Riesenechsen im Kampf ums Überleben
Vielleicht fünftausend Komodo-Warane leben noch auf dem indonesischen Archipel. Restbestände dieser urtümlichen „Drachen“ haben nur eine Chance, wenn sie genügend größere Säugetiere, vor allem Hirsche, zum Fressen finden.
Seit Stunden lauert der Waran im hohen Gras neben dem von Tieren ausgetretenen Wechsel. Ein ausgewachsener Mähnenhirsch trottet direkt auf ihn zu. Dann passiert es: Im letzten Moment bricht das Reptil aus dem Hinterhalt und reißt das 90 Kilogramm schwere Huftier zu Boden.
Szenen wie diese werden auf Komodo und den angrenzenden indonesischen Inseln immer seltener. Die Einheimischen haben für die bedrohten, international unter strengem Schutz stehenden Raubtiere verschiedene Namen. Die Bewohner von Komodo nennen die an Drachen erinnernden Kriechtiere meist "ora", die Einwohner der Nachbarinseln Rinca und Flores sagen auch "buaja darat" – Landkrokodil –, doch die gigantischen Reptilien gehören nicht zu den Krokodilen. Wieder andere Bevölkerungsgruppen bezeichnen sie als "biawak raksaka", Riesenwaran – ein Name, der gut zu ihnen paßt.
Systematiker ordnen den Komodo-Waran, wissenschaftlich Varanus komodoensis genannt, bei den Schuppenkriechtieren ein, also bei der Gruppe von Echsen und Schlangen. Diese heute größte Waran-Art – und heute größte Echse der Erde überhaupt – lebt auf wenigen Inseln Indonesiens. Insgesamt bewohnt die Familie der Varanidae, die rund zwei Dutzend Arten umfaßt, tropische Regionen von Afrika bis Australien. Alle Arten haben den gleichen Gattungsnamen: Varanus. Rein an Körperlänge könnte allenfalls der Binden-Waran von Neuguinea, V. salvadorii, den Komodo-Waran übertrumpfen. Doch wirkt dieser schlank gebaute, mehr langschwänzige Verwandte neben seinem stämmigen Vetter von Komodo fast schmächtig.
Wenn ich vom Komodo-Waran berichte, fragen meine Zuhörer meist als erstes, wie groß diese Tiere werden. Das größte vermessene Exemplar eines Ora brachte es angeblich auf eine Länge von 3,13 Metern und wog 166 Kilogramm. Allerdings dürfte davon ein Gutteil unverdaute Nahrung gewesen sein. Für Tiere in freier Wildbahn ist ein Höchstgewicht um die 70 Kilogramm realistischer. In Gefangenschaft werden die Reptilien häufig überfüttert.
Trotz des massigen Körpers können Komodo-Warane über kurze Strecken bis zu 20 Stundenkilometer schnell sprinten. Statt allerdings ihre Beute zu erjagen, als da sind Hirsche, wilde Schweine, Ziegen und andere Säugetiere entsprechender Größe, überrumpeln die Kraftpakete solche Tiere aus dem Hinterhalt. Stundenlang harren sie an einer strategischen Stelle aus, um das Opfer dann in einem Blitzangriff zu überraschen. Ein Waran bemerkt einen Hirsch durchaus nicht erst in dem Moment, wenn der ihm direkt über den Weg läuft. Schon lange vorher hat er ihn gehört oder in offenem Gelände gesehen – vor allem aber gerochen.
Die Reptilien können größere Tiere noch in 300 Metern Entfernung sehen, besonders wenn diese sich bewegen. Allerdings leisten ihre Augen das nur bei hellem Tageslicht, nicht mehr in der Dämmerung. Warane haben nämlich in ihrer Netzhaut als Sinneszellen nur Zapfen, keine Stäbchen. Zapfen aber taugen zwar gut zum Farbensehen, doch ohne Stäbchen ist ein Tier praktisch nachtblind.
Im ersten wissenschaftlichen Artikel über Komodo-Warane vom Anfang dieses Jahrhunderts berichtete ein Forscher, die Echse sei taub. Der Mann irrte. Das Reptil könnte Wild durchaus in einiger Entfernung heranstapfen hören, falls dieses sich geräuschvoll genug nähert. Als Reptilien hören Warane im Vergleich mit Säugetieren aber eher schlecht: Sie nehmen vermutlich nur Frequenzen zwischen 400 und 2000 Hertz wahr, also leises Rascheln und Knistern wohl eher nicht. (Menschen hören, wenigstens in der Jugend, Töne zwischen knapp 20 und fast 20000 Hertz; viele Säugetiere nehmen noch wesentlich höherfrequente Laute wahr.) Um den Schall ins Innenohr zu übertragen, haben Reptilien nur ein einziges Gehörknöchelchen – den "Steig-bügel" –, nicht drei wie der Mensch. Zudem enthält ihre Innenohrschnecke weit weniger Sinneszellen als die von Säugetieren – obwohl Warane damit noch besser ausgestattet sind als andere Reptilien.
Vor allem aber sein vorzüglicher Geruchssinn hilft dem Koloß bei der Nahrungssuche. Bei günstigem Wind wittert er sein Opfer schon aus vier Kilometer Entfernung. Mit der vorn gespaltenen langen gelben Zunge entnimmt er der Luft Duftproben, die er am Gaumendach entlangstreicht; dort sitzt das Jacobsonsche Organ, ein besonderes Riechorgan vieler landlebender Wirbeltiere. Ist die Konzentration der Duftmoleküle auf einer Seite höher, weiß das Reptil, in welcher Richtung der Hirsch sich befindet. Hierbei hilft dem Raubtier auch sein schwankender Gang, bei dem es mit dem Kopf nach links und rechts pendelt.
Die gefährlichste Waffe ist sein Gebiß
Der Angriff eines Komodo-Warans höre sich aus unmittelbarer Nähe an wie eine "abgedämpfte Maschinengewehrsalve". Dies berichtete Walter Auffenberg von der University of Florida in Gainesville. Um 1970 führte der Reptilienspezialist mehrmals Feldstudien an der Echse durch und trug mehr als jeder andere zu unserem Wissen über sie bei. Sein Resümee: Nichts könne das Reptil aufhalten, wenn es erst einmal losgelegt habe – was nicht bedeutet, daß jede Attacke auch Erfolg hat. Generell scheitern sogar die meisten Beutefangversuche von Raubtieren jeglicher Art. Wie oft sie wirklich gelingen, vermögen selbst Kenner besonders bei dichter Vegetation nur schwer zu schätzen. Ein Komodo-Waran, dem Auffenberg 81 Tage lang folgte, überwältigte in diesem Zeitraum nur zweimal ein Opfer; der Forscher wußte aber nicht, ob und wie oft das Tier in dieser Phase noch andere Beutetiere vergeblich attackiert hatte.
Ein Angriff erfolgt so simpel wie brutal: Der Waran versucht, die Beute sofort auf den Boden zu werfen und zu zerfleischen. Einem Hirsch reißt er die Beine weg, einem kleineren Tier stürzt er auch mal direkt ans Genick. Er hat sehr muskulöse Beine und an den Füßen starke Krallen, doch seine gefährlichste Waffe ist das mächtige Gebiß. Die langen gebogenen Sägezähne zerteilen das Fleisch wie ein Pflug den Ackerboden.
An den Sägekanten der Zähne kleben gewöhnlich noch Reste der letzten Mahlzeit, das auch ein Aas gewesen sein kann – der ideale Nährboden für verschiedenste eiweißzersetzende Bakterien. Putra Sastrawan, ein ehemaliger Student Auffenbergs, untersucht diese Mikroben mit seinen Kollegen von der Udayana-Universität in Denpasar auf Bali, ebenso Don Gillespie vom Zoo in El Paso (Texas). Vorläufiges Ergebnis: Mindestens vier der rund fünfzig im Speichel von Komodo-Waranen gefundenen Bakterienstämme erzeugen bei einem Biß lebensgefährliche Blutvergiftungen.
Selbst wenn also ein verletztes Beutetier dem Räuber entwischt – was ziemlich oft vorkommt –, stehen seine Chancen schlecht. In der Regel stirbt es binnen einer Woche an den Folgen der Wundinfektion. Der Jäger selbst oder seine Artgenossen bekommen davon Wind, spüren den Kadaver auf und vertilgen ihn. Die Warane hingegen sind gegen diese gefährlichen Bakterien immun: Sie vergiften sich nicht am Biß eines Kampfgegners. Gillespie sucht momentan in ihrem Blut nach Antikörpern, die diesen Schutz gewährleisten.
Sofern das Beutetier sich nicht befreien kann, reißt der Waran ihm weitere tiefe Wunden, bis es sich kaum noch wehrt oder schwer verletzt in Schockstarre liegenbleibt. Das Raubtier legt nun gern eine kurze Kampfpause ein. Unvermittelt kommt es dann wieder zu Kräften – und schlitzt seinem Opfer den Bauch auf, das daraufhin schnell verblutet: Jetzt kann das Mahl beginnen.
Erstaunlich rasch reißt die große Echse dank ihrer mächtigen Schlund- und Kiefermuskulatur riesige Fleischbrocken ab und verschlingt diese. Auffenberg beobachtete einmal, wie ein 50 Kilogramm schweres Waran-Weibchen einen Eber von 31 Kilogramm innerhalb von 17 Minuten vertilgte. Dank mehrerer lockerer Gelenke, vor allem einer besonderen elastischen Stelle im Unterkiefer, kann das Reptil sein Maul extrem weit öffnen. Sein leicht dehnbarer Magen faßt außerdem bis zu 80 Prozent seines Körpergewichts. Manche übertrieben erscheinenden Gewichtsangaben zu Komodo-Waranen könnten sich hierdurch erklären.
Große Säugetiere wie Löwen lassen von einem Riß wenigstens ein Viertel übrig: Eingeweide, Haut, Knochen und Hufe. Komodo-Warane dagegen verwerten ein Beutetier fast zu 90 Prozent. Sie verschmähen nicht Haut noch Haar, weder Hufe noch Knochen. Selbst die Eingeweide verschlingen sie, schleudern allerdings vorher deren Inhalt heraus. Diese Aversion gegen Kot nutzen junge Komodo-Warane: Sie schützen sich vor kannibalischen größeren Artgenossen, indem sie sich in Fäkalien wälzen. Offenbar macht sie das unappetitlich.
Paarungskämpfe zur Brunftzeit
Das Geruchsbukett bei einem Fang lockt gewöhnlich weitere Warane an. Zwar werden die Männchen bei dieser Reptilienart allgemein etwas größer und gedrungener als die Weibchen, doch für uns lassen sich die Geschlechter äußerlich so gut wie nicht unterscheiden: Lediglich die Schuppen an der Schwanzbasis sind etwas anders ausgerichtet, und zwar vor der Kloake, in der bei beiden Geschlechtern die Genitalien verborgen sind. Doch höchstens wir Wissenschaftler haben Probleme damit, die Tiere zu "sexen", wie Zooleute salopp sagen; die Warane finden das offenbar nicht schwer. Sie nutzen die Gelegenheit, um miteinander anzubandeln.
Komodo-Warane paaren sich hauptsächlich zwischen Mai und August. Dann ringen dominante Männchen regelrecht um Weibchen. Die Kontrahenten stützen sich dabei mit dem Schwanz ab, stellen sich aufrecht auf die Hinterbeine und umklammern den Gegner mit den Vorderfüßen. Meist geht das blutig zu, und wer umfällt, der hat verloren. Schließlich flieht der Unterlegene oder bleibt reglos liegen.
Der Sieger versucht, das Weibchen in Stimmung zu bringen. Mit der Zunge fährt er ihm über die Schnauze und schließlich über den ganzen Körper, bevorzugt aber über die Schläfen und die Einschnürung am Ansatz der Hinterbeine. Außer durch die Berührung stimuliert er die Partnerin mit Hautdrüsen-Sekreten. Vor der Kopulation stülpt er ein Paar sogenannte Hemipenisse aus, klettert auf den Rücken des Weibchens und führt eines der Organe in dessen Kloake ein, je nachdem ob er von rechts oder links aufgestiegen ist.
Die Eier legt das Waran-Weibchen erst im September ab. Dieser lange Zeitverzug könnte den Zweck haben, das Gelege oder die frisch geschlüpften Jungen vor den brutalen Temperaturen in den heißesten Monaten der Trockenzeit zu verschonen. Außerdem sind vielleicht bei der ersten Begattung einige Eier nicht befruchtet worden; dies könnten die Warane bei weiteren Kopulationen nachholen. Das Weibchen legt die Eier entweder in Mulden, die es an Abhängen gegraben hat; eine Alternative bieten Brutnester von Großfußhühnern, die es geräubert hat und die aus verrottendem Pflanzenmaterial bestehen, so daß sie Wärme bilden (siehe "Der natürliche Brutschrank des Buschhuhns" von Roger S. Seymour, Spektrum der Wissenschaft, Februar 1992, S. 60).
Frisch geschlüpfte Warane sind nur ungefähr 40 Zentimeter lang und wiegen keine hundert Gramm. Die Eltern lassen sie völlig allein. In den ersten Jahren leben die Jungen daher in dauernder Gefahr: Nicht nur andere Fleischfresser, auch ihre eigenen Artgenossen machen Jagd auf sie. Die Kleinen fressen Insekten, Eidechsen, Schlangen und Vögel.
Mit fünf Jahren messen sie schon zwei Meter bei 25 Kilogramm. Längst erbeuten sie Nagetiere, Affen, Ziegen und Schweine und natürlich auch Hirsche, die Lieblingsspeise des Komodo-Warans. Sie können 50 Jahre alt werden und wachsen auch im hohen Alter noch. Diese Drei-Meter-Riesen, mit 70 Kilogramm Knochen, Muskeln, Sehnen und Zähnen, sind die Herrscher ihrer kleinen Inselreiche.
Warane gehören zwar wie die Dinosaurier zu den Reptilien, stammen aber nicht von diesen Giganten des Erdmittelalters ab. Allerdings haben die indonesischen Echsen mit diesen gemeinsame Reptilien-Vorfahren: Beide gehören zu den Diapsiden. Diese Gruppe der Kriechtiere trat im späten Karbon auf, vor rund 300 Millionen Jahren. Das namengebende Merkmal sind die beiden Schläfenfenster im Schädel, durch die Kaumuskeln durchtreten.
Zwei große Abstammungslinien gehen von den frühen Vertretern der Diapsiden aus: zum einen die Archosaurier, wozu Dinosaurier zählen und Krokodile; zum anderen die Schuppenkriechtiere (Lepidosaurier), eine heute artenreiche Gruppe mit Schlangen und Echsen. Von primitiven Schuppenkriechtieren, die vor 250 Millionen Jahren, am Ende des Paläozoikums, lebten, stammten die Vorfahren der Warane ab.
Während manche räuberischen Dinosaurier auf kräftigen Hinterbeinen aufrecht rannten, blieben die Vorfahren der Warane auf vier Füßen und entwickelten zum Laufen um so stärkere Vorderbeine. In der Kreidezeit, erstmals vor 100 Millionen Jahren, erschienen dann in Zentralasien Arten, die den heutigen Varaniden nahe standen. Einige von ihnen waren große Meeresechsen, die vor rund 65 Millionen Jahren zusammen mit den Dinosauriern ausstarben. Andere bewohnten das Land. Diese terrestrischen Arten wurden bis zu drei Meter lang. Sie fraßen kleinere Tiere und plünderten wohl auch Dinosaurier-Nester. Vor ungefähr 50 Millionen Jahren, während des Eozäns, eroberte diese Linie Europa, Südasien und sogar Nordamerika.
Wolfgang Böhme vom Zoologischen Forschungsinstitut und Museum Alexander Koenig in Bonn hat viel zu dem heutigen Verständnis der Evolution der Gattung Varanus beigetragen. An seine Untersuchungen, bei denen er Körpermerkmale berücksichtigt, knüpfen Dennis King vom Western Australian Museum in Perth und Peter Baverstock mit seinen Kollegen von der Southern Cross University in Lismore (ebenfalls Australien) an. Sie vergleichen Erbsequenzen sowie Chromosomenstrukturen von verschiedenen Waran-Arten und mit den Varaniden verwandten Familien.
Nach diesen Analysen entstand die Gattung Varanus vor 40 bis 25 Millionen Jahren in Asien. Vor etwa 15 Millionen Jahren erreichten Varaniden Australien, als die australische tektonische Platte mit der asiatischen kollidierte. Rasch evolvierten auf dem südlichen Kontinent etliche Zwergarten – Zwerg-Warane –, die sich auf verschiedenste ökologische Nischen spezialisierten. Neben dieser Linie entwickelte sich eine weitere und verbreitete sich in Australien und auf dem indonesischen Archipel. Die Entfernung zwischen den Inseln und dem australischen Festland war damals wegen des tieferen Meeresspiegels viel geringer als heute. Zu dieser Gruppe gehört der Komodo-Waran, dessen Ahnen vor etwa vier Millionen Jahren auftauchten.
Die besonderen Umweltbedingungen in diesem Inselreich gereichten den indo-australischen Varaniden zum Vorteil. Als Reptilien verbrauchten sie viel weniger Energie als gleichgroße fleischfressende Säuger und konnten sich deshalb leichter darauf einstellen, daß Ressourcen auf Inseln nun einmal knapper sind als am Festland. Im evolutionären Wettrennen mit anderen Raubtieren um die Spitzenstellung in der Nahrungskette waren sie deswegen begünstigt.
In dieser einzigartigen Umwelt konnten die Reptilien gewaltige Körpermaße gewinnen, was sie wiederum bei der Jagd bevorteilte. Megalania prisca, eine vor etwa 25000 Jahren ausgestorbene Varaniden-Art, wurde vermutlich sechs Meter lang und wog bis zu 600 Kilogramm. Menschen könnten diesem Monster durchaus noch begegnet sein. Der gigantische Komodo-Waran nimmt sich im Vergleich mit ihm geradezu schmächtig aus.
Die Gründe für das heutige geringe Verbreitungsgebiet des Komodo-Warans sind noch unklar. Kein anderes großes Raubtier lebt auf so wenig Raum. Die Forscher streiten noch darüber, auf welchen Routen die Ahnen des Reptils die von ihm heute bewohnten Inseln – Komodo, Flores, Rinca, Gili Motang und Gili Dasami – erreichten (siehe Bild rechts oben).
Die Insel Komodo hat anscheinend eine andere geographische Vorgeschichte als ihre Nachbarn. Der Meeresspiegel schwankte während der letzten 80000 Jahre um bis zu 130 Meter. Sofern sich dies aus den Tiefen der Wasserstraßen Indonesiens ablesen läßt, müßten die Inseln Flores und Rinca bis vor 10000 Jahren eine Einheit gebildet haben. Auch Gili Motang gehörte mehrmals zu diesem großen Eiland. Komodo aber blieb zunächst lange isoliert und bekam dann vermutlich vor etwa 20000 Jahren Anschluß an seine östlichen Nachbarn; die Landverbindung bestand möglicherweise 4000 Jahre lang.
Die heutigen Populationen des Komodo-Warans sind sicherlich nur noch Restbestände. Das Verbreitungsgebiet der Art, darauf deuten Fossilfunde, reichte einst viel weiter nach Osten bis nach Timor. In jener Zeit dürften außerdem die beiden Inseln mindestens so nah zusammen gelegen haben, daß große Tiere zwischen ihnen wechseln konnten. Dies vermuten Wissenschaftler schon deswegen, weil damals sowohl auf Timor als auch auf Flores die gleiche Form eines bestimmten Zwergelefanten lebte. Das heute ausgestorbene Tier mit dem Gattungsnamen Stegodon hatte eine Schulterhöhe von nur eineinhalb Metern.
Für Elefanten, die Pflanzen in rauhen Mengen verzehren, mag wegen der begrenzten Nahrungsressourcen ein Selektionsdruck in Richtung einer geringeren Körpergröße bestanden haben: Individuen mit weniger Energiebedarf kamen leichter zurecht. Der evolutive Zwang für die Ahnen des Komodo-Warans, die anscheinend zierlicher waren als die heutige Art, scheint in umgekehrter Richtung, auf Größenzunahme, gewirkt zu haben. Vielleicht evolvierten die Kolosse in der Komodo-Linie unter anderem gerade wegen der recht kleinen Elefanten. Denn wohl nur ein genügend großes Raubtier konnte diese Rüsseltiere bezwingen und sie sich als Nahrungsquelle erschließen. Auffenberg hält es für möglich, daß der Komodo-Waran einst vor allem von der Jagd auf Zwergelefanten lebte, auch wenn auf den indonesischen Inseln vor der Ankunft des modernen Menschen in den letzten 40000 Jahren noch andere größere Säugetiere existiert haben könnten.
Um dies alles genauer zu verstehen, benötigen wir allerdings noch mehr Fossilfunde und bessere Datierungen, vor allem auch von heute ausgestorbenen Populationen auf anderen Inseln. Zudem müssen wir die geologische Entwicklung Indonesiens noch besser erforschen. Die bereits erwähnten Genomanalysen werden ein übriges beitragen.
Vor dem Jahre 1910 ahnte die westliche Welt nichts vom Komodo-Waran. Damals berichteten Indonesier dem niederländischen Kolonialbeamten Leutnant van Steyn van Hensbroek erstmals von einem "Landkrokodil". Die Crew einer holländischen Perlenfischer-Flotte, die der Leutnant daraufhin befragte, fabulierte abenteuerlich von sechs, ja sieben Meter langen Ungeheuern. Es gelang van Hensbroek schließlich, eine doch immerhin 2,10 Meter messende Echse selbst aufzuspüren und zu erlegen. Haut und Photo seiner Trophäe sandte er nach Java an Peter A. Ouwens, den Direktor des Zoologischen Museums und der Botanischen Gärten in Bogor.
Ouwens beauftragte daraufhin einen professionellen Tierfänger, mehr dieser sagenhaften Kriechtiere zu beschaffen. Dieser erlegte tatsächlich zwei Riesenexemplare, das eine 3,10, das andere 2,35 Meter lang. Außerdem konnte er zwei knapp einen Meter lange Jungtiere lebend einfangen. Als Ouwens diese näher untersuchte, erkannte er, daß er eine noch unbekannte Waran-Art vor sich hatte. 1912 publizierte er seinen Fund. Van Hensbroek hätte, schrieb Ouwens, "davon Kenntnis erhalten, daß auf der Insel Komodo eine ungewöhnlich große Varanus-Art vorkommt". Ouwens schlug vor, das Reptil V. komodoensis zu taufen.
Indonesische Herrscher wie auch die Kolonialregierung erkannten bald die Einzigartigkeit und Seltenheit dieser Tiere und ergriffen schon 1915 Maßnahmen zu ihrem Schutz. Weltweit berühmt wurde der Komodo-Waran dann nach dem ersten Weltkrieg: und zwar durch eine Expedition des Berliner Zoologischen Museums. Im Jahr 1926 unternahm auch W. Douglas Burden vom Amerikanischen Museum für Naturgeschichte in New York eine große Forschungsreise nach Komodo, auf der seine Mitarbeiter 27 Warane einfingen. Burden lieferte auch eine genaue anatomische Beschreibung dieser Art, wobei er sich auf die Untersuchung von rund 70 Tieren stützen konnte.
In den nächsten Jahrzehnten galten der Riesenechse mehr als 15 weitere Expeditionen. Auffenberg führte dann während dreier Forschungsaufenthalte zwischen 1969 und 1972 die umfassendste Feldstudie über diese Art durch. Er erfaßte alles: ihr Verhalten und ihre Ernährung bis zur demographischen Zusammensetzung ihrer Populationen und die Pflanzenwelt ihres Lebensraumes.
Der amerikanische Zoologe wies auch nach, daß der Komodo-Waran tatsächlich vom Aussterben bedroht ist. Nach neuesten Schätzungen leben gegenwärtig in den Grenzen des Komodo-Nationalparks, der auch Rinca und mehr als dreißig kleinere Inseln umfaßt, keine 3500 dieser Tiere mehr; davon entfallen auf das 480 Quadratkilometer große Komodo selbst 1700, auf die Insel Rinca 1300 und auf Gili Motang 100. Von Padar sind sie seit Ende der siebziger Jahre verschwunden. Für Gili Dasami gibt es bisher keine Erhebung. Auf Flores könnten schätzungsweise weitere 2000 der Kolosse leben.
Laut Weltnaturschutzunion (IUCN) gilt der Komodo-Waran heute offiziell als gefährdet. Auch nach dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) ist er streng geschützt. Schon deswegen halten nur wenige Zoos das Tier. Zum Beispiel gibt es welche in Berlin und in Rotterdam. Eindrucksvolle Präparate können Besucher etwa im Bonner Museum Alexander Koenig, im Frankfurter Senckenberg-Museum oder im Wiener Naturhistorischen Museum bestaunen.
In den letzten 20 Jahren hat sich die Situation des Reptils im Komodo-Nationalpark genauso wie auf Flores deutlich verschlechtert. Sein Verschwinden von der Insel Padar hängt vermutlich damit zusammen, daß Einheimische dort gern Hirsche wildern, die Hauptnahrung der Echsen. Das zerklüftete, teilweise unzugängliche Gelände läßt sich kaum überwachen. Ich selbst mußte 1997 erleben, wie Wilderer, nur zwei Tage nachdem ich auf dieser Insel eine Zählung des Hirschbestandes abgeschlossen hatte, zehn Hirsche erlegten. Trotzdem scheint die Wilderei auf der Insel abzunehmen, für Padars Obrigkeit Anlaß genug zu überlegen, den Komodo-Waran wieder hier anzusiedeln.
Die nur etwa 20 Quadratkilometer große Insel ernährt allerdings nicht mehr als 600 Hirsche, was natürlich wiederum die Zahl der Warane sehr begrenzt. Um so dringlicher müssen die Naturschutzbehörden bei der geplanten Aktion für genetische Vielfalt der auszusetzenden Tiere sorgen, die beste Versicherung gegen Inzucht.
Seit 1994 analysiere ich deswegen das Erbgut der verbliebenen Populationen. Die Studie soll den Grad der genetischen Übereinstimmung innerhalb und zwischen den einzelnen Beständen klären. Ich untersuche die Blutproben von 117 Waranen, die ich 1994 und 1997 abgezapft habe (siehe Kasten links). Anhand der Ergebnisse können die zuständigen Behörden später bestimmen, woher sie am besten Tiere für Padar holen. Dabei werden sie auch das Geschlechterverhältnis und die Altersstruktur berücksichtigen.
Die Warane von der Insel Flores leiden aber nicht nur unter dem Schwund ihres Jagdwildes, sondern auch darunter, daß die menschliche Bevölkerung ihnen ihren Lebensraum nimmt. Bei dem in Indonesien üblichen Verfahren des Landgewinns – Kahlschlag und Brandrodung – müssen die Riesenreptilien oft als erste weichen. 1997 habe ich einigen erwachsenen Waranen Sender auf den Rücken geschnallt, mit deren Hilfe wir den Aufenthaltsort der Tiere jederzeit anpeilen können. Ich will herausfinden, wie groß ihre Streifgebiete sind, wie weit sie wandern und wie sie auf menschliche Besiedlung reagieren: ob sie zum Beispiel einfach fortziehen und ob dies ihren Tod bedeutet. Ihre Mobilität möchten wir über mehrere Jahre in und außerhalb des Komodo-Nationalparks verfolgen.
In einer Langzeitstudie will ich erfassen, wo auf Flores noch Komodo-Warane existieren und wie stark sie jeweils gefährdet sind. Dazu stellen wir in typischem Waran-Gelände sowie an Stellen, wo Einheimische die Tiere gesichtet haben, Fallen auf. Vorläufiges Resultat: In den letzten 20 Jahren ist der Komodo-Waran von einem 150 Kilometer langen Abschnitt an der Nordwest-Küste von Flores verschwunden, weil der Mensch ihm dort seine Lebensgrundlagen genommen hat. Auch die Bestände an der Nord- und an der Westküste sind heute gefährdet – zum einen direkt wegen Rodungen, zum anderen auch indirekt wegen des abnehmenden Wildvorkommens.
Wie bei den meisten vom Aussterben bedrohten Tieren oder Pflanzen hängt auch das Schicksal des Komodo-Warans eng mit dem zahlreicher anderer Arten aus Fauna und Flora zusammen. Maßnahmen zum Schutz der Riesenechse müssen deswegen ihre gesamte natürliche Umwelt, das komplette Ökosystem, zugleich miterfassen. Die inneren Bezirke von Flores sind der Echse wegen ihrer Unwirtlichkeit verwehrt.
Im Süden und Osten der Insel jedoch hausen vielleicht hier und da noch Komodo-Warane, von denen wir bisher nichts wissen. Wir könnten diese Rest-bestände sozusagen als Schutzschild benutzen, um gleichsam unter ihrem Schirm diese unberührten Habitate als solche zu erhalten. Schon jetzt lockt der charismatische Drachen jährlich 18000 Besucher in die Region. Mit diesen letzten ursprünglichen Waldgebieten ließe sich ein Ökotourismus einrichten, der dann seinerseits Schutzmaßnahmen finanziert.
Ich möchte versuchen, die letzten Populationen des Komodo-Warans auch dadurch zu bewahren, daß die indonesische Bevölkerung lernt, die natürlichen Ressourcen ihres Landes nachhaltig zu bewirtschaften und nicht länger Raubbau an ihrer Umwelt zu treiben. Die örtlichen Behörden haben Interesse an diesen Plänen angemeldet. Statt beispielsweise wie bisher den Wald radikal abzuschlagen und die Reste niederzubrennen, müßte man Pflanzenarten oder -sorten anbauen, die auch dann noch gute Erträge bringen, wenn sie zwischen Bäumen und im Schatten wachsen. Und wenn die Leute unterwiesen würden, Ziegel herzustellen, bräuchten sie zum Hausbau weniger Hartholz.
Die Zukunft der letzten paar Tausend Komodo-Warane, die ihr Dasein in jenem fernen Winkel fristen, liegt in unseren Händen. Politische Entscheidungen müssen, wie oft im Naturschutz, genauso ästhetischen wie wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Anforderungen genügen. Wir können auf eine eintönig-öde Welt hinwirken. Oder wir entscheiden uns, einen Rest des Geheimnisses zu erhalten, vor dem Kartographen im Mittelalter, wenn sie unerforschte Gebiete markierten, mit den Worten warnten: "Hic sunt dracones".
Literaturhinweise
Der Komodo-Waran. Ein letzter Saurier in unserer Zeit? Von Michael F. Blatter. VBSW-Verlag, Zürich, 2. Aufl. 1999.
Die Warane. Von Jirí Rotter. Westarp Wissenschaften 1963. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 3. unveränd. Aufl. 1996.
Die letzte Bestie. Von David Quammen in: Geo, Bd. 8, S. 56-66 (1993).
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1999, Seite 48
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