Grüne Gentechnik: Risiko oder Rettung?
Ein Segen für die Dritte Welt? Überflüssig, ja potenziell gefährlich? Zwei führende Experten in der Debatte um gentechnisch veränderte Nutzpflanzen stellen nach dieser Einführung in die Problematik ihre Argumente vor.
Vor kurzem ist in der jungen Disziplin der grünen Gentechnik der Ernstfall eingetreten: Kanadische Bauern entdeckten auf ihren Feldern Rapspflanzen, die gleich gegen drei wichtige Herbizide resistent sind. Die großen Agro-Biotech-Konzerne Monsanto, BASF und Syngenta (früher Aventis) vermarkten dort Rapssorten, die gegen je eines dieser Herbizide resistent sind. Diese Eigenschaft soll den Einsatz ökologisch verträglicherer Unkrautvernichtungsmittel ermöglichen, die aber gewöhnliche Rapssorten schädigen würden. Vereinzelt sind nun aber dreifach-resistente Rapspflanzen als "Unkraut" zwischen anderen Saaten aufgetaucht – ein Produkt ungewollter Bestäubung über mehrere Pflanzengenerationen. Den Farmern bleibt nichts, als die Widerspenstigen auszurupfen oder mit harten chemischen Mitteln auszurotten. Die Canadian Royal Society befürchtet, dieser Raps könne eines der schlimmsten Unkraut-Probleme des Landes werden.
Auf der anderen Seite forderte eine ganze Reihe Königlicher und Wissenschaftlicher Akademien im letzten Jahr, weitere genetisch veränderte Nahrungspflanzen zu entwickeln, vor allem in den armen Ländern. Dort nämlich, schrieben brasilianische, chinesische, indische und mexikanische Wissenschaftler, brauche man die grüne Gentechnik, um Hunger und Mangelernährung zu bekämpfen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlug kürzlich in dieselbe Kerbe: Auf der Erde hätten über 800 Millionen Menschen nicht genügend zu essen. Obwohl die Bevölkerung wächst, stagniere beispielsweise der Hektarertrag an Hirse in Schwarzafrika seit den sechziger Jahren. Grüne Gentechnik sei zwar nicht das einzige Mittel gegen dieses Problem, aber ein sehr wichtiges.
Wie riskant sind genveränderte Pflanzen und Lebensmittel nun wirklich? Aus wissenschaftlichen Studien zeichnet sich ab, dass die grüne Gentechnik nicht so gefährlich ist, wie ihre Widersacher an die Wand malen, jedoch auch nicht so harmlos, wie die Agro-Biotech-Konzerne beschwören. Während die Forscher noch diskutieren, sind auch im Jahr 2000 weltweit die Anbauflächen für Gen-Planzen gewachsen. Insgesamt 4,4 Millionen Hektar – die doppelte Fläche Großbritanniens – registrierte die ISAAA, eine unabhängige Vereinigung, die die Verbreitung biotechnologischer Methoden in Entwicklungsländern vorantreibt. Über zwei Drittel davon liegen in den USA. Deutschland rangiert weltweit an elfter Stelle und teilt sich mit neun anderen Ländern etwa ein Prozent der Fläche.
Ein orange-schwarzer Schmetterling ist das Sinnbild dafür, wie emotional befrachtet die Diskussion um die Gefahren der landwirtschaftlichen Gentechnik ist. Der Insektenkundler John Losey von der Cornell-Universität in Ithaka (Bundesstaat New York) fütterte in seinem Labor Raupen des Monarch-Falters mit Blättern der Hundswurz. Diese hatte er zuvor mit Pollen von so genanntem Bt-Mais überpudert. Bt steht für Bacillus thuringiensis, ein Bakterium, das für bestimmte Insektenarten tödliche Proteine produziert. Verschiedene Agro-Biotech-Unternehmen hatten Mais mit einem entspechenden Gen ausgestattet. Er produziert dann in seinen Zellen das gleiche bakterielle Insektengift und bringt damit bestimmte Fraßfeinde um. Das tat sein Pollen auch mit den schwarz-weiß-gelb gestreiften Raupen des Monarch-Falters, die Mais aber in der Natur gar nicht fressen. Die toten Raupen-Schönheiten lösten einen Aufschrei bei Umweltschützern und hektische Forschungstätigkeit in den Labors aus.
Insgesamt zwanzig Teams machten sich an die Überprüfung von Loseys Ergebnissen. Haupt-Kritikpunkt: Solche Pollen-Mengen würden die Raupen in der Natur nie aufnehmen. Daher maßen Forscher von der Staatsuniversität von Iowa die Pollenkonzentration in verschiedenen Entfernungen von Maisfeldern. Ihr Ergebnis: Selbst in einem Meter Abstand finden sich zu wenig Pollen, um Raupen zu schädigen. Nur die Pollen der Mais-Sorte mit dem Bt-Gen Event 176 wirkten noch zwei Meter weit weg tödlich. Einige Ökologen lassen sich jedoch nicht beruhigen: Selbst wenn die Raupen nicht sterben, sondern sich zu Faltern entwickeln, argumentieren sie, könnte das Bt-Protein sie so schwächen, dass sie ihre herbstliche Wanderung nach Mexiko nicht überstehen.
Die US-Umweltschutzbehörde Environmental Protection Agency (EPA) hat nun von den Biotech-Unternehmen, die Bt-Sorten vermarkten, Daten angefordert, um die Bedenken der Gentech-Gegner möglichst auszuräumen. Bis zum Herbst will die EPA entscheiden, ob und welche Schritte zum Schutz des Monarch-Falters und anderer so genannter Nicht-Ziel-Organismen des Bt-Mais unternommen werden müssen. Dabei stellt sich inzwischen auch die Frage, ob Bt-Gift für den Menschen gefährlich ist. Es entfaltet bei ihm keine Giftwirkung, könnte aber nach öfterem Verzehr Allergien auslösen.
Kanada züchtet salzresistente Tomaten
Dafür, dass durch Gentransfer in Nahrungspflanzen eingebrachte Fremdproteine als Allergene wirken, gibt es bereits einen Präzedenzfall: 1996 übertrug die Firma Pioneer Hi-Bred International, eine Tochter des DuPont-Konzerns, das Gen für ein Protein aus der Paranuss in Futter-Soja, um dessen Nährstoffgehalt besser auszubalancieren. Da Paranüsse bei Menschen jedoch öfter allergische Reaktionen hervorrufen, testete die Universität Nebraska das modifizierte Soja. Resultat: Das Paranuss-Protein machte das Soja allergen.
Zwar lassen sich einige Allergie auslösende Proteine identifizieren, bevor sie direkt oder indirekt auf dem Esstisch landen. Doch seien viele Allergene noch nicht erkannt, sagen die Kritiker, sodass auch ein Vergleich mit Gendatenbanken bekannter Auslöser keine völlige Sicherheit biete. Befürworter propagieren für Gen-Nahrungsmittel daher ein ähnliches System wie bei der Zulassung von Medikamenten: standardisierte Tests vor der Marktzulassung und konstante Beobachtung von eventuell auftretenden Komplikationen nachher.
Das gilt auch für den "goldenen Reis" des Schweizer Forschers Ingo Potrykus. Ihm und seinen Kollegen war es gelungen, in eine Reissorte ein ganzes Enzymsystem einzuführen, das aus Stoffwechselprodukten der Pflanzen Beta-Carotin herstellt. Diese Vorstufe von Vitamin A verleiht den Körnern ihren namensgebenden Goldton. Neben Eisen und Iod ist das Vitamin einer der Vitalstoffe, deren Mangel in armen Ländern am häufigsten zu ernsten Gesundheitsschäden oder gar Tod führt.
Die jüngste Meldung von einer viel versprechenden Nutzpflanze mit neuen Eigenschaften stammt ausgerechnet aus Kanada. In den Gewächshäusern von Hong-Xia Zhang und Eduardo Blumwald an der Universität Toronto wachsen Tomatenpflanzen, die ein Gen der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) salzresistent macht: Sie überleben in Nährlösungen, die zwanzigmal mehr Salz enthalten als Süßwasser. Dabei gelangt nur unwesentlich mehr davon in die Früchte als bei normalen Tomaten. Das Potenzial wird klar, wenn man bedenkt, dass etwa ein Viertel der weltweit bewässerten Agrarflächen zunehmend versalzen.
Doch auch hier erheben sich warnende Stimmen. Zum einen würden Nutzpflanzen, die gegen bestimmte Umweltbelastungen resistent sind, den Menschen zu sorglosem Umgang mit der Natur verleiten. Zum anderen – und hier wirft das Beispiel des dreifach-resistenten Gen-Rapses drohend seinen Schatten – könnte das Salztoleranz-Gen in die Natur entkommen. Dies kann entweder über Bestäubung verwandter Arten geschehen oder in Form von verwildernden Kultur-Tomaten, die dann empfindliche Ökosysteme wie Salzmarschen stören.
Die neue Richtlinie 2001/18/EG über die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt, die alle Mitglieder der EU bis 2002 in nationales Recht umsetzen müssen, versucht den Unsicherheiten Rechnung zu tragen. Sie legt verstärkt Wert auf das Monitoring der Freisetzungs-Folgen und die Information der Öffentlichkeit. Mit dem Antrag auf Genehmigung muss jedes Unternehmen einen Plan vorlegen, wie es Geschehnisse im Zusammenhang mit den freigesetzten Organismen erfasst und dokumentiert. Zudem wird jede Genehmigung maximal für zehn Jahre erteilt. Danach ist ein Verlängerungsantrag nötig, der die Informationen aus den vorherigen Jahren berücksichtigt. Bereits erteilte Freisetzungsgenehmigungen sollen zeitlich befristet werden. Sämtliche gentechnisch veränderten Organismen, die in Verkehr gebracht werden, sind mit ihren Standorten zu erfassen. Auf Teile dieser Datenbanken hat die Öffentlichkeit Zugriff.
Auch eine kleine, eher psychologisch bedeutsame Änderung zeigt, dass die Be-hörden den Konsumenten ernster nehmen. Ladungen genmanipulierter landwirtschaftlicher Erzeugnisse trugen bisher den Vermerk "könnte gentechnisch veränderte Organismen enthalten". Künftig wird er Klartext sprechen: "Enthält veränderte Organismen".
Literaturhinweise
Bio- und Gentechnologie. Anwendungsfelder und wirtschaftliche Perspektiven. Von G. Kaiser et al. Campus, 1997.
Adequacy of Methods for Testing the Safety of Genetically Modified Foods. Von H. A. Kuiper et al. in Lancet, Bd. 354, Nr. 9187, S. 1315, 1999.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2001, Seite 56
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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