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Reparatur UV-bedingter Genschäden mit Licht


Ultraviolettes Licht kann Zellen abtöten, indem es das Erbmolekül DNA chemisch verändert und so die genetische Botschaft unleserlich macht. Meist verknüpft es zwei benachbarte Thymin-Basen – elementare DNA-Bestandteile – und erzeugt dabei einen viergliedrigen Kohlenstoff-Ring (Cyclobutan-Ring). Dadurch wird der DNA-Strang für die Enzyme blockiert, die ihn normalerweise ablesen, um Ab- oder Umschriften anzufertigen.

Fast paradox mutet es vor diesem Hintergrund an, daß sich die Überlebenschance von Bakterien nach UV-Bestrahlung stark erhöht, wenn man sie anschließend auch noch mit blauem Licht bestrahlt. Dieses Phänomen wurde bereits in den dreißiger Jahren entdeckt und auf den Namen Photoreaktivierung getauft.

Wie sich erst 1987 endgültig klären ließ, ist dafür ein Enzym namens Photolyase verantwortlich, das sich an die beschädigte DNA bindet, blaues Licht absorbiert und dessen Energie dazu verwenden kann, durch Spaltung des Cyclobutan-Rings die beiden Thymin-Basen wieder voneinander zu trennen. Zu diesem Zweck leiht das an die Photolyase gebundene Koenzym Flavin-Nucleotid gleichsam ein Elektron an die DNA-Basen aus und erhält es nach erfolgreicher Spaltung direkt wieder zurück.

Photolyasen finden sich auch in höheren Organismen – von der Bierhefe bis zum Goldfisch; doch fehlt das Enzym in unvorhersagbarer Weise vielen Arten – unter anderem auch jener Spezies, die in fahrlässiger Weise die stratosphärische Ozonschicht ausgedünnt hat, die das Leben auf der Erde weitgehend gegen die Ultraviolett-Strahlung der Sonne abschirmt. Die DNA-Schäden werden bei diesen Arten zwar normalerweise auch behoben; die Reparatur ist aber wesentlich aufwendiger, weil gleich der gesamte fehlerhafte DNA-Abschnitt herausgeschnitten und ersetzt wird.

Vor einem Jahr gelang es schließlich, auch den genauen Aufbau der Photolyase zu ermitteln ("Science", Band 268, Seiten 1866 bis 1872, 30. Juni 1995). Damit schien dieses Kapitel der Biochemie abgeschlossen. Doch wie so oft, trog der Schein; jetzt lieferte das Forschungsergebnis einer Arbeitsgruppe an der Universität Kioto einen umfangreichen Annex. Anlaß war das Gen für ein anderes lichtabhängiges Reparaturenzym, von dem man bisher glaubte, es habe mit der bakteriellen Photolyase wenig zu tun ("Science", Band 272, Seiten 109 bis 112, 5. April 1996).

Dieses erst 1992 in der Taufliege Drosophila entdeckte Protein behebt eine etwas seltener auftretende Verschmelzung zweier Thymin-Basen, bei der das Kohlenstoffatom Nummer 4 der einen mit dem Atom Nummer 6 der anderen verknüpft wird. Bei den Untersuchungen der japanischen Forscher zeigte diese (6-4)-Photolyase überraschende Verwandtschaftsbeziehungen. So weist die Abfolge der Aminosäurebausteine, die sich aus der Basensequenz des Gens ermitteln läßt, bemerkenswerte Übereinstimmungen mit derjenigen bakterieller Photolyasen auf. Zudem besteht große Ähnlichkeit mit einem menschlichen Gen bislang unbekannter Funktion – ein Hinweis, daß darin gleichfalls eine (6-4)-Photolyase codiert sein könnte. Weitere Verwandte wurden schließlich in den Blaulicht-Photorezeptoren der Pflanzen gefunden, die mit Genreparatur gar nichts zu tun haben, sondern in Abhängigkeit vom Lichteinfall Entwicklung und Wachstum steuern helfen ("Nature", Band 366, Seite 162, 11. November 1993).

Somit hat die Entschlüsselung einer einzigen Gensequenz drei Proteinfamilien zusammengebracht, die zuvor als unabhängig galten. Alle Mitglieder absorbieren Licht des blauen oder nahen Ultraviolett-Bereichs mit Hilfe des Methenyltetrahydrofolat-Coenzyms, das die Energie an ein Flavin-Nucleotid weitergibt. Dieses stellt dann das Elektron bereit, das zur DNA-Reparatur oder zur Aussendung des Wachstumssignals benötigt wird. Der genaue Vergleich der einzelnen Enzyme verspricht nun aufschlußreiche Einblicke in die Evolution dieser Mechanismen.

Für die Spaltung eines Cyclobutan-Rings durch ein geliehenes Elektron interessieren sich übrigens auch organische Chemiker. Um den Vorgang genauer studieren zu können, synthetisierten Thomas Carell und seine Mitarbeiter an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich Modellverbindungen, die in einem relativ kleinen Molekül sowohl einen viergliedrigen Kohlenstoffring (statt Thymin wurde allerdings die analoge Base Uracil aus RNA verwendet) als auch ein elektronenspendendes Flavin enthält ("Angewandte Chemie", Band 108, Seiten 676 bis 679). Tatsächlich konnte der Ring durch Licht gespalten werden – und zwar nur dann, wenn das Flavin im elektronenreichen, reduzierten Zustand vorlag.

Die Nachahmung der Photolyase-Reaktion mit kleinen Molekülen im Reagensglas könnte dereinst auch pharmakologisch bedeutsam werden. Manchmal stirbt eine UV-geschädigte Zelle nämlich nicht ab, sondern entartet und löst dadurch möglicherweise Krebs aus. So sind Menschen mit Xeroderma pigmentosum äußerst anfällig für Hautkrebs, weil bei ihnen durch einen ererbten Gendefekt der Reparaturmechanismus für die Thymin-Verknüpfung versagt. Falls die Ozonschicht weiter abnimmt, dürften solche Gesundheitsschäden auch bei nicht erblich vorbelasteten Menschen gehäuft auftreten. Dann könnte der elegante und effiziente Mechanismus der Photoreaktivierung, durch einen Wirkstoff künstlich vermittelt, Leben retten helfen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1996, Seite 13
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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