Editorial: Revolution mit Hindernissen
Als ich Anfang der 1990er Jahre meine Diplomarbeit in einem Labor für Pflanzengenetik des Friedrich Miescher Instituts in Basel anfertigte, begannen bereits erste gentechnisch veränderte Nutzpflanzen für heiße Diskussionen zu sorgen. Der betreuende Professor an der ETH Zürich, Ingo Potrykus, startete zu der Zeit auch das Projekt, einen »goldenen« Reis mit stark erhöhtem Gehalt an Provitamin A (Betacarotin) herzustellen. Denn in zahlreichen Ländern mit Reis als überwiegendem Grundnahrungsmittel mangelt es an dem unter anderem fürs Sehen und Immunsystem wichtigen Molekül. Laut Schätzungen der WHO erblinden weltweit jedes Jahr bis zu eine halbe Million Kinder wegen eines Provitamin-A-Defizits, und etwa die Hälfte von ihnen stirbt innerhalb des nächsten Jahrs!
Inzwischen haben Forscher tatsächlich Reissorten geschaffen, die einen Großteil des Tagesbedarfs an dem Provitamin decken könnten – wenn sie nur zugelassen wären. Jedoch haben hohe regulatorische Hürden sowie starker Widerstand von Gentechnikgegnern, allen voran Greenpeace, das bislang verhindert. Erst in jüngster Zeit scheint sich ein Durchbruch abzuzeichnen. Nachdem 2016 mehr als 100 Nobelpreisträger die Blockadehaltung der Anti-Gentechnik-Aktivisten in einem offenen Brief kritisierten, wurde der goldene Reis 2017 in Australien und Neuseeland sowie 2018 in den USA und Kanada als gesundheitlich unbedenkliches Nahrungsmittel zugelassen, auch wenn die Genehmigung ihres Anbaus weiterhin aussteht. Im Dezember 2019 folgten die Philippinen als erstes Land, in dem Reis die zentrale Rolle für Landwirtschaft und Ernährung spielt.
Beim goldenen Reis handelt es sich noch um ein mit herkömmlichen gentechnischen Methoden hergestelltes Gewächs, das Erbgut aus fremden Arten enthält. Doch die Wissenschaft ist hier inzwischen einen wichtigen Schritt weiter, wie Frank Kempken von der Universität Kiel ab S. 12 beschreibt. Die heutigen Möglichkeiten zum zielgenauen Genome Editing erlauben es, gewünschte Eigenschaften in Pflanzen einzubringen, ohne dass man dem Erbgut hinterher den Eingriff ansieht. Das Ergebnis hätte also auch durch natürliche Mutation oder konventionelle Züchtung entstanden sein können und lässt sich daher nicht von normalen Sorten unterscheiden. Dennoch ist diese neue Form Grüner Gentechnik nicht unumstritten, wie unser Streitgespräch ab S. 21 aufzeigt. Im Juli 2018 beschloss der Europäische Gerichtshof sogar, solche Pflanzen unter das Gentechnikgesetz mit all seinen Barrieren zu stellen, was unter Forschern viel Kritik hervorrief. Hoffentlich setzt sich hier bald die Einsicht durch, übers Ziel hinausgeschossen zu sein.
Herzlich Ihr
Hartwig Hanser
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