Roboter als Partner - das neue Paradigma
Maschinen, die eine Arbeit schneller und präziser ausführen als ein Mensch, ihn also ersetzen, waren bislang das Kernziel der Roboterentwicklung. Nun zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Es scheint sinnvoller, sie als intelligente Werkzeuge für solche Tätigkeiten zu bauen, die vom Menschen allein gar nicht auszuführen oder für ihn unzumutbar sind. Darüber hinaus lassen sich die Techniken auch in nicht-industriellen Bereichen nutzen, etwa in der Medizintechnik (Bild 1).
Schwere, unangenehme und häufig gefährliche Arbeiten findet man im Straßenbau, in der Land- und Forstwirtschaft, in der Abfallentsorgung, in Fabriken, in der Kern- und Sicherheitstechnik. Roboter, die den Menschen hier ersetzen könnten, sind derzeit technisch noch nicht machbar, oder – wenn doch – würden sie noch zu teuer sein.
Naheliegender erscheint uns, eine Zusammenarbeit zwischen Roboter und Mensch anzustreben: Die Maschine soll in dieser Kooperation sprichwörtlich der verlängerte Arm des Menschen sein und seine Fähigkeiten und Kompetenzen unterstützen und erweitern.
Dann ließe sich die Aufteilung und Abstimmung der Arbeit zwischen den drei Bereichen Mensch, Technik und Organisation in einer integrierten Produktionstechnik flexibel gestalten. Ein solches Konzept räumt dem Menschen möglichst viel Entscheidungsfreiheit bei der Gestaltung seiner Arbeit ein, stellt ihm jedoch den Roboter als mächtiges Hilfsmittel zur Seite. Eine derartige "sanfte" Automatisierung komplexer Prozesse zeigte auch keine negativen Wirkungen auf den Arbeitsmarkt, sondern könnte vielmehr zu seiner Belebung beitragen
Diese neue Idee einer Zusammenarbeit von Mensch und Maschine gewinnt derzeit vor allem außerhalb der für den Robotereinsatz typischen Industriezweige Gestalt: Entwickelt werden Putzroboter, die in Bahnhöfen, Sporthallen oder Supermärkten die Böden reinigen, oder mobile Einheiten, die in Bürogebäuden oder Krankenhäusern Post oder andere Güter ausliefern.
Des weiteren baut man Automaten für die Inspektion und Sanierung unterirdischer Kanäle. Zwar fürchten Skeptiker, daß solche Entwicklungen zu teuer seien und ihren Markt nicht finden werden, doch die Investitionen in die Kanal-Infrastruktur großer Städte verschlingen inzwischen Milliarden, so daß eine Automatisierung der Unterhaltsarbeiten lohnend erscheint.
Die Bautechnik ist ebenfalls ein Betätigungsfeld für Serviceroboter. So plant man große Manipulatoren zum Bewegen schwerer Teile in Tunnels, in Stahlhochbauten, zum Vermauern ganzer Wände, zum Gießen von Betondecken oder zum Verlegen von Platten. Dereinst werden vielleicht mobile Roboter Erdmassen bewegen und Planierarbeiten ausführen.
Die intelligente Düse -Kooperation beim Betonspritzen
Wie ein solcher Maschineneinsatz aussehen kann, zeigt ein Beispiel aus unserem Labor: Robojet ist ein hydraulisch angetriebener, großer Manipulator für Tunnelarbeiten (Bild 2); mit einer Düse spritzt die Maschine vorverarbeiteten Beton auf frisch herausgebrochene Felswände. Es ist für einen Menschen schwierig, den bis zu zehn Meter langen, acht Gelenke umfassenden Auslegerarm mit der Düse manuell an der Wand entlang zu führen, dabei gleichzeitig den Spritzprozeß zu optimieren und den Materialverlust zu verringern.
Um den Operator zu unterstützen, haben wir drei Betriebsarten vorgesehen. In einer kann er die Düse mit Hilfe einer Space Mouse oder eines Joysticks direkt lenken. Die Bewegungen um die einzelnen Achsen werden vom Robojet selbständig ausgeführt. In der Betriebsart "teilautomatisch" vermißt zunächst ein Laserscanner das Tunnelprofil in einem ausgewählten Bereich. Der Operator braucht dann nur noch die Düse mit seiner Space Mouse entlang der Wand zu führen – der optimale Abstand und die richtige Orientierung werden anhand der Scannerdaten automatisch eingehalten.
Schließlich soll die Maschine beim vollautomatischen Betrieb in einem ausgewählten Tunnelabschnitt selbst die optimalen Trajektorien für die Düse bestimmen – natürlich unter Kontrolle des Bedieners, der jederzeit eingreifen kann. Die Daten über das Tunnelprofil werden wieder mit einem Laserscanner ermittelt, der sich auf dem Auslegerarm neben der Düse befindet, in einem aufklappbaren Gehäuse gegen Betonspritzer geschützt. Er bestimmt Entfernungen von einem Meter bis zu 200 Metern mit einer Genauigkeit von fünf Millimetern. Das Vermessen eines Profilbogens von 300 Grad mit 52 Meßwerten dauert etwa 25 Sekunden. Dabei wird die Scanbewegung des Lasers in einem Bereich, den der Operator vorher mit einem Lasermarker festgelegt hat, von der Maschine selbst ausgeführt. Die Vorgehensweise ließe sich im Prinzip vereinfachen und beschleunigen, doch die Anforderungen an Zuverlässigkeit und Genauigkeit in der rauhen Umgebung sind hoch.
Von der Robotik zur Prothetik
Ein ganz anderer Bereich, in dem die Maschine als Helfer wirken kann, ist die Medizintechnik. Entwickelt werden ferngesteuerte Manipulatoren für die Chirurgie sowie automatische Krankenbetten, die das Umbetten eines Patienten erleichtern. Natürlich sind Forscher und Entwickler besonders im Anwendungsfeld Medizinrobotik gefordert darüber nachzudenken, in welchem Umfang der Einsatz von Maschinen wirklich zu wünschen und vertretbar ist.
Als sinnvolles Beispiel haben wir ein Gerät ausgewählt, das kein Roboter im landläufigen Sinne ist – also kein für unterschiedliche Zwecke und Bedingungen porgrammierbarer Automat –, aber Techniken moderner Robotik verwendet: eine Beinprothese, bei der sich Steifigkeit und Dämpfung im Gelenk des künstlichen Knies beim Stehen und beim Schwingen des Beines automatisch richtig einstellen. Mehr noch als in der Kooperation am Arbeitsplatz profitiert hier der Mensch von der Maschine.
Für Auslegung und Bau muß die Belastung des Kniegelenks beim Gehen gut bekannt sein, die ist jedoch nur näherungsweise zu ermitteln. Dazu wurde der Gang gesunder Probanden gefilmt und vermessen. Dann erstellten wir ein theoretisches Modell des Gehens aus beispielsweise sieben miteinander gelenkig verbundenen Körpern und glichen die damit berechnete Bewegung mit der zuvor gemessenen so lange ab, bis Rechnung und Messung übereinstimmten. Unter der Annahme, daß das Modell nun die Wirklichkeit richtig wiedergab, wurden der Messung nicht zugängliche Größen wie die Belastungen im Gelenk schließlich berechnet.
Diese variieren während eines Schritts zwischen einem maximalen Wert beim Aufsetzen des Fußes bis zu einem minimalen beim freien Schwingen des Beins. Analog dazu ändern sich Steifigkeit und Dämpfung für die Drehbewegung im Gelenk. Das simuliert ein Hydraulikzylinder mit einem elektronisch steuerbaren Ventil. Es kann den Widerstand für den Ölfluß von einer Seite des Zylinders zur andern so verändern, daß ein Moment im künstlichen Knie-gelenk entsteht, das von Ventilöffnung und Winkelgeschwindigkeit abhängt.
Sensoren in der Prothese messen die beim Bodenkontakt auf den Fuß wirkende Kraft nach Größe und Richtung, weitere den Drehwinkel im Kniegelenk, wieder andere die Beschleunigungen von Unter- und Oberschenkel. Anhand dieser Daten und auf der Grundlage einer Regelbasis identifiziert ein Prozessor die Schrittphasen und ermittelt aus der zwischen gleichen Phasen verstrichenen Zeit die Schrittgeschwindigkeit. Aus diesen beiden Informationen werden je nach Kniewinkel die Dämpfungswerte für Beugung und Streckung des Knies berechnet und das Hydraulikventil entsprechend angesteuert.
Ein Prototyp dieser adaptiven, selbststeuernden Prothese, die wir in Kooperation mit einem kommerziellen Hersteller entwickelt haben, wurde bereits erprobt und schon im ersten Versuch vom Träger akzeptiert (Bild 1). Weitere Forschungsarbeiten haben nun zum Ziel, sie lernfähig zu machen, damit sie sich individuellen Gangmustern anpassen kann.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1998, Seite 87
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben