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Rendezvous im virtuellen Schulungsraum

Die Schulungsteilnehmer sind über den Globus verstreut, und dennoch kann der Trainer am Bildschirm ihren Lernfortschritt verfolgen. Tele-Learning nennt sich diese Variante der Aus- und Weiterbildung in Unternehmen. Erste Umsetzungsversuche sind bereits gelungen.


Dank der neuen Medien eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten der Arbeitsgestaltung und betrieblichen Fortbildung. "Lebenslanges Lernen" lautet die Maxime der modernen Industriegesellschaft, "Wissen und Know-how" sind zu wichtigen Erfolgsfaktoren für Unternehmen geworden. Die fortlaufende Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter ist wichtiger denn je. Durch neue Kommunikationstechnologien soll dies erleichtert werden. Die Eigeninitiative steht im Mittelpunkt: Der Lernende nimmt nicht nur auf, was der Referent am Podium mitteilt, sondern er wird selbst aktiv und entscheidet beispielsweise über Dauer und Inhalt seiner "Lerneinheit".

CD-ROM basierte Kurse oder Kurse, die von einem Server geladen werden, waren bislang die gängigste Variante der computergestützten Lernmedien (computer based training, CBT). Doch zunehmend wird auch das Intranet der Firmen zu Aus- und Weiterbildungszwecken genutzt. Die Lernenden können durch die Intranet-Lösung unternehmensweit direkt von ihrem Arbeitsplatz aus auf Kurse zurückzugreifen, der Browser ermöglicht die benutzerfreundliche Bedienung.

Bei Siemens beispielsweise wird Tele-Learning bereits im Intranet angeboten. Über das weltweite unternehmensinterne Netz können sich die Angestellten mit neuesten CBT-Produkten vertraut machen, Schnupperkurse belegen und Online-Seminare besuchen, zum Beispiel zur Optimierung des Zeitmanagements. Der Bereich Siemens Qualifizierung und Training bietet eine Trainingsserie zu Themen wie Projektmanagement oder Personalrekrutierung erstmals auch auf DVD (digital versatile disc) an. Deren Kapazität von maximal 17 Gigabyte reicht aus, um Multimedia-Anwendungen oder Videoaufzeichnungen in höchster Qualität wiederzugeben und mit dem interaktiven Lernprogramm zu koppeln.

Auch bei Electronic Data Systems (EDS) Deutschland wird das "Web-based-Learning" genutzt. So finden Technik-Schulungen via Intranet statt. "Unsere Mitarbeiter engagieren sich hier stark", versichert Thomas Steeg, Leiter des Bereichs Aus- und Weiterbildung. Dennoch sieht er einen Wandlungsbedarf in der Didaktik des Lernens: "Die Leute sind teilweise auf dieses selbständige Lernen nicht eingestellt." Bereits in der Schule und an der Uni müßten neue Wege gegangen werden. "Face-to-Face"-Seminare wird es aber weiterhin geben. "Wir haben versucht, sie ganz einzustellen, aber das bringt keinen Erfolg", sagt Bill Furman, Technical Manager Development bei EDS in den USA.

Wer in den nächsten Jahren als Privatpilot seine Runden am Himmel drehen will, kommt ebensowenig an der neuen Form der Ausbildung vorbei. Die Verkehrsfliegerschulen, die bis vor einiger Zeit von Fluggesellschaften unterhalten wurden, gehen neue Wege. In Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation und mehreren europäischen Universitäten wird ein CBT-Lernprogramm entwickelt, das den Erwerb der Privatpilotenlizenz ermöglicht. Dadurch sollen nicht zuletzt Kosten für Training und Ausbildung gesenkt werden, aber auch die Schüler haben etwas davon: Sie können von zu Hause aus die theoretischen Grundlagen erarbeiten.

Ab Sommer 1999 wird den Pilotenschülern eine CD-ROM zur Verfügung gestellt – Lerninhalte und Didaktik haben Fluglehrer erarbeitet. Auf der CD-ROM werden Web-Seiten mit interaktiven Kurselementen wie Simulation, Animation und Übungen ergänzt. Die Kursteilnehmer bearbeiten den Kurs offline über den HTML-Browser. Gleichzeitig steht eine Internet-Plattform bereit, die den Schülern die Teilnahme an europaweiten Diskussionsforen ermöglicht. Tele-Tutoren werden die Pilotenschüler online betreuen. Allerdings werden die Schüler ihren Tutor zunächst nicht sehen. "Die Kapazität der ISDN-Leitungen reicht nicht aus, und die nötige technische Ausstattung für Desktop-Videokonferenzen kann nicht bei allen Kursteilnehmern vorausgesetzt werden", erklärt Projektleiter Diplom-Ingenieur Joachim Brettschneider. Nach der Erprobungsphase wird Mitte nächsten Jahres ein kompletter Multimedia-Kurs zur Verfügung stehen. "So etwas gibt es meines Wissens bislang nirgendwo sonst", sagt Brettschneider. Bei entsprechendem Erfolg planen die Schulen die Ausweitung auf die Berufspilotenlizenz.

Die Deutsche Telekom befaßt sich seit über zehn Jahren mit dem Einsatz computergestützter und multimedialer Lernmedien. Helmut Thillmann, Geschäftsgruppenleiter Betriebliche Bildung, faßt zusammen, warum die Telekom auf CBT und Tele-Learning setzt: "Die Mitarbeiter erhalten mehr Freiräume, um ihr Lernen individuell zu gestalten. Dies führt nach unserer Erfahrung zu einer Steigerung des Lernerfolgs."

Bei der Telekom wird von der Diskette oder CD-ROM bis zum firmeneigenen Intranet die ganze Bandbreite der modernen Medien eingesetzt. Über hundert Bildungsmodule werden bereitgehalten. "Gerade in der Berufsausbildung ist der Einsatz von Multimedia sehr erfolgversprechend", sagt Thillmann. Deshalb wird ein Modellversuch in Bielefeld angeboten, in dem eine betriebliche Ausbildung zum Industriekaufmann und ein Fernstudium zum Diplom-Betriebswirt (FH Dieburg) kombiniert werden. Die 75 Auszubildenden können über einen Multimedia-PC inklusive Videokonferenzsystem verfügen. Ihr theoretisches Wissen erwerben sie nicht mehr wie bisher vor Ort in der Berufsschule, sondern multimedial im virtuellen Klassenzimmer. Pro Halbjahr nehmen die Azubis jeweils in Bielefeld und Dieburg an zweiwöchigen Workshops teil. Die restliche Zeit lernen und studieren sie an ihren jeweiligen Wohnorten. Den Kontakt zu den Lehrern und Tutoren halten sie über E-Mail oder über das Internet. "Klassentreffen" und Besprechungen wurden über das Video-Konferenzsystem abgewickelt.

Robert Wagner hat die Ausbildung bereits abgeschlossen. Er ist voll des Lobes für das Tele-Learning: "Diese Form der Ausbildung war sehr effektiv. Bei der kleinen Klassengröße von zehn Teilnehmern konnten uns auch die Ausbilder, Berufsschullehrer und Professoren intensiv betreuen. Wenn Fragen auftauchten, konnten wir diese per E-Mail stellen und erhielten meist ausführliche Antworten."

Die Deutsche Bank hatte bereits 1997 mehr als 400 Lernstationen im In- und Ausland plaziert, die den Zugang zu über 150 Stunden multimedialem Lernen ermöglichen. Zahlreiche Seminare wurden mittlerweile überprüft, um sie gegebenenfalls durch multimediales Lernen zu ergänzen. Die unterschiedlichen Lernwege sollen jetzt bei der Deutschen Bank über das Intranet zur Verfügung gestellt werden. "Columbus" lautet der Projektname für das entsprechende virtuelle Informations-, Kommunikations- und Lernsystem. Es handelt sich um eine Client-Server-Applikation, die den Zugriff auf alle Bildungsangebote und Services der Aus- und Weiterbildung ermöglicht. Ab Februar diesen Jahres wird "Columbus" in einem Pilotprojekt im Filialbezirk Wuppertal eingesetzt.

Daß durch "Columbus" die traditionellen Seminare irgendwann ganz wegfallen werden, ist nach Ansicht des Verantwortlichen für die Informationstechnologie, Bert Köhler, ausgeschlossen: "Wir haben allein 1997 mehr als 8200 konventionelle Seminare, Trainees und Workshops durchgeführt." Das mediengestützte Tele-Learning werde allerdings die Kosten reduzieren. "Gleichzeitig werden die Effizienz und die Qualität der Bildungsangebote verbessert und die Dynamik und die Komplexität des externen Marktes ohne Verzögerung auf die betrieblichen Qualifizierungsprozesse der Bank übertragen."

Literaturhinweis

MultiMedia und TeleLearning. Von Ralf Schwarzer (Hg.). Frankfurt – New York 1998.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1999, Seite 102
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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