Riesenkraniche - Raubtiere Südamerikas im Tertiär
Viele Millionen Jahre lang waren diese Vögel die ökologisch überlegenen Fleischfresser des isolierten Kontinents. Sie unterlagen aber der Konkurrenz moderner Säugetiere, welche über die sich schließlich bildende Landbrücke aus Nordamerika eindrangen.
Ein gefiedertes zweibeiniges Ungetüm duckt sich ins hohe Gras. Die kleinen, Miniaturpferden ähnelnden Huftiere, die 50 Meter weiter grasen, haben die Gefahr noch nicht bemerkt. Jetzt reckt die gigantische Kreatur den Kopf hoch, der selbst für den kräftigen Körper ungewöhnlich groß und schwer ist und auf einem muskulösen, langen Hals sitzt. Die Augen stehen seitlich, weshalb der Vogel sein Ziel fixiert, indem er den Kopf in kurzen Rucken hin und her bewegt.
Gleich verschwindet er wieder zwischen den Halmen, schiebt sich ein paar Schritte näher, verharrt erneut, beäugt die Szene vor sich und wetzt dann an einem großen Stein den mächtigen Schnabel, dessen Kanten ohnehin scharf wie Klingen sind.
Plötzlich – das Gefieder gesträubt, die Stummelflügel wie zur Balance aufgestellt – rast der Vogel los. Mit seinen langen, kräftigen Beinen beschleunigt er in Sekunden auf 70 Stundenkilometer.
Die verschreckte Herde stiebt auseinander. Der Angreifer verfolgt das langsamste Tier, ein altes Männchen. Obwohl es aus Leibeskräften rennt, hat er es rasch eingeholt. Ein kräftiger Schlag mit dem Fuß in die Flanke macht es straucheln, dann packt der riesige Schnabel zu. Der Vogel wirft den Kopf heftig hin und her und schlägt dabei sein Opfer immer wieder auf den Boden, bis es sich nicht mehr regt. Die relativ kleine Beute verschlingt er nun mühelos in einem Stück – immerhin mißt sein Kopf einen Meter und allein die Schnabelweite einen halben. Schließlich begibt er sich wieder zu seinem runden Nest, das er im Gras aus Zweigen gebaut hat, und setzt sich auf die beiden Eier, die fast so groß wie Fußbälle sind.
So oder ähnlich mag es vor fünf Millionen Jahren in der Pampa des heutigen Argentinien zugegangen sein (Bilder 1 und 2). Der flugunfähige Räuber, der hasen- und rehgroße Säugetiere schlug, gehörte zu den Riesenkranichen, den gewaltigsten fleischfressenden Laufvögeln, die es je gab. Die Geschichte dieser Gruppe, deren Mitglieder auf ihrem Kontinent als allgegenwärtige Räuber eine ähnliche Rolle spielten wie im Meer die Haie, begann vor 62 Millionen Jahren im frühen Tertiär und endete vor zweieinhalb Millionen – mit dieser Periode – recht abrupt, als eine Landbrücke zwischen Süd- und Nordamerika entstanden war.
Die weitere Verwandtschaft
Den ersten der Riesenkraniche (der Phorusrhacoiden oder auch Phororhaciden) beschrieb 1887 der argentinische Paläontologe Florentino Ameghino anhand von Relikten aus der rund 17 Millionen Jahre alten Santa-Cruz-Formation Patagoniens; er nannte das Tier Phorusrhacos longissimus. Je mehr Fossilien der Gruppe sich fanden, desto klarer wurde, daß dies große Raubvögel gewesen waren. Man stellte sie darum vorläufig zu den Greifen.
Diese Zuordnung schien in vielem unstimmig. Dennoch konnte erst 1899 Charles W. Andrews vom Britischen Museum in London nachweisen, daß die Phorusrhacoiden in die Nähe der Seriemas gehören: Im Vergleich zu sämtlichen anderen heutigen und früheren Vogelgruppen ähneln sie diesen noch in Südamerika lebenden Jägern am meisten (Bild 3). Die Seriemas, die mit Kranichen und Rallen verwandt sind, bewohnen die Savannen Nordargentiniens, Ostboliviens, Paraguays sowie Zentral- und Ostbrasiliens. Wahrscheinlich sahen die Vorfahren der Riesenkraniche ähnlich aus wie sie und verhielten sich auch entsprechend.
Von den Seriemas existieren noch zwei Arten: die größere Seriema (Cariama cristata) und die kleinere Tschunja (Chunga burmeisteri). Sie erreichen deutlich weniger als einen Meter Körperhöhe, sind relativ leicht gebaut mit langen, dünnen Beinen und einem langen Hals und haben recht kleine Flügel. Nur in der Not fliegen sie kurze Strecken. Dafür können sie hervorragend rennen, wobei sie Geschwindigkeiten von mehr als 60 Stundenkilometern erreichen.
Wie die meisten Raubvögel haben sie Reviere. Ihre Nester bauen sie aus Zweigen in niedrigen Bäumen in vier bis sechs Metern Höhe. Die Jungen, meistens zwei auf einmal, verlassen im Alter von zwei Wochen das Nest und jagen auf dem Boden im hohen Gras.
Seriemas fressen hauptsächlich Insekten sowie kleine Reptilien, Säuger und Vögel, können allerdings gelegentlich auch einmal ein etwas größeres Tier überwältigen. Eine nicht gleich zu schluckende Beute wird mit dem Schnabel gepackt und so lange kräftig auf den Boden geschlagen, bis sie sich nicht mehr rührt und sich gut verschlingen läßt. Auf gleiche Weise verfahren auch der Erdkuckuck (Geococcyx californianus) der südwestlichen Vereinigten Staaten und der afrikanische Sekretär (Sagittarius serpentarius).
Die Familie der Cariamiden, zu der die Seriemas gehören, ist heute nur noch auf Südamerika beschränkt. Man kennt von dort etwa zehn ausgestorbene Arten; die mit ungefähr 62 Millionen Jahren älteste lebte im mittleren Paläozän in Brasilien. Von zwei verwandten Familien sind ebenfalls Fossilien gefunden worden: von den Bathornithiden in nordamerikanischen, zwischen 40 und 20 Millionen Jahre alten Sedimenten und von den Idiornithiden aus 40 bis 30 Millionen Jahre alten europäischen Ablagerungen. Diese Tiere waren den Seriemas so ähnlich, daß manche Wissenschaftler sie alle als Mitglieder derselben Vogelfamilie ansehen.
Schwierige Familienverhältnisse
Die meisten Riesenkraniche waren wesentlich größer als ihre heutigen Verwandten. Schon die kleinsten erreichten gut einen Meter, die riesigsten drei. Selbst die frühesten fossil belegten Arten waren praktisch schon genauso spezialisiert wie die spätesten; die Gruppe muß darum insgesamt noch älter sein.
Bislang sind rund ein Dutzend Gattungen mit insgesamt etwa 25 Arten bekannt, deren Verwandtschaft zueinander noch nicht abschließend geklärt ist. Bryan Patterson vom Museum für Vergleichende Zoologie der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) und Jorge L. Kraglievich vom Städtischen naturkundlichen und naturwissenschaftlichen Museum in Mar del Plata (Argentinien) haben sie in drei Familien – je eine mit mittelgroßen, großen und gigantischen Arten – eingeteilt. Andere Forscher, die vor allem die Phase der größten Artenzahl vor etwa fünf bis vor drei Millionen Jahren in Betracht ziehen, erkennen nur zwei Familien – eine der riesengroßen und eine der mittelgroßen Arten – und dazu noch zwei Unterfamilien. Wieder andere Wissenschaftler meinen, sämtliche Arten seien einander so ähnlich, daß sie in eine Familie gehörten.
Ihre Gigantenfamilie nennen Patterson und Kraglievich Brontornithiden: Offenbar hat sie, dem Alter der Fundschichten nach, vor 27 bis vor 17 Millionen Jahren existiert. Es waren ausgesprochen schwere, massige Vögel mit recht kurzen Beinen und einem sehr kräftigen Schnabel. Sicherlich konnten sie nicht so rasch rennen wie die etwas kleineren Arten.
Die Vertreter der mittleren Familie, der Phorusrhaciden, maßen immerhin noch zwei bis drei Meter. Sie dürften den Funden nach vor 27 bis vor 3 Millionen Jahren gelebt haben.
Hingegen erreichten die meisten Arten der dritten Familie, der Psilopteriden, allenfalls die Größe von einem Meter. Soweit die Fossilien dies belegen, lebte diese Familie am längsten: bereits vor 62 und noch vor 2 Millionen Jahren. Deren ältester Vertreter, der Palaeopsilopterus aus Brasilien, ist zugleich der früheste bekannte Urahn der Riesenkraniche überhaupt.
Unter den Arten der beiden kleineren Gruppen waren leicht gebaute, schnelle Läufer. Daraus wurden die dominierenden Räuber, die ihre Beute rennend attackierten und während Jahrmillionen darin allen anderen Fleischfressern ihres Lebensraumes überlegen blieben.
Wegen der Größendifferenz der Arten dürfte die Gruppe insgesamt auf recht unterschiedliche Beutetiere Jagd gemacht haben, von mausgroßen Nagern bis zu großen Pflanzenfressern oder zumindest deren Jungen; die Küken haschten sich vielleicht ähnliches Kleingetier wie heute die Seriemas.
Dinosaurier-Nachfolger
Einen Großteil der Zeit, seit die Säugetiere vor rund 65 Millionen Jahren – zu Beginn des Tertiärs – gewissermaßen die Herrschaft auf der Erde antraten, war Südamerika von dieser Entwicklung praktisch abgeschnitten. Dort nahmen die Riesenkraniche die Rolle bodenjagender Raubtiere wahr: in schnellem Sprint das Opfer zu überraschen. Dies konnten sie nur auf Kosten der eigentlich wichtigsten Errungenschaft der Vögel – der Flugfähigkeit.
Ihre Chance kam, als am Ende des Erdmittelalters die Dinosaurier ausstarben und mit ihnen die Coelurosaurier oder Hohlknochendinosaurier, verhältnismäßig kleine Echsen, die auf zwei Beinen rannten und bis dahin die gleiche Stellung in der Nahrungskette innegehabt hatten. Nun konnten die Phorusrhacoiden deren ökologische Nische für sich nutzen, was sich mit teilweise erstaunlichen Parallelen in der Anpas- sung auswirkte. Beide Gruppen hatten einen gewandten, gestreckten, kräftigen Rumpf, lange muskulöse Hinterbeine, einen langen Hals und einen großen Kopf. Die kümmerlichen Vorderbeine vieler Coelurosaurier sind wohl ein Zeichen, daß diese Arten zum Fangen, Töten und Zerreißen der Beute vor allem Hinterbeine und Zähne benutzten – ähnlich wie später die Riesenkraniche Krallen und Schnabel. Wahrscheinlich half den Echsen der lange Schwanz, beim Rennen das Gleichgewicht zu halten; ihre Nachfolger dürften zu gleichem Zweck die Stummelflügel eingesetzt haben.
Riesenkraniche beziehungsweise verwandte oder ähnliche Gruppen lebten auch außerhalb des südamerikanischen Kontinents. Soweit Fundorte und Alter der Fossilien für die räumliche und zeitliche Verbreitung dieser Vögel repräsentativ sind, ergeben sich daraus Anhaltspunkte zu ihrer biogeographischen Geschichte – und auch dazu, weshalb die Herrschaft der Phorusrhacoiden in der Raubtierwelt Südamerikas schließlich doch endete.
Zum Beispiel sind in Nordamerika, Europa und Asien große fleischfressende Vögel in der Zeit zwischen 55 und 45 Millionen Jahren vor der Gegenwart durch die Familie der Diatrymatiden vertreten. Nach Einschätzung meines brasilianischen Kollegen Herculano M.F. Alvarenga ähnelten sie in verschiedenen Merkmalen den Riesenkranichen: Manche wurden um die zwei Meter hoch. Sie hatten gleichfalls starke Schädel und große Krallen, dabei aber verhältnismäßig kürzere und kräftigere Beine, liefen also wohl schwerfälliger und behäbiger und könnten darin eher den gigantischen Brontornithiden geglichen haben.
Ein Phorusrhacoide, Ameghinornis, ist aus dem 38 bis 35 Millionen Jahre alten Quercy-Phosphorit des Aquitanischen Beckens in Frankreich vermeldet. Der Vogel hatte die Größe heutiger Seriemas und war offenbar imstande, kurze Strecken zu fliegen.
Einige Indizien sind auch von der Antarktis bekannt. In 55 Millionen Jahre alten Ablagerungen auf der Halbinsel Fildes von King George Island westlich der Antarktischen Halbinsel entdeckte man zwei einzelne, je 18 Zentimeter lange Fußspuren. Sie stammen von einem dreizehigen großen Vogel mit massigem, langgestrecktem Rumpf, der entweder in die Verwandtschaft der Emus, Nandus und Strauße gehört oder eben zu den Phorusrhacoiden.
In 40 Millionen Jahre alten Schichten der La-Meseta-Formation auf Seymour Island im Süden der Antarktischen Halbinsel fand sich zudem der vordere Teil eines Phorusrhacoiden-Schnabels (Bild 4 unten). Den Proportionen nach muß der Vogel mehr als zwei Meter groß gewesen sein.
Nur 2,5 bis 1,5 Millionen Jahre alt sind schließlich die Fossilreste eines Phorusrhacoiden aus Nordflorida. Dieser Titanis walleri muß mehr als drei Meter gemessen haben. Er ist der jüngste bekannte Riesenkranich.
Wanderrouten
Wie lassen sich diese spärlichen Befunde zusammenfügen? Die Phorusrhacoiden konnten schlecht, wenn überhaupt, fliegen. Wenn sie sich demnach nur über Land auszubreiten vermochten, muß man die Bewegungen der Kontinente sowie das Auftauchen und Verschwinden von Verbindungen zwischen ihnen berücksichtigen.
Zwischen Süd- und Nordamerika bestand vor 62 Millionen Jahren vorübergehend eine Landbrücke, die bei den Großen und Kleinen Antillen verlief und von vielen verschiedenen Landwirbeltieren passiert wurde. Unter denen, die damals nach Norden vordrangen, waren – so nehmen wir an – auch ein Vertreter der Seriemas und ein Phorusrhacoide, wahrscheinlich ein Psilopteride.
Vor 55 bis 45 Millionen Jahren wiederum gab es einen Korridor zwischen Nordamerika und Europa, der über die heutige Insel Ellesmere nordöstlich von Grönland verlief. Diese Route könnten die Vorfahren des Ameghinornis von Frankreich genommen haben. Dann allerdings müßten damals auch in Nordamerika Phorusrhacoiden gelebt haben, aber bislang gibt es keinen Beweis dafür.
Die Südspitze Südamerikas hatte spätestens vor 45, vielleicht schon vor 70 Millionen Jahren eine Landverbindung zur westlichen Antarktis. Dies belegen unter anderem Fossilien von südamerikanischen Beuteltieren, einem Gürteltier und auch von der in Südamerika wachsenden Südbuche aus denselben Ablagerungen der Insel Seymour, in denen der Schnabelrest des Phorusrhacoiden gefunden wurde. Vor 40 Millionen Jahren war das Klima dort kühl-gemäßigt und damit Riesenkranichen zuträglich.
Später blieb Südamerika lange Zeit ein Inselkontinent, und seine Fauna machte währenddessen eine eigene Entwicklung durch. Die Isolation dieser Tierwelt endete erst, als sich vor 2,5 Millionen Jahren die Landbrücke von Panama bildete. Damals hoben sich die nördlichen Anden, und außerdem sank vermutlich der Meeresspiegel um 50 Meter, als sich an den Polen der Erde die Eiskappen aufbauten. Als letztes Verbindungsstück fiel das Gebiet von Südpanama und Nordkolumbien trocken (Bild 4 oben).
Zu jener Zeit wurde es generell auf der Erde kälter. Die tropischen Habitate schrumpften, und Savannen dehnten sich aus – auch im mittelamerikanischen Bereich. Schließlich erstreckten sich solche Grasländer durchgehend von Argentinien bis nach Florida.
Somit waren die Voraussetzungen für einen großen Faunenaustausch zwischen dem nord- und dem südamerikanischen Kontinent gegeben. Zwei Millionen Jahre getrennte Biosphären kamen in Kontakt, durchdrangen, vermischten und störten sich auch. Es ist das am besten fossil dokumentierte Beispiel für einen Vorgang dieses Ausmaßes.
Die Riesenkraniche nahmen daran offenbar teil. Eine ihrer südamerikanischen Linien existierte noch vor weniger als 2,5 Millionen Jahren; und zumindest einige Individuen müssen bis nach Florida gelangt sein, wo ihr Nachfahre Titanus gelebt hat.
Die Nische der Großraubtiere
Mit diesem Szenario läßt sich nun verstehen, wieso in Südamerika eine Gruppe großer, flugunfähiger Vögel an die Spitze der Nahrungspyramide vorstoßen konnte und diese Vorrangstellung wieder einbüßte. Maßgeblich war die lange Evolution in geographischer Isolation, wie sie entsprechend für Australien typisch ist. Die einzelnen Organismengruppen hatten Zeit, sich ohne wesentlichen Einfluß durch andere Tiergruppen auf ökologische Nischen und Rollen zu spezialisieren, konnten später deren Konkurrenz aber nicht standhalten.
So kamen in Südamerika im Tertiär die fleischfressenden Säuger aus den Reihen der Beuteltiere, die großen Pflanzenfresser hingegen aus denen der höheren Säuger, der Plazentatiere; hauptsächlich waren dies urtümliche Huftiere, deren Linien heute ausgestorben sind. Diese Kombination war weltweit einzigartig: In Australien nahmen die Beuteltiere beide Positionen ein, und auf den übrigen Kontinenten stellten die Plazentatiere Jäger und Beute.
Die ökologische Stellung, die in Eurasien und Nordamerika schließlich die plazentalen Raubtiere wie Hunde- und Katzenartige einnahmen, hatten unter den südamerikanischen Säugern die Borhyaenoiden inne. Diese Raubbeutler entwickelten in etwa mit Hunden vergleichbare Arten von Marder- bis Bärengröße, die man drei Familien zuordnet. Die spezialisierten Thylacosmiliden oder Säbelzahnbeutler glichen verblüffend den Säbelzahnkatzen der nördlichen Hemisphäre. Alle diese Raubbeutler waren aber ziemlich kurzbeinig und ihrem Bau nach keine schnellen Läufer.
In die gleiche Nische gehörten vermutlich außerdem Sebeciden, Arten der ausgestorbenen Schmalschnauzenkrokodile, die mehr oder weniger landlebend gewesen zu sein scheinen. Sie hatten einen mächtigen Schädel mit langer, hoher Schnauze und Gliedmaßen, die weiter als bei den wasserlebenden flachköpfigen Krokodilen unter dem Körper standen; ihre seitlich abgeflachten, klingenartigen Zähne mit gezackten Schneiden ähneln denen räuberischer Dinosaurier.
Mit den Riesenkranichen waren es somit Angehörige dreier verschiedener systematischer Gruppen, die sich die Nische der großen Landraubtiere teilten, wenn auch nicht unbedingt zu gleichen Anteilen.
Vor 27 Millionen Jahren scheint eine Entwicklung begonnen zu haben, die teilweise bis vor 2,5 Millionen Jahren anhielt: Die hundeähnlichen Formen der Raubbeutler wurden allmählich immer kleiner, und ihre Vielfalt ging nach und nach zurück; hingegen setzte damals bei den Phorusrhacoiden die Größenzunahme ein, und ihr Formenreichtum wuchs. Vor rund fünf Millionen Jahren hatten sie die größeren dieser Säuger von den Savannen gänzlich verdrängt. (Die kleineren Formen der Borhyaenoiden, die sich ohnehin auf andere Beute spezialisieren mußten, existierten noch etwas länger, waren aber ebenfalls ausgestorben, als sich die mittelamerikanische Landbrücke bildete.)
Warum es den fleischfressenden Laufvögeln gelang, den Platz der großen Raubbeutler zu erobern, ist noch unklar. Sicherlich war von Vorteil, daß sie viel besser rennen und sprinten konnten als die unbeholfeneren Vierbeiner, nachdem weitläufige Grasland-Jagdgründe entstanden waren.
Mörderische Konkurrenz
Bei dem vor 2,5 Millionen Jahren beginnenden Faunenaustausch über die panamesische Landbrücke wanderten außer anderen höheren Säugern auch moderne Raubtiere nach Südamerika ein. Unter ihnen waren Vertreter der Katzen und Hunde, die auf die gleiche Beute aus waren wie die Phorusrhacoiden.
Zwar hatten die Riesenkraniche zu der Zeit den Gipfel ihrer bisherigen Entwicklung an Artenvielfalt und Körpergröße erreicht, aber den Eindringlingen waren sie nicht gewachsen. Unmittelbar nach dem Kontakt begannen sie allmählich dahinzuschwinden. Nur eine Linie überlebte in Südamerika die Konfrontation und existierte noch vor weniger als 2,5 Millionen Jahren – jene, von der Angehörige nach Florida gelangten, wo Titanis-Fossilien gefunden wurden.
Diese Vögel waren anscheinend das einzige ursprünglich südamerikanische Raubtier, das nach Nordamerika einwanderte. Doch auch sie vermochten sich nicht lange gegenüber den dortigen Säbelzahnkatzen und Wildhunden zu behaupten. Solange man spezifische Gründe dafür nicht kennt, bleibt Vermutung, daß die ansässigen modernen Raubsäuger sich in dem Lebensraum zu gut eingerichtet hatten und den Riesenkranichen keine Chance zur Koexistenz blieb.
Das Schicksal der mutmaßlichen Phorusrhacoiden oder ihrer Verwandten in Europa und Nordamerika war ebenfalls – nur eben wohl wesentlich früher – durch das Erscheinen fortschrittlicher fleischfressender Säuger besiegelt. Zunächst hatten sie auf diesen Kontinenten in Konkurrenz zu primitiven Plazentatieren gestanden, die man früher als Creodonten zusammenfaßte und auch als Urraubtiere bezeichnet hat; diese ähnelten insofern den Borhyaenoiden, den südamerikanischen Raubbeutlern, als sie ebenfalls nicht besonders gut rennen konnten und ein ziemlich kleines Gehirn hatten. Erst als vor 45 Millionen Jahren moderne Säuger mit höherentwickeltem Gehirn aufzutreten begannen, verschwanden die Verwandten der Riesenkraniche.
Nun sind solche Schlüsse, so plausibel sie scheinen mögen, zwangsläufig immer spekulativ. Nachträglich läßt sich für das Aussterben einer nur fossil überlieferten Tiergruppe nicht mit Bestimmtheit ein einzelner Faktor verantwortlich machen. Zwar fiel das Verschwinden von Riesenkranichen in einem Lebensraum zweimal unabhängig voneinander mit dem Erscheinen evolutiv fortschrittlicher jagender Großsäuger zusammen, aber wieso waren diese im Vorteil? Waren sie intelligenter? Oder machten sie den Phorusrhacoiden zu viele Beutetiere streitig, weil sie auf vier Beinen einfach rascher und wendiger waren? Oder rotteten sie die Vögel direkt aus, indem sie Eier und Junge fraßen, die sie in den Bodennestern unschwer erbeuten konnten?
Vielfach sind im Laufe der Evolution Linien ausgestorben, und andere haben sich durchgesetzt. Vielleicht steckt in den Seriemas noch das Potential, sich unter günstigen Umständen zu großen jagenden Laufvögeln zu entwickeln. Aber solche Überlegungen sind müßig – die ökologischen Verhältnisse, wie sie im Tertiär in Südamerika herrschten, werden sich nicht wiederholen.
Literaturhinweise
- Sistemáticas y Nomenclatura de las Aves Fororracoideas del Plioceno Argentino. Von Bryan Patterson und Jorge L. Kraglievich in: Publicaciones del Museo Municipal de Ciencias Naturales y Tradicional de Mar del Plata, Band 1, Heft 1, Seiten 1 bis 51, 15. Juli 1960.
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– The Terror Bird. Von Larry G. Marshall in: Field Museum of Natural History Bulletin, Band 49, Heft 9, Seiten 6 bis 15, Oktober 1978.
– Les Oiseaux Fossiles des Phosphorites du Quercy (Éocène Supérieur à Oligocène supérieur): Implications Paléobiogéographiques. Von Cecile Mourer-Chauviré in: Geobios, Memoire Special, Heft 6, Seiten 413 bis 426, 1982.
– A Gigantic Phororhacoid (?) Bird from Antarctica. Von Judd A. Case, Michael O. Woodburne und Dan S. Chaney in: Journal of Paleontology, Band 61, Heft 6, Seiten 1280 bis 1284, November 1987.
– Land Mammals and the Great American Interchange. Von Larry G. Marshall in: American Scientist, Band 76, Heft 4, Seiten 380 bis 388, Juli/August 1988.
– The Terror Bird Still Screams. Von Kent H. Redford und Pamela Shaw in: International Wildlife, Band 19, Heft 3, Seiten 14 bis 16, Mai/Juni 1989.
– Die Säuger von Messel: Wurzeln auf vielen Kontinenten. Von Gerhard Storch in: Spektrum der Wissenschaft, Seiten 48 bis 65, Juni 1986.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1994, Seite 76
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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