Serie: Die Botschaft des Genoms (Teil V): Rhodopsin - Purpur im Auge
Anlässlich der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts stellen wir zwölf darin codierte Proteine in einer Serie beispielhaft vor.
Wenn Licht auf die Netzhaut des Auges fällt, löst es ein chemisches Signal aus, das über mehrere Zwischenschritte wiederum einen Nervenimpuls erzeugt; dieser wird ins Gehirn weitergeleitet, wo die Verarbeitung der visuellen Information und damit das eigentliche Sehen stattfindet. Die erste Station auf diesem komplizierten Signalweg befindet sich in der Außenmembran der Netzhautzellen (Stäbchen und Zapfen). Als Signalwandler in den lichtempfindlicheren (aber farbenblinden) Stäbchen dient das Rhodopsin, wegen seiner Farbe auch Sehpurpur genannt. Es besteht aus dem Protein Opsin und einem kleinen, aber wichtigen Anhängsel: dem von Vitamin A abgeleiteten Molekül Retinal.
Aus der charakteristischen Abfolge von wasserliebenden und wassermeidenden Aminosäurebausteinen ließ sich schon 1992 ableiten, dass sich die Eiweißkette des Opsins in sieben langgestreckten Helices zwischen der Innen- und der Außenseite der Membran hin- und herschlängelt. Allerdings gelang es erst vor einem halben Jahr, diese Prognose durch die Ermittlung der hochaufgelösten Kristallstruktur des dem menschlichen Protein nahe verwandten Rinderrhodopsins zu bestätigen und mit wichtigen Details zu ergänzen; denn Membranproteine sind notorisch schwierig zu kristallisieren.
Genau in der Mitte des fassartigen Raums, den die sieben Helices bilden, sitzt das Retinal. Dieses kleine Molekül ist die Antenne, die das Licht einfängt. Während es im inaktiven Dunkel-Zustand einen markanten Knick in seiner Molekülkette aufweist (cis-Form), geht es nach Aufnahme eines Lichtquants in die langgestreckte trans-Form über. Dieses Umklappen löst Verschiebungen in der Struktur des Opsins aus, die sich bis zu seiner dem Zell-Inneren zugewandten Seite fortpflanzen.
Dort kommt es innerhalb weniger Millisekunden zu einer kaskadenartigen Verstärkung des Signals über drei Stationen. Zunächst wird Transducin aktiviert. Es gehört zur großen Familie der G-Proteine, die darauf spezialisiert sind, eingehende Botschaften in das Zell-Innere weiterzuleiten. Transducin "entsichert" dann das Enzym Phosphodiesterase, und dieses spaltet schließlich den Botenstoff cyclisches Guanosin-monophosphat, der normalerweise so genannte Natriumkanäle in der Zellmembran offen hält. Die Kanäle schließen sich folglich, wodurch sich die Ladungsverteilung zwischen Innen- und Außenseite der Zelle ändert: Ein Membranpotenzial entsteht, und aus dem Lichtreiz ist ein elektrisches Signal geworden, das nun von Nervenzellen weitergeleitet werden kann.
Einige Sekunden nach dem Umklappen löst sich das trans-Retinal vom Opsin. Im Dunkeln geht es dann wieder in die geknickte cis-Form über und bindet sich schließlich erneut an ein Opsin-Molekül: Der Kreislauf kann von vorne beginnen.
Rhodopsin gehört zu einer großen Klasse von mehr als tausend Membranproteinen, die alle die empfangene Nachricht an ein G-Protein weiterreichen. Sie dienen nicht nur als Signalwandler für die meisten Sinneswahrnehmungen, sondern auch als Rezeptoren für Hormone und andere wichtige Botenstoffe. Insgesamt machen sie über ein Prozent der menschlichen Gene aus. Da die Kristallstruktur des Rhodopsins erste detaillierte Einblicke in den räumlichen Aufbau eines solchen zellulären "Nachrichtenempfängers" lieferte, geht ihre Bedeutung weit über das Verständnis des Sehvorgangs hinaus. Ihre genaue Analyse dürfte Erkenntnisse erbringen, die Analogieschlüsse und Vermutungen über viele andere, ebenso wichtige Signalwege erlauben.
Steckbrief
- Molekulargewicht: 38 892
- Aminosäuren: 348
- 7-Helix-Bündel
- Photorezeptor
- Chromosom Nr. 3
Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2001, Seite 23
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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