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Rettung für den Hofstaat des Großmoguls

Vitrinen in Museen sollen die Ausstellungsstücke schützen. Doch das Beispiel der Juwelierplastiken im Grünen Gewölbe in Dresden zeigt, daß sie in wenigen Jahren zerstören können, was zuvor Jahrhunderte überdauert hat. Umweltdetektive haben sich dieses Falls angenommen.


Vele Museen haben in den letzten zwanzig Jahren eine unerwartete, unliebsame Erfahrung gemacht: Kunstgegenstände aus so haltbaren Materialien wie Glas oder Email, die bereits Jahrhunderte unbeschadet überstanden haben, bekommen Risse, und ihre Oberflächen trüben sich. Selbst edlere Metalle wie Silber verfallen verstärkt der Korrosion.

Dies kommt um so überraschender, als die Restauratoren gerade die wertvollsten Sammlungen besonders geschützt wähnten. Sie nutzten eine breite Palette an Festigungsmitteln – von Vinylacetat über Epoxid- und Urethanverbindungen bis zu Acrylat- und Methacrylatpolymeren –, um schadhafte Stellen an Exponaten auszubessern und zu konservieren. Kostbare Stücke wurden in staubdicht oder sogar gasdicht verschlossenen Vitrinen untergebracht. Deren Böden und Rückwände sowie Unterlagen und Einbauten bestehen seit den sechziger Jahren aus modernen Kunst- und Holzwerkstoffen, die mit farbstabilen Textilien bespannt sind. Die Glasscheiben sind in der Regel mit Silikon verklebt. Lange Zeit glaubten die Fachleute, alles Notwendige getan zu haben, wenn sie auf diese Weise Luftschadstoffe, Staub und die feuchte Atemluft der Besucher von den Kunstwerken fernhielten.

Ähnlich wie in Wohn- und Arbeitsräumen wird seit einigen Jahren auch in Museumsräumen, Vitrinen und Depotschränken die Konzentration flüchtiger organischer Verbindungen gemessen. Dabei stellt sich oft heraus, daß die Aufbewahrungsbedingungen nicht die besten sind. Die verwendeten Hölzer der Vitrinen oder Depots können je nach Art stündlich mehrere hundert bis tausend Mikrogramm Essigsäure pro Quadratmeter Oberfläche freisetzen, ferner vor allem Aldehyde und Terpene. Im Inneren von geschlossenen Holzschränken können noch Jahrzehnte nach ihrer Herstellung Essigsäurekonzentrationen von mehr als 1000 Mikrogramm pro Kubikmeter herrschen.

Die Glas- und Emailkunstgegenstände einiger historischer Epochen sind besonders empfindlich gegen saure und feuchte Umgebungsmedien. So leiden viele Hohlglaserzeugnisse der Barockzeit unter der sogenannten Glaskrankheit, dem Rissig- oder Blindwerden der Oberfläche.

Die Emails der barocken Pretiosen aus der Sammlung des Grünen Gewölbes in Dresden – der ehemaligen Schatzkammer der sächsischen Kurfürsten – sind ein Beispiel. August der Starke hatte Anfang des 18. Jahrhunderts bei seinen Hofjuwelieren zahlreiche Kleinkunstwerke in Auftrag gegeben. Diese Plastiken aus Gold, Silber, Email und Edelsteinen hatten viele Transporte zu Ausstellungen und während der Kriege auch Auslagerungen zu überstehen, so daß sie noch Anfang der achtziger Jahre trotz notwendiger Reparaturen für recht stabil gehalten wurden. Doch dann zeigten sich insbesondere bei den transluziden grünen und blauen Emailsorten Trübungen und Absplitterungen, die bald bedrohliche Ausmaße annahmen.

Heute sind bereits große Flächenbereiche des grünen Emails in Form kleinster Splitter abgesprungen, und der Rest ist zum Teil schuppenförmig gelockert, so daß weitere Verluste drohen und eine Festigung der schadhaften Partien dringend erforderlich ist. Vor allem aber mußten die genauen Ursachen der Schäden ermittelt und Maßnahmen eingeleitet werden, um die Aufbewahrungssituation zu verbessern.

In einem Projekt, das im Januar 1997 begann, konnten diese Aufgaben bearbeitet werden. Das Vorhaben wurde durch Eigenanteile der beteiligten Partner finanziert: der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung Berlin (BAM), des Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung Würzburg (ISC) und der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (Grünes Gewölbe) – und vor allem mit Fördermitteln der Deutschen Bundesstiftung Umwelt Osnabrück. Das Ergebnis ist ein modellhaftes Konzept für die Konservierung und Sicherung der Emailkunstwerke des Grünen Gewölbes, sowie für ihre Bewahrung und Präsentation im wiedererrichteten Dresdener Schloß. Das Konzept läßt sich aber auch für alle ähnlichen Schäden in anderen Museen nutzen. Es umfaßt sowohl die passive Konservierung durch Beeinflussen der Umgebungsbedingungen in Vitrinen und Depots als auch die aktive Konservierung durch Fixieren lockerer Emailpartien an den Kunstwerken.

Ursachen der Schäden


Anhand der winzigen abgefallenen Splitter analysierten die BAM-Mitarbeiter die chemische Zusammensetzung des Emails. Die Elementbestimmung mittels Elektronenstrahlmikrosonde zeigte, daß die am stärksten von den Schäden betroffenen grünen und blauen Emailschichten fast reine Alkalisilikatgläser mit sehr geringen Erdalkaligehalten sind. Zudem enthalten sie kein Blei, während mehrere der weitaus weniger geschädigten Emailsorten bis zu 20 Prozent aus Bleioxid bestehen.

Es ist bekannt, daß Alkalisilicatgläser durch Feuchtigkeit chemisch angegriffen werden. Diese "Hydrolyse" beginnt mit dem Austausch von Alkaliionen (Natrium Na+, Kalium K+) gegen Hydroniumionen (H3O+). Die entstehenden alkaliverarmten, wasserhaltigen Gelschichten lassen sich in elektronenmikroskopischen Aufnahmen erkennen. Der Ionenaustausch verursacht im "Verbundwerkstoff" Email–Metall Spannungen in den grenzflächennahen Schichten, die zunächst Risse entstehen lassen und schließlich ein Abplatzen zur Folge haben. Verstärkt werden die Spannungen durch das Auskristallisieren von Salzen, die sich aus den herausgelösten Kationen und den von außen einwirkenden Anionen der sauren Gase bilden.

In nicht klimatisierten Museen kann die Luftfeuchtigkeit – jahreszeitlich bedingt – stark ansteigen. Werte über 70 Prozent gefährden empfindliche Gläser selbst in neutraler Atmosphäre. Im Grünen Gewölbe in Dresden sind die Schäden entstanden, obwohl die relative Luftfeuchtigkeit konstant auf 55 Prozent gehalten wurde; entscheidend war hier die Konzentration von sauren Gasen in der Vitrinenluft, die für eine hohe Ionenaustauschrate verantwortlich zeichnete. Mit Hilfe von Einzelgasmessungen sowie Schadstoffdosimetern haben die Mitarbeiter der BAM und des ISC die mikroklimatischen Bedingungen in den Räumen, Vitrinen und Depotschränken erfaßt. Die Raumluft selbst wies eine relativ gute Qualität auf; die Gesamtkonzentration an flüchtigen organischen Verbindungen lag hier deutlich unter 100 Mikrogramm pro Kubikmeter. (In gewöhnlichen Wohnräumen sind in der Regel 50 bis 200 Mikrogramm pro Kubikmeter zu verzeichnen.) Doch die Messungen vor allem in den Würfelvitrinen, aber auch in einigen Wandvitrinen und in einem Depotschrank, ergaben sehr hohe Werte solcher Substanzen. Als Hauptverursacher der Schäden erwies sich in allen Fällen die Essigsäure, deren Konzentration in einem besonders kritischen Fall einen Wert von 3000 Mikrogramm pro Kubikmeter erreichte. In dieser Vitrine war der kostbare "Hofstaat zu Delhi am Geburtstag des Großmoguls Aureng-Zeb" ausgestellt (siehe Bild oben).

Auch der Gehalt an Formaldehyd war in vielen Vitrinen sehr hoch; als Maximalwert wurden 420 Mikrogramm pro Kubikmeter gefunden. Wie weitere Messungen ergaben, dauerte ein vollständiger Austausch des Luftvolumens in der betreffenden Vitrine 33 Stunden, in der Großmogul-Vitrine 14 Stunden. Infolge dieses sehr langsamen Luftwechsels reicherten sich die Schadgase auf die gemessenen Konzentrationen an.

Unmittelbar nach der Auswertung der Messungen trafen die Verantwortlichen erste Maßnahmen, um die Situation zu verbessern. Formaldehyd-abspaltende Textilien, Preßspanplatten und – soweit möglich – weitere Verdachtsmaterialien wurden ausgetauscht. Der Erfolg stellt sich rasch ein: Die Schadstoffkonzentrationen in einigen Vitrinen sanken deutlich. Doch leider war nicht in allen Fällen eine rasche Abhilfe möglich. Vor allem die kostbare Großmogul-Vitrine erwies sich als problematisch. Selbst nachdem eine große Preßspanplatte herausgenommen und die Textilbespannung ausgetauscht worden war, verbesserte sich kaum etwas. Mit einer speziellen Meßeinrichtung konnten wir schließlich als hauptsächliche Schadstoffquelle den historischen Tisch identifizieren, auf dem das Exponat stand. Dieser Tisch war bei der Neueinrichtung der Ausstellung im Grünen Gewölbe im Jahre 1974 unter Verwendung von Holzkaltleim restauriert worden und ließ sich nicht aus der Vitrine entfernen.

Folglich mußten für die Großmogul-Vitrine – wie auch für einige weitere Schaukästen – andere Lösungen gefunden werden. Prinzipiell boten sich zwei Möglichkeiten an: Die Schadgase konnten entweder durch Zufuhr frischer Luft herausgespült oder durch eingebrachte Absorbermaterialien eingefangen werden. Versuche unseres Teams zeigten, daß in den stark belasteten Vitrinen des Grünen Gewölbes allein mit Absorbermaterialien bei ruhender Luft kein Erfolg zu erzielen gewesen wäre. Für die betroffenen Exponate empfahlen wir deshalb eine Vitrinenbelüftung mit eingebautem Filter, mit der das Luftvolumen der Vitrine etwa einmal pro Stunde erneuert werden konnte.

Seit dem Einbau einer solchen Vorrichtung in der Großmogul-Vitrine liegen die Schadstoffkonzentrationen in einem tolerierbaren Bereich. Zusätzlich soll die relative Luftfeuchte von zuvor 55 auf jetzt 45 Prozent zurückgenommen werden. Dies wird in sehr kleinen Schritten und über einen längeren Zeitraum erfolgen müssen, da sich jede Veränderung der mikroklimatischen Bedingungen wegen des sehr labilen Zustands der geschädigten Emails verheerend auswirken könnte. Dabei werden vor allem auch die übrigen Materialarten wie Ebenholz, Elfenbein und andere Naturstoffe, die sehr empfindlich auf Feuchteverringerungen reagieren können, sorgfältig beobachtet.

Festigung schadhafter Emailbereiche


Die Emailschichten, die sich bereits teilweise schuppenförmig von den Goldoberflächen der Exponate abheben, aber auch rissige Bereiche, an denen bald mit einem Abplatzen des Materials zu rechnen ist, erfordern weitergehende Maßnahmen. Eine Festigung durch Techniken der Goldschmiedekunst scheidet wegen des labilen Zustands der Ausstellungsstücke aus. Die Emails vertragen infolge der an den Oberflächen und Rißkanten eingetretenen Materialumwandlungen keine Erwärmung mehr. Die dabei entstehenden Spannungen würden die Kunstwerke vollends zerstören. Es bleibt also nur die Fixierung mit Hilfe von sogenannten Adhäsiven auf der Basis organischer oder gemischt organisch-anorganischer Verbindungen, die keine Temperaturerhöhung erfordern. Die letztere Stoffklasse verspricht theoretisch eine bessere Haftwirkung, weil sie dem Oberflächenmaterial chemisch am ehesten ähnelt. Für Voruntersuchungen nutzte unser Team spezielle Silikonverbindungen, mit denen am ISC bereits Erfahrungen sowohl in industriellen Anwendungen als auch für die Konservierung von historischen Materialien wie Gläsern und Bronzen vorlagen. Neben diesen Hybridpolymeren wurden traditionelle Restaurierungshilfsmittel wie mikrokristalline Wachse, Epoxid- und Methacrylatharze auf ihre Eignung für die Festigungsbehandlung getestet. Dabei wurden das "Eindringvermögen" in feine Risse, die Haftfestigkeit und vor allem die Langzeitbeständigkeit der Festigung unter definierten, in Klimaschränken eingestellten Bedingungen ermittelt.

Diese Untersuchungen wurden aus naheliegenden Gründen nicht an den originalen Kunstwerken, sondern an verschiedenartig geformten Modellemailproben durchgeführt. Sowohl die verwendeten Edelmetalllegierungen als auch die aufgeschmolzenen Emails entsprachen den analytisch bestimmten Zusammensetzungen der Originale. Durch Thermoschock und mechanische Belastung erzeugten wir Rißstrukturen, die denen der Kunstwerke zumindest ähnlich waren. In umfangreichen Versuchsreihen fanden wir geeignete Materialkombinationen, die nicht nur sehr gute Hafteigenschaften zeigten, sondern auch ein Eindringen in kaum sichtbare Risse und bei mäßiger Schadstoffbelastung zugleich eine konservierende Wirkung gewährleisten. Erhöhten Feuchte- und Säurekonzentrationen halten sie allerdings nicht auf Dauer stand. Alle dünnen Kunststoffschichten sind nämlich durchlässig für Wasserdampf und Gase, so daß auch nach der Festigung auf günstige klimatische Bedingungen in den Vitrinen geachtet werden muß.

Die Restauratoren haben inzwischen erste Applikationsversuche an den geschädigten Originalkunstwerken des Grünen Gewölbes vorgenommen. Vor allem mußte dabei geprüft werden, ob sich die ausgewählten Materialvarianten handhaben lassen und ob das optische Erscheinungsbild befriedigt. Die verwendeten Silikonverbindungen haben gegenüber den mitunter in ähnlichen Fällen benutzten Wachsen den Vorteil, daß man ihre Brechungsindices anpassen kann.

Nach Abschluß der Versuchsreihen an Modellemailproben entschieden wir uns für drei Festigungsmittel. Sie basieren auf Mischungen von Silikonverbindungen mit einem Methacrylatharz, das speziell für Restaurierungszwecke entwickelt wurde und den Forderungen hinsichtlich UV-Beständigkeit und Reversibilität genügt. Da auch die ausgewählten Silikonverbindungen in einigen organischen Lösungsmitteln löslich bleiben, kann bei eventuellen späteren Restaurierungen die Festigung rückgängig gemacht und durch eine andere Maßnahme ersetzt werden. Dies dürfte jedoch in absehbarer Zeit nicht erforderlich sein, wenn die empfohlenen Bedingungen in den Vitrinen eingehalten werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2000, Seite 88
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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