutzenmaximierung [ist] ein zentraler Aspekt rationalen Handelns.“ Rationale Akteure müssen sämtliche Handlungsalternativen in eine Rangfolge, eine Präferenzordnung, bringen können und wählen dann die höchstrangige Alternative. Die relevanten Akteure sind Individuen, und so ist es die Aufgabe der Rational-Choice-Theorie, „kollektive Ergebnisse anhand des Maximierungshandelns von Individuen zu erklären“. Problematisch erscheint nun vor allem, dass die Theorie im Nachhinein (post hoc) entwickelt wird und dass Rational-Choice-Erklärungen zu viele vage oder vage operationalisierte Vorhersagen enthalten. Rational-Choice-Erklärungen sind mit zu vielen möglichen Ergebnissen kompatibel. Diese grundsätzliche Kritik führen die Autoren an vier zentralen Thesen der Neuen Politischen Ökonomie durch:

- das Wählerparadox: Rationale Individuen gehen nicht zur Wahl, weil der Aufwand, also die Kosten, den Nutzen wegen des geringen Gewichts der eigene Stimme weit übersteigt;

- das Dilemma kollektiven Handelns: Sie beteiligen sich nicht an kollektivem Handeln – vom Getrenntmüllsammeln bis zum Streik –, weil sie auch ohne eigene kostenverursachende Aktivität in den Genuss von dessen Erfolgen kommen können; sie verhalten sich also als „Trittbrettfahrer“;

- das Abstimmungsparadox: Durch eine geschickte Abstimmungsregie lässt sich bei Mehrheitsentscheidungen meist jede mögliche Alternative durchsetzen, sodass demokratische Gesetzgebungsprozesse von Instabilität und paradoxen Ergebnissen bestimmt sind;

- das Theorem des Medianwählers: Wenn sich Wahlprogramme in einem eindimensionalen Kontinuum anordnen lassen (zum Beispiel mehr oder weniger an Steuern oder öffentlichen Gütern), versuchen konkurrierende Parteien, zur Maximierung der auf sie entfallenden Stimmenzahl sich einer mittleren Position,

der des so genannten Medianwählers, zu nähern.

Diese Thesen bewähren sich in der Realität jedoch schlecht. Die Wahlbeteiligung ist regelmäßig wesentlich höher, als nach Rational-Choice-Voraussagen zu erwarten, kollektives Handeln scheitert nur selten am Trittbrettfahrer-Problem, Gesetzgebungsprozesse in modernen Demokratien sind relativ stabil, und Parteien streben keineswegs immer nach der Position des Medianwählers.

Warum ist das so? Bei politischen Entscheidungen, so Green und Shapiro, spielen außer rationaler Nutzenmaximierung noch andere Faktoren eine wichtige Rolle. Menschen gehen zur Wahl, weil sie damit eine staatsbürgerliche Pflicht erfüllen wollen; Fairnessüberlegungen können Menschen vom Trittbrettfahren und von Abstimmungsmanipulationen abhalten. Außerdem ist zu beobachten, dass die Menschen um so weiter von den Voraussagen der Rational-Choice-Theorie abweichen, je intensiver sie kommunizieren.

Diese mangelhafte Übereinstimmung mit der Realität veranlasst jedoch die Rational-Choice-Theoretiker im Allgemeinen nicht dazu, ihren Ansatz zu relativieren oder seinen Geltungsanspruch einzuschränken. Vielmehr versuchen sie etwa mit ad-hoc-Annahmen, Theorie und Daten in Einklang zu bringen. Man unterstellt etwa, Wähler hätten eine besondere Präferenz für staatsbürgerliche Pflichterfüllung oder überschätzten ihren Einfluss und damit den Nutzen ihrer Stimmabgabe. Bei so genannten „dünnen Theorien“ zum Abstimmungsparadox, die anders als „dicke Theorien“ keine Annahmen über die Präferenzen selbst machen, greifen die Verteidiger des Rational-Choice-Modells zu ähnlichen Strategien. Entweder behaupten sie aufgrund einer fragwürdigen Datenauswahl, Abstimmungsprozesse seien generell instabil, oder sie räumen deren Stabilität ein und versuchen sie mit „neuen theoretischen Modellen“ zu erklären.

Wie aber kommt es zu dieser hartnäckigen Ignoranz gegenüber der Wirklichkeit? Green und Shapiro sehen den Grund dafür darin, „dass die Rational-Choice-Theoretiker keinen problemorientierten, sondern einen methodenorientierten Forschungsansatz vertreten, d. h. dass es ihnen oft viel mehr darum geht, irgendein universalistisches Modell zu verteidigen, als reale politische Zusammenhänge zu verstehen und zu erklären“. Für dieses Vorgehen zahlen sie einen hohen Preis. Willkürliche Ad-hoc-Annahmen und Bereichseinschränkungen sowie Annahmen über „psychischen Nutzen“ oder moralische Präferenzen machen es nicht nur „schwer, zwischen Rational-Choice-Ansätzen und anderen Erklärungsansätzen zu unterscheiden“. Am Ende gibt es dank der Zusatzannahmen nichts mehr, was die Rational-Choice-Theorie nicht erklären könnte: Sie kann nicht falsch sein und wird damit wertlos.

Green und Shapiro wollen nicht den Rational-Choice-Ansatz in toto oder gar das Rationalitätsparadigma als solches verwerfen. Sie zweifeln nur am Sinn des Unternehmens, für den Bereich der Politik „eine einzige allgemeine Theorie“ entwickeln zu wollen. Und sie halten es für falsch, „Rational-Choice-Modelle um jeden Preis und gegenüber jedem Standpunkt zu verteidigen“. Sie plädieren dafür, „die Sozialwissenschaft nicht als Wettkampf zwischen konkurrierenden theoretischen Ansätzen [zu] betrachten..., sondern als gemeinsames Unternehmen, bei dem verschiedene Erklärungen sich gegenseitig bedingen und voran-bringen“.

"Rational Choice" ist ein kenntnisreiches, gründlich und sorgfältig argumentierendes Buch, das auch der Diskussion im deutschen Sprachraum wichtige Impulse geben dürfte. Allerdings wirken die gegen den Rational-Choice-Ansatz angeführten Gesichtspunkte disparat. Dadurch entsteht der Eindruck, Rational Choice sei auch im Bereich der Politik das einzig systematische, auf einheitlichen Prinzipien beruhende, Theoriekonzept. Die Autoren widersprechen dem zwar ausdrücklich, führen jedoch kein Alternativkonzept an.

Aber ein solches Konzept existiert und ist in politischer Philosophie und Theorie nicht unbekannt. Es unterstellt als Grundannahme ein Interesse an allgemeinen Angelegenheiten und an politischem Handeln als solchem. In unserem Institut haben wir daran gearbeitet (M. Faber, R. Manstetten, Th. Petersen: Homo oeconomicus and Homo politicus, Kyklos, Bd. 50 (1997), S. 557–483).


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2000, Seite 107
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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