Rettung der Hominiden-Spuren von Laetoli
Die versteinerten Fußspuren von aufrecht gehenden Vormenschen in Ostafrika gelten als eine der bedeutendsten Entdeckungen zum Ursprung des Menschen. Jetzt mußten die vor 20 Jahren gefundenen Trittsiegel neu konserviert werden.
Der Sommerabend des Jahres 1976 im Camp der legendären Archäologin und Anthropologin Mary D. Leakey (1913 bis 1996) begann recht übermütig. Nach einem langen Tag der Fossiliensuche im Gebiet von Laetoli in Nordtansania beschmissen drei der Wissenschaftler sich mit eingetrocknetem Elefantenkot. Um einem der Geschosse auszuweichen, ließ Andrew Hill sich zu Boden fallen.
Dort blieb er erstmal liegen. Sah er wirklich vor sich versteinerte Tierfährten? Der Paläontologe von der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) inspizierte den freiliegenden vulkanischen Tuff genauer. Er hatte sich nicht getäuscht.
Mary Leakey suchte damals in Ostafrika schon seit Jahrzehnten nach den Wurzeln des Menschen und hatte bereits viele wertvolle Fossilien gefunden (siehe "Frühe Hominiden" von Meave Leakey und Alan Walker, Spektrum der Wissenschaft, August 1997, Seite 50). Weil auch die Tierwelt Hinweise auf die Lebensbedingungen der frühen Hominiden liefert, widmeten die Forscher sich nun auch diesem überraschenden Fund. Bald hatten sie in dem Gebiet Tausende von fossilen Fährten aufgetan, von Elefanten, Giraffen, Nashörnern und auch verschiedenen ausgestorbenen Säugetieren.
Der denkwürdigste Fund aber, der in die Annalen der Anthropologie als einer der bedeutendsten überhaupt einging, wurde zwei Jahre später gemacht. Damals, 1978, entdeckte der Geochemiker Paul I. Abell von der Universität von Rhode Island in Kingston (South Carolina) an einer vom Ngarusi-Fluß ausgewaschenen Rinne einen Abdruck, der wie ein menschlicher Fußstapfen aussah.
Beim Freilegen der Schicht kamen weitere zum Vorschein, bis im Jahr darauf eine insgesamt 27 Meter lange – in der Mitte allerdings unterbrochene – Strecke mit zwei dicht nebeneinander von Süden nach Norden herlaufenden Fährten enthüllt war (Skizze). Der radiometrischen Altersbestimmung zufolge sind die diese Abdrücke tragenden vulkanischen Sedimente – der "Fußspur"- oder "Footprint-Tuff" – zwischen 3,4 und 3,8 Millionen Jahre alt.
Diese Spuren klärten eine alte Streitfrage: Sie beweisen, daß Hominiden den aufrechten Gang besaßen, lange bevor sie Steinwerkzeuge anfertigten und auch lange bevor das Gehirnvolumen steil anstieg. Mehr noch: Sie liefern Aufschluß über die weichen Gewebe im Fuß und über die Schrittweite, was beides sich von Knochenfossilien nur bedingt ableiten läßt. Entsprechende Beachtung erfuhr der Fund bei Laien wie in Fachkreisen. Mary Leakey hielt ihn noch im Alter für die Krönung ihrer 60jährigen wissenschaftlichen Laufbahn in Ostafrika.
Unstrittig ist aber auch der Wert dieser Spuren als kulturelles Symbol. Direkter kann uns ein Zeugnis aus der Frühzeit unserer Evolution wohl kaum ansprechen, zumal dieses einen entscheidenden Abschnitt daraus wiedergibt. Deswegen lief jetzt ein Projekt, dieses unersetzliche Erbe dauerhaft vor dem Verfall zu schützen. Die zuständigen tansanischen Stellen arbeiteten darin mit unserem Arbeitgeber, dem Getty Conservation Institute, zusammen, das seinen Sitz in Los Angeles hat und mit dem Erhalt von archäologischen Kulturdenkmälern Erfahrung hat.
An sich erhalten Knochenfossilien sich eher als die Abdrücke derselben Tiere in weichem Grund. Dennoch gibt es von einer Vielzahl von Arten konservierte Lauf- oder Kriechspuren, die teils bis weit zurück ins Erdaltertum reichen; einige sind eine halbe Milliarde Jahre alt, also nicht viel jünger als die ersten großen Tierstämme. Wegen der zahllosen Fährten, die ein Tier in seinem Leben zu machen pflegt, besteht eben doch eine Chance, daß etwas davon fossilisiert.
Ungewöhnlich ist die Häufung von Trittspuren in Laetoli trotzdem. Es gibt dort immerhin 16 solcher Fundstellen. Die größte weist auf rund 800 Quadratmetern schätzungsweise 18000 einzelne Fußabdrücke von Tieren aus 17 verschiedenen systematischen Familien auf. Wie ist das zu erklären?
Laetoli liegt im östlichen Zweig des Afrikanischen Grabensystems, einem tektonisch aktiven Gebiet (Bild links oben). Vor etwa 3,6 Millionen Jahren, während des Pliozäns, begann der 20 Kilometer östlich liegende Vulkan Sadiman Aschewolken auszustoßen, die sich dann auf der Savanne in der Umgebung in Schichten ablagerten. Einmal fanden mehrere Ausbrüche gerade gegen Ende einer Trockenzeit statt, und nach einem leichten Regen liefen viele der Savannenbewohner über die feuchte Asche – unter ihnen einige aufrecht gehende Primaten. Das Besondere an den Auswürfen dieses Vulkans war der hohe Gehalt an Carbonatit, das sich mit Wasser wie Zement bindet. Folglich härteten die Fährten aus und wurden kurz darauf von neuen Ascheschichten zugedeckt und versiegelt. Erst Jahrmillionen später hat die Erosion den mit Spuren übersäten Tuff wieder freigelegt.
Zu den beiden dicht parallel verlaufenden hominiden Fährten, die hier interessieren, wurden 54 Stapfen gefunden. Im Norden, wo die ersten Spuren aufgetaucht waren, war die Sedimentschicht darüber nur wenige Zentimeter dick gewesen, im Süden fast 30. Nördlich hören sie an einem breiten, tiefen Wasserriß vom Ngarusi-Fluß auf, südlich haben tektonische Verschiebungen und Erosion den weiteren Verlauf unkenntlich gemacht. Auch die Fährte selbst weist Verwerfungen auf: mehrere Brüche (Schichtensprünge) sowie im Mittelteil eine Absackung um 20 bis 40 Zentimeter. Eine größere Strecke ist zudem arg verwittert. Dort war der Tuff zu getrocknetem Schlamm geworden. Doch die anderen Abschnitte sind so gut erhalten, daß nicht nur die Hominiden-Herkunft eindeutig ist, sondern sich sogar die Beschaffenheit von Hacke, Spann und großem Zeh rekonstruieren läßt.
In anderen Punkten gab es unter den Wissenschaftlern über die Einordnung des Fundes wie so oft Meinungsverschiedenheiten. Beispielsweise war man uneins, von welcher der frühen Hominiden-Arten die Spuren stammten. Das Leakey-Team hatte in Laetoli schon früher Hominidenknochen etwa gleichen Alters wie die Fährten entdeckt. Die meisten Experten möchten diese Fossilien der Art Australopithecus afarensis zuordnen. Diese Spezies lebte in Ostafrika vor 3,0 bis 3,9 Millionen Jahren. Berühmt geworden ist vor allem das Skelett "Lucy", das 1974 in Äthiopien ausgegraben wurde (siehe auch "Die Evolution des aufrechten Ganges", Spektrum der Wissenschaft, Januar 1989, Seite 92). Ein anderes Fossil der Sammlung, dasjenige, anhand dessen diese Art beschrieben wurde, stammt sogar von Laetoli selbst: ein Unterkiefer mit neun Zähnen. Doch Mary Leakey war viel vorsichtiger und wollte sich bei den Fußspuren nicht auf A. afarensis festlegen; sie glaubte aber, die Erzeuger der Fußspuren gehörten in die Linie der direkten Vorfahren des Menschen.
Ein weiterer Streitpunkt war, wieviele Individuen damals die Spur hinterlassen hatten. Nur die kleinen Trittsiegel sind scharf und deutlich umrissen, die großen wirken recht ungenau. Einige Wissenschaftler deuteten dies so, daß zwei Personen – eine große und eine kleine – entweder dicht nebeneinander oder etwas versetzt hintereinander gegangen seien, mutmaßlich ein Mann und eine Frau. Auf dieser Vorstellung beruhen ältere Abbildungen der Szene (siehe Kästen auf den Seiten 68 und 70). Anderen Experten zufolge sollen drei Individuen zusammen über die Savanne gegangen sein; die großen Siegel würden dann von zwei Personen herrühren, wobei die hintere absichtlich in die Stapfen des Vordermannes trat (Titelbild und Kasten oben). Inzwischen teilen die meisten Forscher diese Ansicht.
Gern würde man wissen, was diese Individuen wohl vorhatten und weswegen sie schließlich einmal kurz stehenblieben und sich anscheinend umsahen. Waren sie eine Familie, und trugen sie vielleicht etwas? Wie mögen sie sich verständigt haben? Das alles werden wir leider nie erfahren.
Die Meinungsverschiedenheiten gehen nicht zuletzt darauf zurück, daß nur wenige Wissenschaftler die Spuren jemals vor Ort untersuchen konnten. Das Leakey-Team hat freigelegte Abschnitte am Ende einer Grabungskampagne zur Sicherheit sorgsam wieder zugeschüttet. Vorher hatte es von den besten Passagen Abdrücke gemacht und die gesamte Strecke genau dokumentiert. Dazu gehörten auch photogrammetrische – sozusagen räumliche – Darstellungen mit Höhenlinien von einigen der Siegel, wobei man die Konturen durch Photographieren aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln gewinnt. Später hat Mary Leakey zusammen mit mehreren Koautoren eine umfangreiche Monographie über die Fußspur verfaßt. Darin sind außer den Hominiden-Fährten auch die vielen Tierspuren abgehandelt sowie unter anderem fossile Pollen, Pflanzenabdrücke und die Geologie des Laetoli-Gebietes. Alles in allem ist dies eine einmalige Darstellung der Lebensbedingungen in der ostafrikanischen Savanne während des Pliozäns.
Zum Abdecken der Spuren verwendete das Team Mary Leakeys vor 20 Jahren Sand vom nahen Fluß. Darauf schichtete es als Schutz gegen Tiere und Erosion noch Lava-Geröllsteine. Besonders wollte man damit Elefanten und das Vieh der einheimischen Masai abwehren. Leider enthielt dieser Sand aber Baumsamen, unter anderem von der starkwüchsigen großen Acacia seyal. Die lockere, unter den Steinen feuchte Aufschüttung war für Keimung und Wuchs der Akazien ideal. Nach zehn Jahren standen die Bäume bereits mehr als zwei Meter hoch, so daß Wissenschaftler, die den Ort gelegentlich besuchten, sich Sorgen zu machen begannen.
In dieser Situation wendete sich das tansanische Amt für Altertumskunde an das Getty Institute. Wie eine erste Probegrabung ergab, waren manche der Abdrücke tatsächlich bereits durchwurzelt; an anderen Stellen waren die Trittsiegel aber noch vorzüglich erhalten – sie kurzerhand zuzuschütten, war unter den damaligen Umständen die richtige Entscheidung gewesen, auch wenn wir im Nachhinein wissen, daß man vielleicht noch etwas mehr Umsicht hätte walten lassen können. Auch wäre es billiger gewesen, den Platz regelmäßig zu kontrollieren, vor allem auf Baumschößlinge.
Grundsätzlich wurde man sich über eine Zusammenarbeit bald einig, doch die Entscheidung über die Vorgehensweise selbst fiel schwer. Knochenfossilien kann man im Museum aufbewahren und dort studieren; alles andere wäre in dem Fall unverantwortlich. Doch würde man den versteinerten Pfad heil irgendwohin bringen können? Zwar sprachen einige Forscher sich entschieden für diese Lösung aus, doch es gab keine Erfahrungen damit, ein so langes Objekt dieser Art unversehrt auszuschneiden, abzuheben und zu transportieren. Der Footprint Tuff ist nämlich alles andere als in sich homogen, sondern besteht aus vielen dünnen Lagen vulkanischer Asche, und jede ist verschieden stark verwittert, verschieden hart und verschieden zäh. Man hätte den Grund zuerst mit einem Harz binden müssen, und auch die langfristigen Auswirkungen davon kannte niemand.
Gegen diese Idee sprach aber auch, daß man die Hominiden-Spuren – und wenn auch nur einen Teil – aus ihrem aufschlußreichen Umfeld gerissen hätte. Gerade die vielen Tierfährten liefern ja den Eindruck von der einstigen Umwelt.
Ein Alternativvorschlag war, über der Fläche einen Schuppen zu bauen, der zugleich Museum war. Allerdings ist die Gegend sehr abgelegen; es gibt dorthin weder eine Straße noch Wasser- oder Stromzufuhr. Erfahrungsgemäß würde sich ein solcher Bau ohne angemessene Finanzierung, geschultes Personal und eine Infrastruktur eher verheerend auswirken. Sogar wohlhabende Länder haben mit dergleichen oft schlechte Erfahrungen gemacht, teilweise schon wegen des veränderten Kleinklimas darin. In Laetoli bestünde zudem immer die Gefahr, daß das Gestein in der Regenzeit von unten Wasser aufnähme. Wenn es an der freiliegenden Oberfläche verdunstete, würden Salze auskristallisieren und das poröse Gestein schließlich sprengen. In der Trockenzeit hingegen würde sich auf den Spuren eine Menge Staub absetzen. Man müßte die Eindrücke dann oft reinigen, was mit Sicherheit auf die Dauer Beschädigungen bewirkte.
So wurde 1993 auf Vorschlag des Getty Institute entschieden, die Fährten nur vorübergehend freizulegen, um sie von allen Wurzeln zu säubern, und dann wieder zuzuschütten, allerdings vorsorglicher als beim ersten Mal, und vor allem so, daß den Pflanzen keine Chance blieb. Diese Form der Konservierung ist bewährt. Wie seit Äonen wäre die Spur dann vor vielerlei Widrigkeiten geschützt, wie Erosion und anderen mechanischen Einwirkungen sowie zu raschen Schwankungen des Feuchtigkeitsgehalts. Außerdem kann man das Objekt gegebenenfalls leicht wieder freilegen, sofern sich einmal noch günstigere Schutzmöglichkeiten bieten sollten. Ein Ausschuß wurde mit der Planung beauftragt, dem neben Mary Leakey und weiteren bedeutenden Paläoanthropologen tansanische Regierungsbeamte und der örtliche Vertreter der UNESCO angehörten.
Im nächsten Jahr war es soweit. Zuerst wurden auf der damaligen Aufschüttung und im Umfeld alle Bäume geschlagen und die Sträucher abgeschnitten, 150 Pflanzen insgesamt, von denen allein 69 über den Spuren wuchsen. Dann wurde auf den Stümpfen das biologisch abbaubare Herbizid Roundup ausgebracht. Es sollte neuen Austrieb verhindern.
In der Saison 1995 konnten wir mit der eigentlichen Restaurierung anfangen. In dem Jahr nahmen wir uns zunächst den südlichen Teil vor (rechts auf der Lageskizze), wo die Spuren zwei Jahrzehnte vorher am besten erhalten gewesen waren, wo später aber leider auch eine besonders dichte Vegetation gewachsen war. Die alten Skizzen und Photographien halfen, die beiden Fährten und jeden einzelnen Tritt wiederzufinden. Zuletzt benutzte unser Team ein Replikat der einst nach Abdrücken angefertigten originalen Nachbildung der gesamten Strecke, das wir in handhabbare Stücke zerlegten. Ein Zeltdach diente dem Fußspur-Tuff und uns als Sonnenschutz.
Der Pflanzenschaden in diesem Abschnitt erwies sich als weit weniger schwer als befürchtet. Wo der Fels hart war, hatten die Bäume keine tiefen Pfahlwurzeln treiben können und stattdessen seitliche Wurzeln gebildet. Dort waren die meisten Spuren noch in gutem Zustand. An Stellen allerdings, wo der Tuff angewittert war, hatten Wurzeln eindringen können. Wir mußten sie dort mühsam mit kleinen Kreissägen und Fräsen regelrecht herausoperieren, nachdem wir das umliegende Gestein mit einer Acryldispersion auf Wasserbasis gehärtet hatten. Die Wurzellöcher verfüllten wir zur Vermeidung weiteren Bröckelns mit einer Acrylpaste und erhitztem Quarzglas.
Zu den wichtigsten und aufwendigsten Aufgaben einer Konservierung gehört es, zunächst den Erhaltungszustand des Objektes zu registrieren. Das führten wir auf dem gesamten freigelegten südlichen Abschnitt durch; die Daten sollen später einmal helfen, Veränderungen zu bewerten. Mit einer Polaroid-Sofortbildkamera wurden 20 mal 25 Zentimeter große Farbaufnahmen angefertigt; auf darübergelegte durchsichtige Folie zeichneten wir zusätzlich alles Auffällige ein, wie Frakturen, fehlende Stückchen vom Tuff, Wurzellöcher und dergleichen.
Sämtliche Spuren waren, als wir sie freilegten, zu unserem Schrecken samt ihrem Umfeld dunkel verfärbt. Die Leakey-Leute hatten damals zur Verfestigung auf das Gestein Bedacryl aufgebracht, bevor sie die Silikon-Abdrücke nahmen, die als Negativ-Formen für die Glasfaser-Nachbildungen dienten. Das Bindemittel hatte zwar nicht eigentlich geschadet, doch die unvorhergesehene Nachdunkelung verringerte die Leserlichkeit der Trittsiegel und damit ihren wissenschaftlichen Wert. Wir konnten es wieder lösen, indem wir den Stein vorsichtig mit Aceton und Saugpapier betupften, doch wegen der hohen Beschädigungsgefahr an bröckeligen Stellen säuberten wir nur zwei der Stapfen.
Während der Vermessung und Restaurierung lud das tansanische Amt für Altertumskunde einige Wissenschaftler hinzu, die berühmten Fährten vor Ort zu studieren, weil die meisten Abhandlungen darüber notgedrungen auf Nachbildungen und Photographien basieren. Ein Expertenkreis wählte Bruce Latimer vom Cleveland-Museum für Naturgeschichte (Ohio), Craig S. Feibel von der Rutgers-Universität in New Brunswick (New Jersey) und Peter Schmid von der Universität Zürich, die unter anderem die Fußabdrücke sowie Statur und Gang jener Hominiden nach allen Regeln der Kunst beschrieben und die Schichtungen des Fußspur-Tuffs untersuchten.
Unser Team hat schließlich auch noch neue Konturkarten erstellt, die mit einer Präzision von einem halben Millimeter viel genauer sind als die alten. Damit dürften die Hominiden-Fährten von Laetoli zu den bestdokumentierten paläontologischen Aufschlüssen gehören. Für die Fülle der alten und neuen Befunde wurde in Zusammenarbeit mit Geomatikern der Universität Kapstadt eigens eine Datenbank errichtet.
Am Ende wurden die Spuren, wie gesagt, sorgsam zugebettet. Den dazu verwendeten Sand und die Erde vom Umland und den nahen Flüssen Ngarusi und Kakesio siebten wir zuvor auf grobe Partikel, vor allem aber auf Akazien-Samen. Auf die Trittsiegel direkt kam eine fünf Zentimeter dicke Schicht feinen Sandes, darüber zum Wiederfinden eine wasserdurchlässige Folie aus Polypropylen. Darauf schütteten wir dick groben Sand, den wir diesmal mit einer speziell präparierten Folie abdeckten, die als Bio-Barriere gedacht ist. Sie setzt kontinuierlich geringe Mengen von Trifluralin frei, einem schwachen, biologisch abbaubaren Herbizid, das nicht wasserlöslich ist und sich daher nicht weiter verteilt. Diese Substanz hemmt nur das Wurzelwachstum an Ort und Stelle, tötet aber nicht die Pflanze. Die Haltbarkeit, die von der Bodentemperatur und der Tiefe abhängt, dürfte in unserem Fall laut Hersteller etwa zwanzig Jahren betragen. Darüber schichteten wir nochmals groben Sand und legten eine zweite Bio-Barriere aus. Den einen Meter hohen Wall bedeckten wir mit einer Plane aus Kunstfaser gegen Erosion. Obenauf häuften wir noch Erde und gegen Krafteinwirkungen Lavabrocken. Bei einer Hangneigung von 14 Grad kann Oberflächenwasser gut nach beiden Seiten abfließen. Gras darf, soll sogar darauf wachsen, weil es die Anlage stabilisiert, ohne aber bedenklich tief zu wurzeln. Doch Baumschößlinge werden die Mitarbeiter des Amtes für Altertümer bei den vorgesehenen regelmäßigen Kontrollen beseitigen.
Mit dem nördlichen Teil der Fährten, dem wir uns in der Saison 1996 widmeten, verfuhren wir im Prinzip genauso. Allerdings war er viel stärker lädiert, weil hier Oberflächenwasser in den Ngarusi abfließt. Einerseits verdanken wir dieser Erosion überhaupt die Entdeckung der Hominidenspuren. Andererseits sind dadurch im Laufe der Jahre das erste 1978 gefundene Trittsiegel und das daneben verloren gegangen. Zwei einfache Steindämme sollen das Wasser nun umlenken; und zwei Rinnen, die gefährlich nahe verlaufen, sind mit Erosionsschutz-Matten und großen Steinen befestigt.
Für Kontrollen haben wir nahebei eine zweieinhalb mal zweieinhalb Meter messende Fläche ausgehoben und genauso aufgeschichtet wie den Wall. Dort wird man in Abständen den Untergrund und die wurzelabstoßende Folie prüfen. Wir wollen beobachten, wie gut diese Maßnahme auf Dauer die Akazien fernhält, die wir dort absichtlich haben stehen lassen. Wir wissen im übrigen auch nicht, wie gut Polypropylen den in dieser Gegend massenhaft lebenden Termiten standhält.
Die Erfahrung zeigt, daß solche Plätze, zumal wenn sie abgelegen sind, sich nicht schützen lassen, wenn die lokale Bevölkerung daran kein Interesse nimmt oder sich sogar ausgeschlossen fühlt. In der Gegend von Laetoli leben hauptsächlich Masai, die stolz auf ihre Rinderherden sind. Würden sie ihr Vieh auf dem Wall, den Dämmen oder auch nur im Umfeld weiden lassen, wäre die Anlage mitsamt dem Drainagesystem bald so zerwühlt, daß die Erosion leichtes Spiel hätte. Oder die Hirten könnten in ihrer vielen müßigen Zeit versucht sein, sich das Innere des Walls einmal genauer anzusehen. Die Menschen dort haben unsere Arbeit verfolgt, und die Folien haben manche Leute sehr interessiert.
Laetoli liegt in dem riesigen Ngorongoro-Schutzgebiet, das die tansanische Regierung eingerichtet hat, zugleich zum Erhalt der Landschaft mit ihrer besonderen Tierwelt und um den Masai Raum für ihre traditionelle Lebensweise zu bewahren – ein in Afrika vielleicht einzigartiges Projekt, das bei kompetentem Management durchaus Zukunft hat. Mit dem zuständigen Gebietsleiter, der auch zum Laetoli-Komitee gehörte, haben wir uns oft beraten, ebenso mit den Häuptlingen der beiden nächsten Dörfer, Endulen und Esere. Diese Männer veranlaßten den örtlichen Loboini, den Medizinmann und zugleich das religiöse Oberhaupt, am Ende der Saison 1995 eine große Versammlung einzuberufen, bei der die Stätte geweiht wurde.
Etwa 100 Menschen, jung und alt, Männer und Frauen, nahmen an der Zeremonie teil, die einen ganzen Tag dauerte. Der Loboini hielt eine Ansprache, in der er die Bedeutung der Fußspuren und ihre Schutzwürdigkeit hervorhob. Dann wurde ein Schaf geopfert und eine religiöse Feier abgehalten. Im nächsten Jahr, als der südliche Abschnitt fertig war, gab es eine zweite Versammlung, zu der diesmal auch Mary Leakey kam, freudig begrüßt von manchen älteren Teilnehmern, die sich noch gut an sie erinnerten.
Dennoch wird es auf die tansanischen und internationalen Entscheidungsträger ankommen, ob die Stätte erhalten werden kann. Die Regierung hat zwei Männer der Masai zur Dauerbewachung eingestellt und läßt die Anlage regelmäßig aus bestimmten Richtungen photographieren und instand halten.
Für Touristen ist die Stätte gesperrt. Sie und einheimische Besucher werden auf eine Dauerausstellung im Olduvai-Museum verwiesen, das nahe der Piste vom Ngorongoro-Krater zur Serengeti-Ebene liegt. Von dort blickt man über die berühmte Olduvai-Schlucht, in der Mary Leakey und ihr Mann Louis so viele ihrer wichtigen Entdeckungen zur Evolution des Menschen gemacht haben.
Im Laetoli-Raum kann man eine Rekonstruktion des Südabschnitts der Hominiden-Fährte sehen. Es gibt auch eine Photoserie von den Konservierungsarbeiten mit Texten, die den Sinn des Unterfangens und die Vorgehensweise erläutern.
In der Vergangenheit traf man hier fast nur Safari-Teilnehmer an, die zur Serengeti unterwegs waren. Doch die neue Ausstellung ist zweisprachig, Englisch und Kisuaheli und soll auch Einheimische anlocken, besonders Schulklassen, damit die Menschen dort ein Bewußtsein für das Dokument entwickeln.
Fußspuren haben die Menschheit schon immer gefesselt. Die von Neil Armstrong auf dem Mond sind zum Symbol unserer Eroberung des Kosmos geworden, 3,6 Millionen Jahre nachdem aufrecht gehende Primaten, die keine Affen mehr waren, aber auch noch nicht eigentlich Menschen, die ihren in Laetoli hinterließen. Diese wirken vor den unzähligen Tierfährten geradezu verloren – offenbar hat die Art, von der sie stammen, zu ihrer Zeit keine allzu große Rolle gespielt. Wie konnten diese Wesen in der rauhen und harten Umwelt überleben und sich weiterentwickeln? Die Vorstellung der drei kleinen Gestalten, wie sie ihren Weg über die frisch gefallene Asche nahmen, berührt und macht demütig. Schon deswegen verdient dieses fragile Zeugnis unserer Anfänge alle Mühe, es zu bewahren.
Literaturhinweise
Disclosing the Past. Von Mary D. Leakey. Doubleday, 1984.
Hominid Footprints at Laetoli: Facts and Interpretations. Von T. D. White und G. Suwa in: American Journal of Physical Anthropology. Band 72, Heft 4, Seiten 485 bis 514, 1987.
Laetoli: A Pliocene Site in Northern Tanzania. Herausgegeben von M. D. Leakey und J. M. Harris. Clarendon Press, 1987.
Missing Links: The Hunt for Earliest Man. Von John Reader. Penguin Books, 1988.
Evolution des Menschen. Herausgeben von Bruno Streit. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1995.
Spuren der Menschwerdung. Die Evolution des Homo sapiens. Von Roger Lewin. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1992.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1999, Seite 62
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